Alfred Adler
Gesundheitsbuch für das Schneidergewerbe
Berlin 1898, Reprint 1987
Alfred Adler ist nicht nur einer der grossen Pioniere der Tiefenpsychologie, sondern auch der vergessene Pionier der Psychosomatik und Sozialhygiene. Adler dachte schon zu Beginn seiner ärztlichen Tätigkeit bereits psychosomatisch, als er noch keine Persönlichkeitslehre entworfen hatte. Als Assistenzarzt beschäftigte er sich nämlich schon in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit dem Einfluss der sozialen Fragen auf die Gesundheit, also mit sozialmedizinischen Themen der öffentlichen Gesundheit und der Arbeitsmedizin. Das «Gesundheitsbuch» ist sein Erstlingswerk. Darin untersucht er, wie die wirtschaftliche Situation mit bestimmten Berufskrankheiten zusammenhängen, und wies auf die daraus für die öffentliche Gesundheit entstehenden Schäden hin: Es werde sich zeigen, dass Krankheit mit ein Produkt schlechter sozialer Verhältnisse sein könne. Adler klagt die zeitgenössische Medizin an, an der Existenz sozial bedingter Krankheiten einfacher vorbeizusehen. Das fügte den damals für gewöhnlich von Medizinern akzeptierten Krankheitsursachen eine weitere hinzu. Adler hatte diesbezüglich in Rudolf Virchow, dem Begründer der naturwissenschaftlichen Medizin, einen würdigen Mitstreiter, der sich zum Beispiel bei den oberschlesischen Webern ebenfalls mit den Auswirkungen sozialen Elends auf die Volksgesundheit beschäftigte und forderte, als Arzt müsse man auch (Sozial)Politiker sein, um die sozialen Ursachen von Krankheiten bekämpfen zu können.