Alja Rachmanowa (* 27. Juni 1898 in Kasli in der Nähe von Jekaterinburg im Ural als Galina Djuragina; † 11. Februar 1991 in Ettenhausen, Ostschweiz) ist das schriftstellerische Pseudonym von Galina Djuragina, die als erste von drei Töchtern einer großbürgerlichen Familie in Kasli aufwuchs. Ihre Kindheit beschreibt sie in ihrem 1932 erschienenen Buch «Geheimnisse um Tataren und Götzen. Meine Jugenderlebnisse im Ural.». Es ist das wohlhabende grossbürgerlich christlich-orthodoxe Elternhaus und die archaische Lebensweise der Tataren, die das Kind prägen. Sie sagt von sich: «Ich habe das grosse Glück gehabt, meine Kindheit und Jugend in den felsigen Bergen und an den verzauberten Seen des Ural zu verbringen, in einer eigenartigen Welt, die mir sowohl die geheimen Kräfte der Natur, als auch die des Menschenlebens besonders nahe brachte, die meinem leidenschaftlichen Wunsche, ihren Rätseln auf den Grund zu kommen, immer neue Nahrung gab, und meine Liebe zu Gott, zu den Menschen und zum Guten immer mächtiger werden liess.»
Als Jugendliche gerät sie in den Terror des marxistisch-leninistischen Putschs, den Bürgerkrieg und die Installation der «Diktatur des Proletariats» unter Führung der Bolschewiki. In «Studenten, Liebe, Tscheka und Tod. Tagebuch einer russischen Studentin», das 1931 als erster Band ihrer Trilogie «Meine russischen Tagebücher» erschien, behandelt sie die Geschichte ihrer Familie während jener Zeit: Sturz des Zaren, Putsch der Bolschewiki und roter Terror, den man schaudern miterlebt und den Leser gar nicht einmal so selten vor dem inneren Auge an ähnliche Abläufe während des «Kalten Krieges» erinnert. So wird zum Beispiel ein Abt zum «Beweis», dass es keinen Gott gibt, öffentlich gepfählt. Erschiessungen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Plünderungen, Krankheit, Angst und Schrecken sind infolge des Roten Terrors an der Tagesordnung. «Wir können uns schon gar nicht mehr vorstellen, dass man ausgekleidet schlafen, anders als flüsternd sprechen, auch nur eine Minute leben kann, ohne zu fürchten, man werde erschossen», vertraut die Studentin Galina Djuragina ihrem Tagebuch an. Sie wagt es kaum noch aus seinem Versteck hervorzuholen. Ihre Heimatstadt Kasli wird im Bürgerkrieg zunächst von der Weißen Armee erobert, und vorübergehend tritt Entspannung ein. Aber dann nähert sich die Rote Armee. Sie Familie Djuragina flieht nach Irkutsk, wo Galina mit dem Psychologiestudium beginnt.

Alja Rachmanowa und ihr Sohn Jurka etwa 1930
«Ehen im roten Sturm. Tagebuch einer russischen Frau» schliesst unmittelbar an «Studenten, Liebe, Tscheka und Tod.» an. Galina verliebte sich in einen österreichischen Kriegsgefangenen, der aus Liebe zu ihr in dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Russland bleibt. Fünf Monate darauf heiraten sie in Omsk, wohin die Familie hatte ziehen müssen, und leben dort in einem Waggon auf dem Güterbahnhof. 1922 kommt ihr Sohn Jurka in einem sowjetischen «Gebärhaus» unter schwierigen pflegerischen und hygienischen Bedingungen zur Welt. Die ersten Ehejahre Galinas mit ihrem aus Czernowitz stammenden und in Salzburg aufgewachsenen Mann Arnulf von Hoyer sind überschattet von Hunger, Kälte und dem Roten Terror der Marxisten-Leninsten, der sie in ständiger Angst vor der Liquidierung zittern lässt. Die Ehe wird zu einer «Insel des Glücks», die dem Terror und der Mangelwirtschaft täglich abgetrotzt werden muss. – Es erinnerte mich immer an jene Menschen aus der DDR, die mir sagten, dass für sie die Familie das «staatsfreie» Rückzugsgebiet gewesen sei, wohl ähnlich der «Insel des Glücks» inmitten des allerdings unvergleichlich schlimmeren marxistischen Terrors der Bolschewiki. – Auf der Rückfahrt von Omsk treffen sie auf Züge voller apathisch Verhungernder. Als sie in ihrer Heimatstadt ankommen, hat das ehemalige Dienstmädchen alle Zimmer ihres Hauses vermietet und darf ihnen auf Anweisung der Kommunisten keines zum Wohnen überlassen. Arnulf von Hoyer, der im Buch Otmar heisst, findet eine Stelle als Englischlektor, Galina hält Vorlesungen über Psychologie der Kindheit und Kinderliteratur. 1925 wird die dreiköpfige Familie ohne Angabe von Gründen aus der Sowjetunion ausgewiesen.
Sie versuchen in Wien Fuss zu fassen. Galina hat mit Veröffentlichungen kein Glück. Man beschliesst, ein Lebensmittelgeschäft im Wiener Bezirk Währing zu eröffnen (im Roman Ottakring). Arnulf muss die in Russland abgelegten und in Österreich nicht anerkannten Prüfungen nachholen. Galina sorgt als Milchfrau für den Unterhalt. Jede freie Minute schreibt sie die Geschichten, die ihr von ihrer Kundschaft erzählt werden, auf. Sie leidet unter Heimweh, die Briefe ihrer Eltern sind bedrückend, und sie wird vom sowjetischen Geheimdienst beschattet. 1927 übersiedelte die Familie in Arnulf von Hoyers Heimatstadt Salzburg. Er tritt eine Lehrerstelle an und übersetzt die Tagebücher seiner Frau. Der Verlag Anton Pustet bringt sie heraus, und die Lebensumstände bessern sich erstmals. Zum Schutz ihrer in Russland verbliebenen Verwandten nimmt sie das Pseudonym Alja (Alexandra) Rachmanowa angenommen. Das Werk «Milchfrau in Ottakring», in welchem sie diese Zeit beschreibt, wird ein Erfolg. Ihre Werke werden in 22 Sprachen übersetzt.
Die Familie zieht in eine Villa am Giselakai, Arnulf bekommt eine Stelle als Gymnasiallehrer. Nach der Annexion Österreichs wird Alja Rachmanowa aus der «Reichsschrifttumskammer» ausgeschlossen, und ihre Bücher werden verboten. Als im April 1945 der 23-jährige Sohn Jurka in den letzten Kämpfen um Wien von den Russen erschossen wird, flieht sie mit ihrem Mann vor den kommunistischen Truppen in die Schweiz.
In «Die Fabrik des neuen Menschen», erschienen 1935, schildert Alja Rachmanowa bewegende Lebenschicksale und deckt in der Konfrontation mit der Ideologie des Marxismus/Kommunismus nach und nach die tiefsten Sehnsüchte des Menschen auf, die sich auch durch Ideologien nicht ersticken lassen.