Antje Vollmer: «ökologische Rat»
6. Februar 1994, ZDF, 22.50 Uhr ∙ Moritz Nestor
«Ich glaube, dass die Verfassung der Bonner Republik, dass die aus der Lehre gekommen ist, dass man vor allen Dingen den Einzelnen schützen müsste. Das heisst, die ganze Verfassung ist gegen die Diktatur und die Erfahrung des Missbrauchs von Gemeinschaft geschrieben worden. Deswegen hat sie diesen hohen Rang der Einzelnen. Sie hat als Bedrohung eben nur den Übergriff des Staates auf den Einzelnen gesehen.
Und ich glaube, dass wir inzwischen ein Gefühl für eine andere Bedrohung haben, nämlich die der Zukunft und die unserer Kinder und der nächsten Generation. Und diese Gruppen haben in der bestehenden Verfassung keinen Anwalt. Das, finde ich, ist das wirkliche Problem, das heisst das, was einzuklagen ist.
Es war doch damals so: 1949 konnte man sich nur eine Zerstörung vorstellen, und das war die durch den Krieg oder, wie ich gesagt habe, durch die Diktatur in Bezug auf den Einzelnen. Heute müssen wir eine Zerstörung im Blick haben, die durch das Beste, was die Menschen können, nämlich zu produzieren und in Frieden zu leben, die als Ergebnis dieser Friedenszeiten da ist. Und die Zukunft, die nächste Generation, die Nicht–Lebenden brauchen einen Anwalt.
Und ich bin deswegen für ein Modell einer Ausbildung, einer weiteren Ausbildung der Gewaltenteilung, nämlich eines ökologischen Rates, der in all den Fällen, wo Zukunftsinteressen, die von den heute gegenwärtig Lebenden nicht gewahrt werden, wo die bedroht sind, eingreifen könnte. Das fände ich praktisch, diesen Gemeinsinn in eine bestimmte Form gegossen. Wobei man erst anfangen müsste, darüber zu diskutieren, wie das geht.»