Adolf Portmann, Naturschutz wird Menschenschutz, Zürich 1971

1. Januar 1971

Adolf Portmann, Naturschutz wird Menschenschutz, Zürich 1971

Sieht man die hemmungslose Entfaltung wirtschaftlicher und technischer Macht an, dann ist man „nicht ohne weiteres bereit, den Befreiungskampf des abendländischen Geistes von dogmatischen Fesseln der Kirche einseitig nur im Bild des Aufsteigs von Nacht zum Licht darzustellen … Niemand wird aus der Sicht unserer Zeit und trotz der neuen Bedrohungen durch die Technik den Kampf der Kirche nun rückblickend gutheissen. … Doch das Wissen darum, dass es einer grossen geistigen Macht möglich war, den Kampf gegen die wissenschaftliche Neugier während Jahrhunderten in der Lebenspraxis wirksam zu führen, lenkt den Blick der heute ratlosen, bedrohten Menschen auf ein zentrales Problem unserer Zeit: Wo ist heute die Macht, wo sind heute die Mächte, die eine weithin erkannte Notwendigkeit des Kampfes gegen die Bedrohung durch die Technik tatkräftig führen könnte? … Bezeichnend für die Verwirrung der Gemüter beim Forschen nach den Ursachen des Heraufkommens der Technik ist der Versuch von seiten amerikanischer Soziologen, von Theologen sekundiert, die judeo-schristliche Weltsicht dafür verantwortlich zu erklären. Schuld am Hochkommen der Technik ist nach dieser Ansicth die von der altbiblischen und christlichen Lehre verbreitete Auffassung des Menschen als höchstes Wesen der ganzen irdischen Schöpfung, das Wesen, das zur Herrschaft berufen und für sie geschaffen sei! Diese Behauptung übergeht völlig die viel wichtigere Tatsache, dass trotz dieser Einstellung zum Menschen die judeo-christliche Dogmatik 2000 Jahre lang jede explosive Entwicklung des Forschung und Technik nach Kräften verhindert hat aus der klaren Einstellung gegen die Wissbegierde. … Die Gestaltung [die Lebensformen, MN] um uns, ohne uns und vor uns in Jahrmillionen geworden, sind Glieder einer lebendigen Welt, die wir nicht selbst machen können und deren Komplexität und Rätselhaftigkeit um so deutlicher vor uns steht, je mehr wir durch die Forschung vom Mikrokosmos des Lebensstoffs erfahren. Diese vertiefte Einsicht muss in uns das Gefühl der Ehrfurcht vor diesem ohne uns Gewordenen wecken, eine neue, vom Wissen geförderte Ehrfurcht, ein Wissen nicht nur um neue Fortschritte der Forschung, sondern um die Verantwortung unserer Nachwelt gegenüber, die das Recht auf ein Dasein inmitten der Fülle des Lebens hat, die uns Heutige noch umgibt. Nur der Aufbau solcher Ehrfurcht … kann für die Zukunft die  Legitimation einer neuen Haltung der Natur gegenüber geben, …, aus der heraus Wille und Macht wirksam werden können, um den heutigen grenzenlosen Egoismus des Gewinns oder des technischen Ehrgeizes einzudämmen, zu beherrschen. … Der Schutz aussermenschlichen Lebens ist Schutz unseres eigenen Daseins vor entsetzlicher seelischer Verödung. So erhält heute das Wort Naturschutz einen neuen erweiterten Sinn: als Umweltschutz für die Erhaltung der Voraussetzungen der menschlichen Existenz – als Bewahrung des Lebendigen, das wir nicht selbst machen können. … Es wird nicht lange gehen, und Naturschutz als Menschenschutz wird auch für die Orientierung der Forschung ein Leitmotiv von grösster Bedeutung sein. — Die neuen Normen der Mässigung zu finden …, das ist ein grosse Aufgabe der Erziehung auf allen Stufen des menschlichen Wirkens.» So zieht der Zoologe, Anthroploge und Philosoph Aldolf Portmann (1897 – 1982) im Rückblick auf seine mehr als ein halbes Jahrhundert dauernde reiche Lehr-, Forschungs- und Lebenserfahrung die Schlussfolgerung für einen echten humanen Naturschutz. Diese Schlussfolgerung endet weder in der Frontstellung der Tiefenökologen und Mathusianer gegen den Menschen: Schutz der Natur vor dem Menschen durch „die backs“ („Zurücksterben“). Noch im Diktaturgehabe grüner Populisten.

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