1945 Buchenwaldchronologie – vergessenes Kapitel Stalinismus

3. August 1996

„Wir haben gedacht, wenn die russische Besatzungsmacht sich um diese illegale Betätigung kümmert und die Leute verhaftet,
dann sind wir sie los.“

Otto Grothewohl, Begründer der Ost-SPD, auf der 11. Tagung des Parteivorstandes der SED am 29./30. Juni 1948 über die Verfolgung von Sozialdemokraten und anderen, die sich nicht dem Diktat der von Moskau gesteuerten Gruppe Ulbricht beugen wollten und daher vom sowjetischen Geheimdienst in ehemalige nationalsozialistische Konzentrationslager wie Buchenwald eingesperrt wurden. Tausende von ihnen liess man einfach verhungern.
(SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/1/48.)

 


1944 Herrmann Brill: Buchenwalder Plattform

April 1945: Kommunisten wollen Aktionseinheit unter ihrem Diktat

8. April 1945, Buchenwald: 2 000 Häftlinge werden von der SS aus Buchenwald evakuiert und am Strassenrand erschossen.

10. April 1945, Buchenwald: Weitere 2 000 Häftlinge werden durch die SS evakuiert und am Strassenrand erschossen.

11. April 1945, Buchenwald wird befreit. Die SS-Wachmannschaft ist bis abends vor den anrückenden Amerikanern kopflos geflohen. Der Lagerarzt hat den Befehl erhalten, alle zurückbleibenden Insassen seien zu töten. (S. 52f)

12. April 1945, US-General Eisenhower, Oberkommandierender der Alliierten Truppen in Europa, macht zusammen mit US-General Patton einen Rundgang durch das Buchenwalder Aussenlager Ohrdruf. Patton fasst den Plan: Das müssen die Deutschen sehen! In den Tagen nach der Befreiung sterben in Buchenwald immer noch etwa 100 Menschen pro Tag an den Folgen des Hungers.

14. April 1945, Trotz grosser Versorgungsschwierigkeiten beschaffen die Amerikaner (auch aus deutschen Heeresbeständen) genug Essen. Die Verpflegung im Lager ist jetzt „überwältigend“. (S. 58) Das „Internationale Lagerkomittee“ (ILK) regelt die Verteilung. Die ehemaligen Häftlinge erhalten Zivilkleider, z.T. aus Lagerbeständen und z. T. vom „Wirtschaftsdient“ in Weimar. Die Überlebenden richten sich bis zu ihrer Abreise in Buchenwald ein.

15. April, 1945(85) Das von Brill (SPD), Martin Griesser (KPD) und Georg Chaim (parteilos) getragene Thüringen-Komitees, Teil des Internationalen Lagerkomitees, fordert, eine grössere Zahl bekannter thüringischer Antifaschisten sei sofort zu entlassen. Der amerikanische Buchenwald-Kommandant Smuhl geht nicht darauf ein. Eisenhower schreibt an seine Frau: „I never dreamed that such cruelty, bestiality and savagery could really exist in this world! It was horrible.“(S. 56) US-General Patton besucht das KZ Buchenwald. Gegen 23 Uhr lässt er den kommissarischen Oberbürgermeister von Weimar, Erich Klose, kommen und gibt ihm

16. April, 1945 nach Mitternacht ergeht folgenden Befehl: Mindestens 1 000 Einwohner Weimars (die Hälfte Frauen) müssen bei Androhung schärfster Strafen das KZ Buchenwald besuchen, um die Zustände dort zu sehen, ehe sie geändert werden. (S. 56) Ein Drittel müssen aus der einfacheren, zwei Drittel aus den wohlhabenderen Bürgerschichten ausgewählt werden, darunter möglichst viele Parteigenossen der ehemaligen NSDAP.

Um 12 Uhr ist Abmarsch vom Bahnhofsvorplatz in Weimar. Etwa 2 000 Bürger kommen mit, mehr Frauen als Männer, ebenfalls viele Freiwillige. Die Amerikaner führen sie durchs Lager und den Steinbruch, zeigen ihnen alles und verteilen mahnende Handzettel.(S.57[1]) Die Schwester Baldur von Schirachs ist auch dabei und reagiert: „Warum haben wir nichts erfahren? Wie konnte so etwas geschehen, acht Kilometer von Weimar entfernt?“ (S. 57)

19. April 1945, Eisenhower an Churchill: Eine Parlamentariegruppe soll nach Buchenwald kommen und sich das anschauen!

21. April 1945, 8 Unterhaus- und 2 Oberhausmitglieder kommen aus England nach Buchenwald. Sie schreiben einen entsetzten Bericht für die britische Öffentlichkeit. Buchenwald ist das erste KZ, das den Amerikanern unzerstört in die Hände fällt. Sie nutzen es als Demonstrationsobjekt für die Weltöffentlichkeit. Die internationale Presse kommt und viele Besucher aus allen Ländern. Viele Führer haben in allen Sprachen täglich alle Hände voll zu tun.

21. April 1945 (78) Vortrag Brills vor den thüringischen Mitgliedern des Internationalen Lagerkomitees: Dringlichste Aufgabe sei es, von Weimar aus „mit grösster Strenge“, zentral, „in Wellen und schlagartig“ die thüringische Verwaltung von nazistischen Elementen zu säubern – zuerst die Polizei, dann die Justiz, dann die Gemeinde- und schliesslich die Schulverwaltung – und einen neuen Verwaltungsapparat aufzubauen.

22. April 1945 (85) Delegiertenkonferenz der KP-Buchenwald geht mit einer Entschliessung offen auf Konfrontationskurs: „Wir wissen, dass es die historische Schuld der SP ist dass der Nazismus in Deutschland zur Macht kommen konnte.“ Gerade in Thüringen wusste jeder Sozialdemokrat, dass Herman Brill für seinen Widerstand gegen Hitler im KZ Buchenwald gesessen hatte. Brill war aber nicht nur ein Gegner Hitlers gewesen. 1923 hatte er einen kommunistischen Putschversucht unter Ulbricht ebenfalls erfolgreich abgewehrt.

23. April 1945 (79) Referat Brills im KZ Buchenwald: Die beiden grossen Ziele seien die „Vernichtung des Faschismus“ und der Aufbau einer „neuen Volksrepublik“. Dazu müssten

  1. alle Nazigesetze aufgehoben werden, vor allem die Ausnahmegesetze gegen die demokratischen Freiheiten,
  2. die NSDAP mit allen ihren Nebenorganisationen aufgelöst,
  3. das Nazivermögen beschlagnahmt,
  4. den Nazis die politischen Rechte entzogen,
  5. Sabotage und Werwölfe bekämpft,
  6. alle militaristischen Organisationen – Deutsch-nationale-Volkspartei, Stahlhelm, Landbund, Kriegerbund, Regimentsvereinigungen – aufgehoben,
  7. das Berufsbeamtentum aufgelöst und
  8. alle „Träger der Nazis“ ohne Pension entlassen, Ausnahmen höchstens in der Wirtschaft und unter der Jugend nach sorgsamster Prüfung werden.

25. April, 1945: 18 Journalisten, vom US-amerikanischen War-Department zusammengestellt, besuchen Buchenwald. Einer davon ist Stefan Heym. (S. 58[2])

27. April 1945 (85) Brill wird von der amerikanischen Militärregierung mit dem politischen Wiederaufbau Thüringen beauftragt (79) Der Weimarer Oberbürgermeister Kloss wird Chefberater der amerikanischen Militärregierung und Kommissar für die gesamten Reichs- und Landesbehörden im Stadt- und Landkreis Weimar.

28. April 1945 (79) Kloss ordnet auf Drängen von Brill hin an, alle jene Beamten, Angestellten und Arbeiter, die
1.) vor dem 30. 1. 1933 Mitglieder der NSDAP wurden,
2.) aufgrund ihrer politischen Gesinnung oder persönlicher Beziehungen unverhältnismässig rasch auf gute Posten in der Partei oder im Staat befördert wurden,
3.) als „120% Nationalsozialisten aufgetreten sind“,
seien sofort „zu beurlauben“.

1. Mai 1945, Buchenwald: Feier

7. Mai 1945, (79) Brill wird Nachfolger von Kloss als Kommissar für die gesamten Reichs- und Landesbehörden im Stadt- und Landkreis Weimar. (78) Zusammen mit Leonhard Moog (früher DDP), Walter Wolf (KPD), Max Kolter (früher Zentrumspartei) erstellt Herman Brill für Thüringen einen Entwurf von „Richtlinien für die Reinigung der Verwaltung von nazistischen Elementen“. Der Text ist im Wesentlichen von Brill.

10. Mai 1945, (79) Brill legt Oberst Hatch, dem Leiter der Abteilung G-5 der amerikanischen Militärregierung, den Entwurf von „Richtlinien für die Reinigung der Verwaltung von nazistischen Elementen“ vor.

16. Mai 1945, (79) Hatch genehmigt die „Richtlinien für die Reinigung der Verwaltung von nazistischen Elementen“ für den Stadt- und Landkreis Weimar.
(80) Sie ordnen folgendes an:

Kategorie I der „nazistischen Elemente“: „alte Parteigenossen“ sind Parteigenossen, die vor dem 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, Mitglied der NSDAP wurden.

  1. Sie werden „summarisch in Polizeihaft“ genommen. Sie werden vor einen Untersuchungsausschuss gestellt, der untersucht, ob sie sich strafrechtlich schuldig gemacht haben. Während des laufenden Verfahrens sind „Hausbegünstigungen“ und Besuche untersagt. Ihre Familien sind „polizeilich zu überwachen“.
  2. Sie sind ohne öffentliche Unterstützung (wie Pensionen, Wartegeld, Hinterbliebenenversorgung oder anderes) aus dem aktiven Beamtenverhältnis zu entlassen und dürfen kein Amt im öffentlichen Dienst mehr bekleiden. „Wartestandsbeamte“ und solche im Ruhestand sind gleich zu behandeln. Angestellte und Arbeiter werden fristlos entlassen. Hinterbliebene von „alten Kämpfern“ erhalten eine materielle Versorgung in Höhe der allgemeinen Invalidenrente.
  3. Sie bekommen keinerlei „bevorzugte Lebensmittelkarten“, lediglich Brot und Kartoffeln.
  4. Ihre Wohnungen mit Einrichtungen werden beschlagnahmt und dem Wohnungsamt zur Verfügung gestellt.
  5. Ihre Konten werden gesperrt, Auszahlungen sind nur bis 200,- Reichsmark zulässig. Ihre Telefone, Schreibmaschinen, Radios und Autos werden eingezogen. Nachgewiesenes Vermögen wird in jedem Fall für die „Opfer ihrer Diktatur“ verwendet.
  6. Wenn das Ermittlungsverfahren ergab, dass sie sich nichts Strafrechtliches zuschulden hatten kommen lassen, waren sie in „Schutzhaft zu nehmen und zu Wiederaufbauarbeiten zu verwenden“.

Kategorie II der „nazistischen Elemente“: Beamte, Angestellte und Arbeiter, „die am Aufbau der Diktatur mitgewirkt“ haben, sind alle, die zwischen dem 24. März 1933 und dem 30. April 1937 Mitglied der NSDAP wurden. Besonders schwere Fälle „aktiver Aufbauarbeit und Ausübung der Diktatur“ sollten als „alte Kämpfer“ behandelt werden. Das sind vor allem allem

  1. Beamte der diplomatischen Vertretungen Thüringens beim Reich,
  2. alle höheren Beamten der Ministerien vom Regierungsrat aufwärts,
  3. Beamte der Regierungspräsidiums in Erfurt und der dortigen Reichsmittelbehörden,
  4. alle Landräte und Bürgermeister ohne Ausnahme
  5. alle Justiz- und Polizeibeamten „ohne Ausnahme des Ranges und der dienstlichen Stellung“
  6. Wahlbeamte höherer Ränge in der Komunalverwaltung
  7. alle Beamten des mittleren und unteren Dienstes, soweit sie als politische Leiter in den Organisationen der NSDAP tätig waren.

Kategorie III der „nazistischen Elemente“: (81) Beamte, Angestellte und Arbeiter, die seit dem 1. April 1937 der NSDAP beitraten oder bei besonderen Anlässen „ein besonderes Bekenntnis“ zum Nationalsozialismus abgelegt hatten. Waren sie dadurch in Dienstränge, wie sie unter Kategorie II beschrieben sind, aufrückten, sollten sie wie Elemente der Kategorie II behandelt werden, d.h. „zum Schluss des Kalendervieteljahres zu entlassen“. „Von Fall zu Fall“ konnte geprüft werden, ob sie einen Teil ( max. 3/3) ihrer Pension bekamen.

Für Lehrer hätten später „ergänzende Bestimmungen“ erlassen werden sollen. Das sind die schärfsten Entnazifizierungsrichtli-nien, die nach 1945 in Deutschland formuliert worden sind.

Nur mit der Verfolgung der Kategorie I, der „alten Kämpfer“, wird jemals begonnen. Das Kriminalamt der Polizeidirektion Weimar legt eine Liste von 234 Beamten der ehemaligen thüringischen Landesregierung vor, die vor 1933 der NSDAP beigetreten waren.

18. Mai 1945, (81) Brill verfasst eine äusserst genaue „Anleitung für die Erfassung und Vernehmung der <alten Parteigenossen> in der Beamtenschaft“, die konsequent humanen Rechtsstaatsprinzipien folgt, die aber mit aller Strenge und Gründlichkeit die Ermittlung der Hintergründe und Zusammenhänge des begangenen Unrechts gewährleisten soll.

19. Mai 1945  (81) Ab 5 Uhr vormittags beginnt die Polizei mit der Verhaftung der „alten Kämpfer“ gemäss der Liste.

29. Mai 1945  (82) Brill bittet die amerikanische Militärregierung, die Verfolgung der „alten Kämpfer“ „wegen erfolgter Anfragen aus Erfurth und anderen thüringischen Städten“ auf ganz Thüringen ausdehnen zu dürfen. Und er bittet darum, auch mit der Verfolgung der Kategorien II und III erfassen zu dürfen.

6. Juni 1945    (82) Brill stellt sein Entnazifizierungsprogramm im US Headquater in Frankfurt/Main vor, findet aber „schwer Verständnis“ für seine Radikalität, da den Amerikanern an einer funktionsfähigen Verwaltung gelegen ist. Brill wird nur dazu ermächtigt, „der Militärregierung in besonderen einzelnen Fällen eine Vorlage über die Entfernung von Beamten zu machen, die als untragbar erscheinen.“

1945    Herrmann Brill: Buchenwalder Manifest
Er will auch sozialistische Aktionseinheit, orientiert sich an der britischen Labor-Partei; will keine Moskauer Emigranteneinflüsse; Partei-Basis soll der Bund deutscher Sozialisten (BdS) sein; will eine thüringische Neugründung der Sozialdemokratie als Bund demokratischer Sozialisten (BdS)

Otto Grotewohl gründet in Berlin eine die Ost-SPD, die in Brills BdS einen Konkurrenten hat

Kurt Schumacher beginnt in Hannover eine Neugründung der West-SPD

11. Juni 1945           Gründungsaufruf der KPD in Berlin

15. Jun 1945           Gründungsaufruf der SPD in Berlin

ab 19. Juni 1945      „Aktionseinheit“ wird vorbereitet

1. Juli 1945  Die Amerikaner ziehen aus Thüringen ab. Sie wollen Hermann Brill mitnehmen, er soll Generalsekretär des „Süddeutschen Länderrates“ werden. Brill will aber bleiben.

2. Juli 1945 Die 8. Gardearmee der UdSSR unter Generaloberst Tschuikow marschiert in Thüringen ein.
Gera: Läutende Glocken sowie die Fabrik- und Luftschutzsirenen begrüssen die einrückende Rote Armee. Rudolf Paul, der von den Amerikaner noch eingesetzte Oberbürgermeister, ein altes Mitglieder „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP), arrangiert zusammen mit dem sowjetischen Generaloberst Tschuikow einen bombastischen Festakt, als würde man Adolf Hitler zum Parteitag erwarten. (96) Der Roten Armee eilt ein schrecklicher Ruf voraus. Paul will das vertuschen: Er ermahnt Geras Bürger durch ein Flugblatt:

„Der russische Soldat kommt nicht mit dem Bajonett in der Faust …. Darum ist kein Grund gegeben, seinem Kommen mit Schrecken entgegenzusehen.“ (S. 95) Man solle ehrlich an das begangene Unrecht denken, nicht leugnen und keine Angst haben. Die Russen sollten als „Befreier von den Ketten der Sklaverein“, den „Konzentrationslagern“ und dern „Verfolgungen der Gestapo“ begrüsst werden.

Ein „Antifaschistisches Komitee“ tritt auf. Seine Mitglieder bezeichnen sich als „aktive Antifaschisten“ – eine politische Elitetruppe. Den Bürgern bieten sie sich als „Aktivisten der ersten Stunde“ an. Dahinter verbirgt sich jedoch ungenannt die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Das „Antifaschistische Komitee“ begrüsst die einrückende Rote Armee öffentlich pathetisch als Befreier vom Nazismus: Deutschland habe sich nicht aus eigener Kraft von Hitler befreien können. Die amerikanische Befreiung wird gar nicht erwähnt! (S. 95)

3. Juli 1945 In allen anderen thüringischen Städten treten von der KPD lancierte „Antifaschistische Komitees“ mit dem gleichen Flugblatt in Aktion. In Weimar ist der Ethusiamus der dortigen „antifaschistischen Komitees“ geringer. Brill beobachtet vom Fenster seines Amtssitzes die einziehenden Truppen. Er bietet den Russen den Rücktritt der gesamten Regierung an. Der russische Komandant lehnt ab. Brill u. a. initiieren die Gründungsversammlung der Weimarer Ortsgruppe des Bundes der Sozialisten (BdS). Es sind 22 Teilnehmer, darunter mehrere alte SPD-Mitglieder sowie ehemalige Buchenwald-Häftlinge. Hoffmann aus Erfurt leitet die Versammlung. Der BdS konstituiert sich als tatsächlicher und rechtlicher Nachfolger der alten SPD.

3. Juli 1945 Die Ortsgruppe der Weimar KPD nennt sich nun „Anti-Nazi-Komitee“. Sie erfährt den Gründungsbeschluss des BdS. (83) In Weimar wird ein neuer sowjetischer Stadtkommandant eingesetzt.

4. Juli 1945 Ulbricht, Kommandeur der „Gruppe Ulbricht“, die in Moskau auf die Errichtung einer kommunistischen Volksfront nach dem Kriege in Ostdeutschland geschult worden war, besucht Buchenwald. Er trifft auch Brill. (82) Brill teilt der sowjetischen Militärregierung (und auch Ulbricht) mit, dass nur in Weimar gemäss seinen Richtlinien und nur die Kategorie I „alte Kämpfer“ vorgegangen worden sei. Der sowjetische Stadtkommandant von Weimar ermächtigt Brill, seine Richtlinien in ganz Thüringen in Kraft zu setzen – ein scheinbarer Anfangserfolgt Brills.

5. Juli 1945 (83) Brill setzt mit einem Rundschreiben seine Richtlinien in ganz Thüringen in Kraft. (an alle Bürgermeister, Landräte, Landesämter, Abwicklungsstellen der Regierung in Erfurt und alle Rechsmittelbehörden für die Provinz Thüringen) Eine nennenswerte Wirkung bleibt jedoch aus. Brill trifft Semjonow und andere Mitglieder der Berliner Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und wird als Regierungspräsident von Thüringen bestätigt. Auch Ulbricht nahm an diesem Treffen teil. Aus gutem Grund. Brill ist der politische Erzfeind der von Moskau gesteuerten Kaderkommunisten: Eine kommunistisch dominierte Einheitsfront war mit ihm nicht möglich. Die wusste Ulbricht aus eigener politischer Erfahrung nur zu gut. Ulbricht reist unmittelbar nach diesem Treffen von Berlin nach Jena: Dort stellt er den ebenfalls in Moskau für die Volksfrontbildung geschulten KPD-Genossen Georg Schneider als offiziellen Beauftragten des Zentralkomittees der KPD für den Aufbau der KPD in Thüringen vor! Schneider später: „Ich musste mich zuerst durchsetzen gegen die falsch verstandene gmeinsame Politik mit der damals in Thüringen schon sehr aktiv arbeitenden sozialdemokratischen Partei“.

8. Juli 1945 Der BdS hält eine Bezirkskonferenz zusammen mit mit ca 200 Sozialdemokraten aus Thüringen ab. Hoffmann hält die Begrüssungsansprache und dankt „dem mit Ruhm gekrönten Marshall Schukow“. Brill hält ein Grundsatzreferat (S. 90): Es dürfe „kein „Sonderdasein der KPD“ geben! Überall sollten politische Arbeitsgemeinschaften aus KPD und dem BdS gegründet werden. Danach müssen die von der KPD gesteuerten und dominierten Anti-Nazi-Komitees durch reguläre Parteien ersetzt werden. Es solle keine getrennte Gewerkschaftsarbeit (eine Vorliebe der Kommunisten!) der beiden Arbeiterparteien geben! Die Kommunisten sollen eine offizielle Verzichtserklärung auf ein Monopol an der Gewerkschaftsarbeit abgeben. Brill wird erster Vorsitzender der BdS/SPD.

9. Juli 1945 Der Landsvorstand des BdS und die Bezirksleitung der KPD treffen sich. Die Bezirksleitung der KPD zögert gegenüber dem Vorschlag von Seiten des BdS einer möglichst raschen Verschmelzung der beiden Parteien! Es soll ja eine Einheitsfront sein, in welcher sie dominieren. Das war nicht gesichert, solange der BdS unter Brill parlamentarischdemokratisch dachte. Man beschliesst daher lediglich vorbeitende Massnahmen zur Herstellung der „politischen Einheit des werktätigen Volkes“. Ein gemeinsames Aktionsprogramm soll bald verkündet werden. Ein rotes Ankündigungsplakat wird sofort gedruckt. Es trägt die Unterschriften von je sechs Vertreter von BdS und KPD. 5 000 Exemplare sind davon geplant. (S. 94) 3 000 werden es am 12.7. sein. Die Bezirksleitung der KPD hat diesen Schritt jedoch ohne Rücksprache mit dem Zentralkomitee – d. h. ohne Rücksprache mit Ulbricht und Stalin! – unternommen.

10. Juli 1945 Der von Ulbricht – und damit direkt von Stalin – eingesetzte und gesteuerte Genosse Schneider trifft in Weimar Generaloberst Tschuikow. Der fragt Schneider, was er davon halte, wenn Geras Oberbürgermeister Paul, der TschuikowsEinmarsch so pompös gefeiert hatte, Regierungspräsident von Thüringen würde! Brill soll also weg! Tschuikow nimmt mit SPD-, KPD- und DDP-Vertretern sowie mit der Begierung Brill Kontakt auf, da die thüri gische Regierung umgebildet werden solle. Tschuikow revidiert damit den Bescheid von Semjonow vom 5. Juli. Brill ist von den plötzlichen sowjetischen Plänen eine Regierungsneubildung überrascht! Zwischen dem 5. und 10. Juli liegt das Grundsatzreferat Brills, was für Stalin und Ulbricht unannehmbar war. Nachmittags schreibt Brill an den Genossen Busse von der Thringer KPD: Die Vorschläge der KPD für einen Zusammenschluss von BdS/SPD und KPD (im kommunistischen Parteijargon „Überwinduing der Spaltung der Arbeiterbewegung“) seien ungenügend. Fraktionsgemeinschaften von BdS und KPD sollten gegründet werden, die gemeinsame Regelungen herbeiführen. Beide Parteien sollten von vorn herein auf eine eigene Fraktionstätigkeit verzichten. Falls nötig, wolle der BdS die Vorschläge für eine Herbeiführung der Partei-Einheit sowohl an das ZK der KPD und an die Parteizentrale der SPD schicken, damit von dort zentrale Regelungen erlassen werden können.

12. Juli 1945 Genosse Trillitsch (KPD) schreibt an Brill: Mangels Papier habe man nur 3 000 Plakate drucken können.

14. Juli 1945 Die Russische Militärkommandantur verbietet das Plakat. Alle, die es schon erhalten haben müssen benachrichtig werden. Die politische Karriere Herrmann Brills als 1. Regierungspräsident von Thüringen nach dem Kriege ist damit zuende. Die Machtergreifung von links im Schatten der Roten Armee beginnt.

16. Juli 1945 Marschall Shukow gründet die SMAD Thüringen (SMADTh) unter Generaloberst Tschuikow. (83) Brill wird als Regierungspräsident entlassen und durch Rudolf Paul ersetzt.

23. Juli 1945 (83) Paul ersetzt Brills „Richtlinien“ durch ein wesentlich milderes „Gesetz über die Reinigung der öffentlichen Verwaltung von Nazi-Elementen“, das jedoch erst am 4. September rechtskräftig wird. Brill wird in Thüringen als „rigoroser Moralist“ verschrieen.

Herbst 1945, Die KPD-dominierte Einheitsfront der „antifaschistisch-demokratischen Parteien“ beginnt, für die gesamte sowjetische Besatzungszone ein einheitliches Entnazifizierungsgesetz auszuarbeiten. Es ist gegenüber den Brillschen „Richtlinien“ wesentlich abgeschwächt, summarisch, unpräzise und schwammig. 32,1 % aller Beamten, Angestellten und Arbeiter sind zu dieser Zeit ehemalige Mitglieder der NSDAP.

[1] Konzentrationslager Buchenwald, Post Weimar/Thür. 1937-1945, Katalog 1990, S. 165
[2] Heym, Stefan. Reden an den Feind. Berlin 1987, S. 278

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