1. Einleitung
Aus den Erfahrungen vieler Länder mit den verheerenden Folgen von Drogenepidemien ergibt sich die Forderung, alle erdenklichen Anstrengungen zum Erreichen einer drogenfreien Gesellschaft zu unternehmen. Unsere eigenen therapeutischen Erfahrungen in zahlreichen Fällen seit Ende der 60er Jahre zeigen, dass es möglich ist, einem jungen Menschen aus den Drogen herauszuhelfen; allerdings ist der Wiederaufbau gesunder zwischenmenschlicher Beziehungen und einer beruflichen Entwicklung mit grossem zeitlichem und menschlichem Einsatz verbunden. Es liegt eine besondere Tragik darin, dass sich das Drogenproblem auf dem Rücken der Altersgruppe der Jugendlichen derart ausgeweitet hat. Der Adoleszente – nicht mehr Kind, aber auch noch nicht Erwachsener – durchläuft eine kritische Entwicklungsphase. Was ihm da an Persönlichkeitsentwicklung und Ausbildung durch Mechanismen der Drogensucht verlorengeht, ist später nur schwer wiederzugewinnen. Daher gilt auch hier: Vorbeugen ist besser als heilen. Alle Möglichkeiten der primären Prävention sollten ausgeschöpft werden, um zu verhindern, dass Jugendliche in die Drogenszene einsteigen.
Das heute vorhandene Drogenproblem muss von allen Seiten her angegangen werden: darin stimmen wir mit dem Konzept der Vereinten Nationen überein: Auch das Konzept des VPM‑ basiert auf einer differenzierten Mehrfachstrategie. Zu dieser gehören in erster Linie:
Aufklärung und Prävention mit dem Ziel, die Drogennachfrage zu vermindern. Zur sog. Primärprävention gehört vor allem die Stärkung der Persönlichkeit des Jugendlichen, d.h. die Stärkung des Selbstwertgefühls, die Entwicklung von Beharrlichkeit im Verfolgen positiver, eigener Ziele und die Förderung der Kooperationsfähigkeit in Familie, Schule, Ausbildung und im Freundeskreis. Neben diesem präventiven Teil gehören zu unserem Konzept aber auch die Hilfeleistung an den Süchtigen in Richtung auf Drogenfreiheit sowie das entschlossene Verfolgen des Drogenhandels und des Drogenkonsums – in Übereinstimmung mit den internationalen Vereinbarungen.
Die Schädigungen. die alle Rauschdrogen im menschlichen Körper verursachen, haben Konsequenzen für die gesamte Persönlichkeit des Menschen und für sein soziales Umfeld. Dies ist der Grund für die Abstinenzforderung. Die starke suchterzeugende Wirkung dieser Drogen verbietet – unter dem Aspekt der Prävention – jegliche verharmlosende oder gar propagandistische Darstellung der Drogenwirkung, denn eine verharmlosende Information kann den Jugendlichen zu gefährlichen Experimenten mit Drogen verleiten. Hingegen ist eine genaue sachgerechte Aufklärung über die körperlichen Auswirkungen für die Prävention conditio sine qua non.
Eine weitere Voraussetzung der Präventionsarbeit ist die Kenntnis der Mechanismen der Verbreitung von Drogensucht:
Nils Bejerot hat schon Anfang der 70er Jahre durch ausgedehnte und minutiöse Feldforschung in Schweden gezeigt, dass die epidemieartige Ausbreitung des Drogenkonsums bestimmten Gesetzmässigkeiten folgt. Je mehr sich eine Drogen“kultur“ etabliert und ausbaut, desto grösser und vielfältiger sind die Möglichkeiten einer psychosozialen Ansteckung“. Mit psychosozialer Ansteckung ist der Kontakt mit Personen gemeint, die bereits Drogen konsumieren und die den Neuling in Technik, Gebrauch und Gepflogenheiten des Drogenkonsums einführen und ihn mit den einschlägigen Bezugsquellen bekannt machen. Nils Bejerot hat gezeigt, dass am Anfang jeder Drogenkarriere eine solche Bekanntschaft steht.
Dazu ein Beispiel: Eine Jugendliche berichtete uns von ihren ersten Erfahrungen mit Drogen:
„Als ich ungefähr 14 Jahre alt war, war mein Gefühl in der Gemeinschaft der Gleichaltrigen ein äusserst unsicheres. Auch meinem damaligen Freund fühlte ich mich unterlegen, empfand ihn als äusserst gescheit und gab viel auf das, was er sagte. Er pflegte zu einem Paar aus München, auf das er sehr ausgerichtet war, freundschaftliche Beziehungen. Sowohl diese Münchner Freunde als auch er hatten bereits Drogenerfahrung. Da für mich alles, was mein Freund tat und dachte, von vornherein gut war, musste ich unbedingt drogenerfahren werden. Ich wollte ja auch sein wie diese Freunde, so mutig, intellektuell und interessant, wie sie mir damals vorkamen. “
Beachten Sie, dass in diesem Fall der Mechanismus der psychosozialen Ansteckung nur auf dem Boden eines geschwächten Selbstwertgefühls des jungen Mädchens greifen konnte.
Damit komme ich zum Schwerpunkt der Vorbeugung für Eltern, Lehrer und alle mit der Jugend erzieherisch Befassten: Die psychischen und sozialen Vorbedingungen zum Drogenkonsum – oder Risikofaktoren – und die sich daraus ergebenden präventiven Möglichkeiten:
Die Gefahr für einen Jugendlichen, der psychosozialen Ansteckung anheimzufallen, ist um so grösser, je mehr Risikofaktoren in seinem Lebensgefühl und in seiner Lebenssituation vorhanden sind. Hier sind einerseits intrapsychische Momente, andererseits Einflüsse aus seinem Umfeld zu beachten.
Wenn man den intrapsychischen Bereich ins Auge fasst, so stehen speziell folgende Risikofaktoren für Drogenkonsum im Vordergrund:
- ein geschwächtes Selbstwertgefühl
- mangelnder Lebensmut ein Verlust positiver Zielsetzungen in bezug auf die Ausbildung oder das Leben allgemein,
- eine Unfähigkeit, tragfähige Beziehungen aufzubauen und ~ ein Mangel an Fähigkeit zur Konfliktlösung.
Betrachtet man das Problem vom sozialen Umfeld her, so sind mehrere Lebensbereiche des Jugendlichen von grosser Bedeutung:
- die familiäre Konstellation,
- die schulische Entwicklung, die Rolle im Freundeskreis,
- die Beziehung zum anderen Geschlecht und
- die Möglichkeit, eigene berufliche Ziele zu verwirklichen.
Im folgenden Beispiel waren gleich mehrere dieser Bereiche gestört, als Antonio begann, Drogen zu nehmen: Nach einer Berufslehre zog Antonio als junger Mann vom Land in die Stadt, wo et seine erste Stelle antrat. Er berichtet uns:
„Am Arbeitsplatz hatte ich einen äusserst schwierigen Chef. Er war ausländerfeindlich, und als er rausbekam, dass meine Mutter Italienerin war, war ich für ihn erledigt. Dauernd musste ich mir tendenziöse Bemerkungen anhören, und ich fühlte mich nicht in der Lage, ihm etwas entgegenzusetzen. Dazu kam die Trennung von meiner Freundin. Alles geschah in einem Streit und lief völlig wie ein Film ab. Meine erste Liebe war also dahin. Durch den Wegzug von Zuhause stand ich plötzlich in einer Leere und dies erst noch in einer fremden Stadt. Alles, was ich mir in dieser Zeit gewünscht hatte, waren nette Menschen, die mich verstehen und die mich akzeptieren. “
Durch Belastungssituationen in den drei Lebensbereichen Familie, Freundschaft und Beruf entstand bei Antonio eine psychische Schwächung und damit eine Anfälligkeit für die psychosoziale Ansteckung. der er dann auch anheimfiel.
Die intrapsychischen Faktoren und die Bedingungen aus dem engeren sozialen Umfeld ergeben zusammen mit der gesellschaftlichen Einstellung zu den Drogen ein ganzes Ursachennetz.
Zur gesellschaftlichen Einstellung gehören insbesondere:
- der Stand der Aufklärung über die Schädlichkeit von Drogen, die Prestigeträchtigkeit des Drogenkonsums in den Medien,
- der Grad der Akzeptanz von Drogen,
- ein bejahender oder verneinender Sprachgebrauch, z. B. von Vorbildern aus gewissen Kultur‑ und Subkulturbereichen und
- die Anwendung der bestehenden Gesetze, um die Süchtigen geeigneten therapeutischen Massnahmen zuzuführen.
Die ursächlichen Faktoren der Entstehung einer Drogensucht, wie wir sie dargestellt haben, sind gleichzeitig auch Ansatzpunkte für die Prophylaxe. Dabei greifen die intrapsychischen Faktoren mit allen sozialen Lebensbereichen des Jugendlichen ineinander. Im folgenden werden anhand der verschiedenen sozialen Bereiche aus dem Umfeld des Jugendlichen einige Ansätze zur Drogenprävention aufgezeigt:
Familie
Die Verbreitung der Drogensucht stellt die Eltern heute vor eine neue Aufgabe. So, wie Eltern ihre Kinder sonst auch auf Gefahren im Leben aufmerksam machen und ihnen zeigen, wie man sich davor schützt, können sie in der Familie darauf hinarbeiten, dass ihre Kinder nicht willenlos den Verführungen der Drogensucht anheimfallen.
Risikofaktoren anzusprechen, die mit der familiären Situation zusammenhängen, ist heikel, und es darf niemals so verstanden werden, als ob den Eltern, die für das Wohl ihrer Kinder ihr Bestes geben, eine Schuld zugewiesen werde. Risikofaktoren können sich unerkannt herausbilden und sind den Beteiligten meist nicht bewusst.
Gerade weil die Familie heute von vielen Seiten abgewertet wird, kann nicht genug darauf hingewiesen werden, dass ein Abbau familiärer Bindungen verheerende Folgen hätte. Die Familie ist für die Entwicklung des jungen Menschen zentral, und die familiäre Bindung hat weit über die Erziehung hinaus als emotionaler Rückhalt für das ganze spätere Leben eine grosse Bedeutung.
Im positiven Fall wächst das Kind an der Persönlichkeit der Eltern mit, lehnt sich ans Vorbild an, beobachtet sehr genau, welche Werte im Leben entscheidend sind und wie die Eltern ihre soziale Verantwortung wahrnehmen.
Wo sich Schwierigkeiten herausbilden, sollten Eltern Gelegenheit zu fachkundiger Unterstützung und Anleitung haben, und zwar möglichst in einem Anfangsstadium und nicht erst, wenn die Probleme schon ein grösseres Ausmass haben. Elterngruppen, Elternschulung und Einzelfallarbeit sind deswegen von grosser präventiver Bedeutung.
Das Bewusstwerden eigener Gefühlsanteile in einer psychologischen Erziehungsberatung ermöglicht den Eltern, die Beziehung zum Kind adäquat und der jeweiligen Gefühlssituation angemessen zu gestalten. Auf dieser Grundlage kann sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kind entwickeln, das nicht nur ein spontanes Wechselspiel ermöglicht, sondern dem Kind zugleich einen Rückhalt bietet. sich auch in schwierigen Situationen an die Eltern zu wenden.
Die Eltern schaffen damit die Voraussetzung, dass sich das Kind im positiven Sinne ~n ihnen orientiert. In dem Masse, wie Interesse und Anteilnahme am Mitmenschen bei den Eltern lebendig sind, wird das Kind diese Fähigkeiten auf seiner Ebene und in seiner Art ausbilden. Auf diese Weise entwickelt das Kind im Rahmen der Familie auch alle weiteren Fähigkeiten, die es als positive Werte in seinem Lebensgefühl und Lebensziel mitträgt:
zum Beispiel:
- Einfühlungsvermögen,
- Anteilnahme an den Belangen der grösseren Gemeinschaft,
- die Entwicklung von Verantwortungsgefühl,
- das Anstreben von gewaltlosen Konfliktlösungen,
- Möglichkeiten zur Entwicklung tragfähiger Beziehungen sowie
- Ausdauer und Beharrlichkeit im Verfolgen der eigenen Zielsetzungen.
Diese positiven Werte und die Erfahrung, dass Schwierigkeiten gelöst werden können, bringt der Heranwachsende in die Pubertätszeit mit: er wird dann auch später anstehende Probleme angehen und nicht die Flucht in die Drogen ergreifen.
In Übereinstimmung mit Alfred Adler und Walter Toman haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Stimmung unter den Geschwistern, die unterschiedlichen Rollen, die sie in der Familie und im sozialen Umfeld haben und die Unterschiede im Vorankommen sowohl positive wie auch negative persönlichkeitsbildende Bedeutung haben können.
Dazu ein weiteres Beispiel aus der Lebensgeschichte eines Drogensüchtigen:
„Als ich zwei Jahre auf der Welt war, habe ich einen kleinen Bruder bekommen. Er hatte sich aufgemacht, um es mir gleich zu tun, und es dauerte nicht lange, bis er den Altersunterschied wettgemacht hatte. Unser Vater, der oft mit uns werkelte, freute sich auch über die Entwicklung des Kleinen. Ich war dabei auf der Strecke geblieben. Bald hatte mich nichts mehr interessiert, und ich überliess ihm das Feld. So nahm ich einen Platz in der zweiten Reihe ein. Ich hatte das Gefühl, für meinen Vater nicht mehr wichtig zu sein.
Als ich sechs Jahre war, stellten meine Eltern noch ein Mädchen in die Welt. Dieser kleine, süsse Fratz war nun das Spielzeug meines Vaters. Das schlug dem Fass den Boden aus. Das fand ich ungerecht: So klein, kann überhaupt nichts, und trotzdem hat der Vater eine unendliche Freude an ihr. Er spielte stundenlang mit ihr, kreischte vor Vergnügen oder trug sie die ganze Zeit auf den Schultern. Ich versuchte, dieses Verhältnis mit allen Mitteln zu stören. Ich ärgerte den Vater wo es ging, und die Kleine plagte ich fortwährend. Mein Vater verstand meine Not nicht und bestrafte mich. Aus dieser neuen Familiensituation war ich also noch mehr geschwächt, und mein Gefühl, dass es ohne mich schöner wäre, verstärkte sich. Das war mein vordringlichstes Gefühl in der Familie und war es in der Schule, überhaupt immer begleitete es mich unter den Menschen. Als Erwachsener versuchte ich diesem Gefühl der Überflüssigkeit möglichst zu entrinnen. Ich vermied es, unter Menschen zu sein. Die Droge bot sich als weitere Möglichkeit an, dieses quälende Lebensgefühl zu unterdrücken. “
Die Eltern haben die Möglichkeit, das Zusammenspiel der Geschwister untereinander anzuleiten und Freundschaft zwischen ihnen zu legen und zu fördern. Wenn das gelingt, so ist dies von grösster präventiver Bedeutung.
Da, wo keine intakten Familienstrukturen oder wo Erschwernisse durch gesellschaftliche Umstände gegeben sind – wie Fremdarbeitersituation, berufliche Doppelbelastung, alleinerziehende Mütter – sollte die Gesellschaft Hilfestellungen auf pädagogischem und psychologischem Gebiet geben, um die Situation zu bewältigen, so dass das Kind seine Entwicklung auf der positiven Seite des Lebens machen kann.
Ein weiterer grosser Bereich, welcher für die Persönlichkeitsbildung und Prävention entscheidend ist, ist die Schule. Vom Kindergarten hin bis zur Berufsbildung nimmt die Schule im Leben des Kindes und des Jugendlichen zeitlich und bedeutungsmässig eine zentrale Stellung ein. Sie vermittelt Kulturtechniken, erweitert und vertieft den Wissensbereich und hilft, soziale Erfahrungen über den Rahmen der Familie hinaus zu machen. Die Erfahrung, sich lernend neue Wissensbereiche aneignen zu können und den Horizont zu. erweitern, wirkt sich auf die Herangehensweise an Lebensprobleme allgemein aus.
Ein gutes leistungsmässiges Vorankommen verhilft dem Jugendlichen zu mehr Wissen und stärkt gleichzeitig die eigenen Fähigkeiten. Das Abgleiten in einem oder mehreren Leistungsbereichen kann eine Entmutigung ergeben. Im inneren Ablauf kann dies die Infragestellung der eigenen kognitiven Fähigkeiten und unter Umständen auch ein Einknicken in der bisherigen Zielsetzung bewirken. Nach aussen wird eine solche Entmutigung oft nur als Schulverleider (Überdruss) oder Mangel an Interesse in einem bestimmten Fachbereich wahrgenommen. In der psychischen Verfassung sind solche Vorgänge oft vorhandene, jedoch wenig bekannte Risikofaktoren für den Drogenkonsum. Die Entmutigung rechtzeitig zu erkennen und zu beheben, ist darum ausserordentlich bedeutsam für die Prophylaxe. Sowohl Eltern wie Lehrer
können einem beginnenden negativen Verlauf an jedem Punkt durch sachgerechte Hilfestellung und Ermutigung wieder eine Wendung zum Positiven geben.
Das Vorankommen des Schülers ist aber auch getragen von der Stimmung in der Klasse und der Beziehung zum Lehrer. Empfindet der Schüler beim Lehrer gefühlsmässige Beachtung und Aufgehobensein, so traut er sich, sich auch mit Schwierigkeiten an ihn zu wenden, ihn nach Möglichkeiten der Bewältigung zu fragen und sich von ihm anleiten zu lassen. Gerät zum Beispiel ein Schüler in der Klasse in eine negative Rolle, hat ein geschulter Lehrer einiges in der Hand, um ihm aus dieser Position wieder herauszuhelfen. In einer solchen Atmosphäre des Vertrauens zum Lehrer ist es auch möglich, dass Schüler ihre Fragen zu Sinn oder Unsinn des Drogenkonsums stellen, fundierte Antworten ernsthaft überlegen und sich so eine eigene Sicht erarbeiten.
Auch für die weitere Ausbildung von Werten hat der Lehrer grosse Bedeutung. Seine Einstellung im zwischenmenschlichen Bereich kann für den Schüler ebenso Vorbild sein wie seine Einstellung zu gesellschaftlichen Fragen und zur Erhaltung der Demokratie und wie seine Stellungnahme zur Gewalt.
Neben der Schule ist der Beruf ein wichtiger Lebensbereich, der das Gefühlsleben des Jugendlichen stark beeinflusst. Zentral ist dabei die Berufsfindung selbst, das heisst, dass der Jugendliche nach Möglichkeit einen Beruf erlernen kann, der seinen Fähigkeiten, seinen Eignungen und Neigungen entspricht. Wird er in einen Beruf gedrängt, der ihm in keiner Weise entspricht, führt das unter Umständen zu einem allgemeinen Verlust an Interesse. Ein Gefühl von Nutzlosigkeit und Resignation kann sich breitmachen. Aufgeschlossene Lehrpersonen, die den jungen Menschen geduldig und sachkundig anleiten und ihn in eine kompetente Berufsausübung einführen können, haben grosse Bedeutung. Sie stärken damit das Selbstwertgefühl des Jugendlichen und leisten so einen Beitrag zur Prophylaxe Aber auch in der Berufsschule kann der Lehrer – sofern er sich für die menschlichen Belange seiner Schüler interessiert – einen Lehrling auffangen, wenn sich Schwierigkeiten ergeben. Auch wenn er den Schüler nur wenige Stunden pro Woche in der Klasse hat, kann er der Vertraute des Schülers werden und für den Jugendlichen eine grosse Bedeutung bekommen. Es spielt eine wichtige Rolle, ob Lehrer und Lehrmeister den Jugendlichen in einer kritischen Situation rechtzeitig stützen und ihn ermutigen, sich den Herausforderungen der beruflichen Ausbildung zu stellen.
Der Freundeskreis, die Peer-group, erhält in der Zeit der Pubertät und des Erwachsenwerdens neben der Verankerung in der Familie stärkeres Gewicht. Findet der junge Mensch Anschluss an einen Freundeskreis Gleichaltriger, unter denen tragfähige Beziehungen bestehen und die sich im positiven Sinne mit etwas beschäftigen können, ist er weniger gefährdet, sich vom Drogenmilieu einfangen zu lassen. Sein Selbstvertrauen wird grösser, wenn er unter Gleichaltrigen oder unter Erwachsenen etwas beitragen kann oder auch Jüngere anleiten kann.
Eine weitere Möglichkeit ist, Jugendliche an den Fragen und Aufgaben des Gemeinwesens zu beteiligen, ihnen Gelegenheit zu geben, zur Geltung zu kommen und ihre Umgebung mitzugestalten. Hier eröffnet sich ein weites Feld, das heute kaum in die Jugendarbeit einbezogen wird. Zum Beispiel könnten sich Jugendliche an der Drogenaufklärungsarbeit beteiligen. Bestehen keine positiven Peer-groups oder gelingt es einem Jugendlichen nicht, sich einer solchen anzuschliessen, ist er anfällig dafür, sich von Jugendlichen beeindrucken zu lassen, die durch cooles Auftreten, durch Abwertung anderer und durch Entwertung normalen bürgerlichen Lebens zu imponieren versuchen. Vielfach ist der einzige Inhalt derartiger negativer Peer‑groups das Beschaffen und Konsumieren von Drogen.
Das anfangs zitierte Beispiel von Antonio veranschaulicht diesen Mechanismus:
„Nun beobachtete ich am Arbeitsplatz, dass sich gewisse junge Leute oft trafen und diskutierten. Die hatten es irgendwie lustig zusammen und waren auch äusserlich anders als die anderen Arbeiter. Ich suchte den Kontakt mit ihnen und wurde schnell in ihren Kreis aufgenommen. Ich fühlte mich bald wohl denn diese Kollegen waren mit dem Chef auch nicht zufrieden und die Gesellschaft passte ihnen nicht recht. Alle hatten Probleme mit Freundinnen oder mit den Eltern. Und dann war da noch etwas Geheimnisvolles, in das sie mich bald einweihten: Sie rauchten alle Haschisch und Marihuana, einer war ‚Gelegenheitsfixer‘. Meine neuen Freunde versprachen mir, dass man nach einem Joint noch viel aufgestellter sei und alles noch intensiver und aufregender erlebe. Da ich merkte, dass ich doch nicht ganz dazugehörte, wenn sich die anderen zurückzogen, um zu rauchen, entschloss ich mich, dieses Wundermittel mal auszuprobieren. “
Mitglieder dieser negativen Peer-groups üben oft einen starken Druck aus. Schwer gefährdet, sich in einer solchen Gruppe einzuleben, sind Jugendliche, die schon seit längerem sozial und seelisch belastet sind: dann auch diejenigen, die jetzt – wie Antonio – in einer akuten Krise stecken. Gefährdet sind aber auch Jugendliche, deren einziges Handicap ist, nicht „Nein“ sagen zu können: sie laufen Gefahr, den Erwartungen und Forderungen negativ orientierter Gleichaltriger zu erliegen.
Jugendliche, die in einer relativ guten Verfassung sind, sich aber auf Experimente mit Drogen einlassen, kommen dann, wenn eine Krise aufkommt, in eine stärkere Gefährdungssituation. Die Gefahr der psychosozialen Ansteckung ist in allen diesen Fällen gross.
Die Peer‑group ist auch deshalb von so grosser Bedeutung, weil sich in ihr die ersten Annäherungs‑ und Gehversuche im Verlieben und in der Beziehung zum anderen Geschlecht abspielen. In der Liebesfrage verläuft die
Entwicklung der jungen Menschen sehr individuell. Der eine verliebt sich früher, der andere lässt sich Zeit. Die Art des Kontaktes ist sehr unterschiedlich. Von flüchtigen Begegnungen bis zu tiefergehenden Beziehungen ist das Spektrum sehr breit.
Selbstbestätigung und Freude, die ein junger Mensch in einer Liebesbeziehung findet, können ihn in seiner Entwicklung sehr bestärken und beflügeln. Zu einem Sich‑Finden in Erotik und Zärtlichkeit braucht es o~ mehrere Erfahrungen. Ebenso bedeutend ist, ob die Werthaltungen des oder der. Ausgewählten den eigenen Interessen, Zielsetzungen und Einstellungen zum Leben entsprechen.
Nicht zuletzt muss der Jugendliche in dieser Phase auch lernen, mit Enttäuschungen umzugehen. Nicht jeder hat in dieser Zeit einen vertrauten Menschen, dem er erzählen kann, wie es ihm geht. Am schönsten ist es, wenn er bei den Eltern die Erfahrung macht, dass er darin verstanden wird. Für viele ist aber die Verletzbarkeit sehr gross, und sie sprechen mit niemandem über ihre Gefühle. Zurückgewiesen‑Werden, Missverständnisse, Kränkungen im Selbstwertgefühl, Versagen oder Ungenügen hinterlassen ihre Spuren und werden o~ schwer verarbeitet. Drogenkonsum kann auf dem Boden einer solchen Stimmung seinen Anfang nehmen. Ich erinnere noch einmal an das Beispiel von Antonio, bei dem unter anderem auch eine Liebesenttäuschung dem Beginn seines Drogenkonsums vorausging.
Zusammenfassung
Sinnvolle Prophylaxe setzt voraus, dass die Risikofaktoren in ihrer Entstehung und Behebung bekannt sind. Viele Risikofaktoren bilden sich heraus, ohne von den beteiligten Bezugspersonen bemerkt zu werden. Durch Schulung der Eltern in Elterngruppen und Gesprächskreisen, durch Schulung der Lehrer und Jugendbetreuer kann erreicht werden, dass sie in die Lage kommen, die emotionalen Gefahrenmomente, die schliesslich zum Drogenkonsum führen können, bewusster zu erfassen und ihnen aufbauend entgegenzuwirken.
Selbstwertgefühl, Lebensmut. positive Zielsetzungen, Beziehungsfähigkeit und Fähigkeit zur Konfliktlösung sind Gradmesser dafür, wie der Jugendliche seine Lebensaufgaben bewältigen kann. Die Eltern haben darauf auch in der Pubertät weiterhin grossen Einfluss, wenn sie verstehen, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, an seinen Sorgen Anteil zu nehmen, es bei der Bewältigung von Schwierigkeiten schrittweise anzuleiten und es zu ermutigen; so kann die Gefahr, dass sich eine Grundlage für die Entwicklung von Drogensucht bildet. vermindert werden.
Im schulischen Bereich wie auch in der Berufsausbildung eröffnen sich dem Lehrer vielfältige Möglichkeiten der Prophylaxe, wenn er seine Schüler zur Bewältigung der Lernschwierigkeiten anleiten und ermutigen kann. Nicht nur im Leistungs‑, sondern auch im Sozialbereich kann der Lehrer mit entsprechender Schulung und gutem Einfühlungsvermögen viel beitragen, indem er dem Schüler hilft, zwischenmenschliche Probleme im Klassenverband gut zu bewältigen und so verhindert, dass er zum Alleingänger oder Aussenseiter wird, der für die Drogensucht anfälliger ist.
Viel Entmutigung kann verhindert werden, wenn der Heranwachsende auch in der Liebesfrage bei seinen engeren Beziehungspersonen einen vertrauten Gesprächspartner mit entsprechendem Feingefühl hat.
Wesentliche Ansatzpunkte der Prävention liegen auch in der Unterstützung positiver Peer-groups, dem Kreis gleichaltriger Freunde und Bekannter. Altere Jugendliche, erwachsene Vorbilder und Bezugspersonen im Umfeld sind auf Zielsetzungen und Wertvorstellungen solcher Kreise nicht ohne Einfluss.
Jugendgruppen könnten viel mehr als heute an der Verbesserung ihrer Umwelt und an den Aufgaben der Gemeinde beteiligt und zur Geltung gebracht werden, Jugendliche, die sich in einer positiven Peer‑group heimisch fühlen und zum Beispiel mithelfen, über die Schädlichkeit von Drogen aufzuklären, werden wenig geneigt sein, sich selbst, ihren Bezugspersonen und der Gesellschaft Schaden durch Drogenmissbrauch zuzufügen.
Drogenprophylaxe ist damit mehr als nur das Verhindern von Konsum. Wirksam und dauerhaft ist sie dann, wenn sie dem jungen Menschen zu einer vielseitigen Lebensbewältigung verhelfen kann.