Konrad Heiden. Adolf Hitler

24. Oktober 2024

img_9652Moritz Nestor

Im amerikanischen East Orleans nahe Cape Cod findet sich ein kleiner Fels mit der Aufschrift „KONRAD HEIDEN. WRITER. FOE OF NAZIS. 1901–1966“ Der in München geborene Journalist und Schriftsteller war während der Weimarar Republik SPD-Mitglied. Er studierte ab 1920 Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, verfolgte parallele dazu die politische Szene in München und erlebte Hitlers Aufstieg aus nächster Nähe. Weder einen Übermenschen noch Popanz nannte er ihn, sondern einen ‚Massenerschütterer‘. Einzigartig ist die Unmenge von Materialien, Quellen und Zeitzeugenaussagen, die Heiden sammelte, anfangs auch in Wirtshäusern und Hinterzimmern, wo Hitler zunächst auftrat. Heidens umfangreiche Hitler-Biografie ist die erste fundierte Studie über Hitler. Nahe zu alle Biografen Hitlers bedienen sich der Biografie Heidens, ob das Joachim Fests „Hitler. Eine Biografie“ ist oder Ian Kershaws „Hitler Gesamtausgabe“.

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Konrad Heiden. Geschichte des Nationalsozialismus. Die Karriere einer Idee. Berlin: Rowohlt 1932

Der Leser merkt bald erstaunt, wie sehr das herrschende Hitler-Bild immer noch verzerrt ist von Dogmen aller Couleur. Sollte das der Grund sein, warum diese Biografie trotz ihrer anfänglich hohen Auflagen nach dem Krieg so lange unbekannt blieb?

Vor allem Heidens genaue Analyse des Hitlerschen Charakters anhand seiner Reden und Schriften besticht. Man erkennt die typischen Charakterzüge des korrupten skrupellosen Machtmenschen, den wir auch unter heutigen Menschen antreffen: „Das ist der fanatische Wille zur Borniertheit, der nur lernen will, was er schon weiß; der den Schmerz der Erkenntnis scheut und nur das Wohlgefühl des Rechthabens sucht. Und nun stelle man sich vor, wie ein Mensch mit solchem Hang zum Vorurteil später fremde Völker und Rassen … beurteilen, verkennen und verleumden musste!“ Konrad Heiden sah seine Zeit durch keine ideologische Brille. Er fehlt in unserem Geschichtsunterricht.

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Konrad Heiden. Geburt des dritten Reiches. Geschichte des Nationalsozialismus bis Herbst 1933. Zürich. Europa-Verlag 1934

«Heiden erkannte von Anfang an die Gefährlichkeit der braunen „Bewegung“ und bekämpfte sie mit seinen Mitteln: einem messerscharfen Verstand, einer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe und ebenso deutlichen wie prägnanten Worten. Dafür handelte er sich den Hass der Nazis ein. Heiden wurde zu einem Verfolgten, verlor Job und Heimat, musste während des „Dritten Reiches“ um sein Leben bangen. Was ihn nicht davon abhielt, weiter analytisch brillante Artikel und Bücher zu schreiben, die ihn aus Sicht der Machthaber zum Staatsfeind Nummer eins machten. Die Nazis jedenfalls schäumten vor Wut. … Was Heidens Schilderungen bis heute so authentisch und anschaulich macht, war die Nähe zu den Protagonisten. Aust fasst das präzise zusammen: „Er kannte die Nationalsozialisten fast alle aus den frühen Tagen der Bewegung in München, vielleicht zu gut. Er war tatsächlich ein alter Bekannter des ,Führers‘ Adolf Hitler, sein kritischer, oftmals spöttischer Begleiter und Beobachter seit Jahrzehnten, ein Chronist des Aufstiegs zur Macht, ein intimer Kenner der Ränkespiele, der Freundschaften und Feindschaften, der Rivalitäten und Intrigen innerhalb der ,Nationalsozialistischen Arbeiterpartei‘ NSDAP.“ Und dabei ging es ihm nicht zuletzt um die besondere historische Situation, die die folgende Katastrophe einschließlich Holocaust und Weltkrieg ermöglichte. Er sah bereits sehr frühzeitig, was andere nicht sahen, womöglich nicht sehen wollten. Auch das zeichnet einen guten Reporter aus. … In seinem Ende 1932 veröffentlichten Buch „Geschichte des Nationalsozialismus“ las sich das so: „Marsch ohne Ziel, Taumel ohne Rausch, Glauben ohne Gott und selbst in seinem Blutdurst ohne Genuss.“ …  Zugute kam Heiden außerdem, dass er offenbar Informanten aus dem unmittelbaren Umfeld des „Führers“ hatte. Was bei der Antwort auf die wichtige Frage half, wie das System Hitler überhaupt funktionierte. Bei seinen Recherchen erkannte Heiden denn auch frühzeitig, was heute leicht in Vergessenheit gerät: Hitlers Charisma und seine rhetorischen Fähigkeiten. „Er ist auf den Höhepunkten seiner Rede ein von sich selbst Verführter, und mag er lautere Wahrheit oder die dickste Lüge sagen, so ist jedenfalls das, was er gerade sagt, in dem betreffenden Augenblick so vollständig der Ausdruck seines Wesens, seiner Stimmung und seiner Überzeugung von der tiefen Notwendigkeit seines ganzen Tuns, dass selbst von der Lüge noch ein Fluidum von Echtheit auf den Besucher überströmt.“»

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Konrad Heiden (Bild: Nachlass Konrad Heiden, K. Heiden 5a, Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung)

Nur: Wer kennt heute noch diesen Konrad Heiden? Wer erinnert sich an den Hitler-Gegner der ersten Stunde? Weiß, dass er so präzise wie kaum ein anderer die Grundlagen des NS-Regimes beschrieben hat?

Konrad Heiders extrem faktenreiche, brillant und hellsichtig geschriebene Hitler-Biografie erschien erstmals 1936 in einem Schweizer Verlag. Das deutsche Generalkonsulat meldete damals bezeichenderweise nach Berlin: „Das Buch ist gefährlich und wird, da der Verfasser stets versteht, sich den Anschein der Objektivität zu geben, in weiten hiesigen Kreisen, insbesondere bei den Intellektuellen eine für uns ungünstige Wirkung hervorrufen.“

Konrad Heiden. Adolf Hitler – Ein Mann gegen Europa – Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit. Weltbild Verlag 2014 

 

 

 

 

 

 

 

 

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