Die gemeinsame Volksschule, in der Kinder aller sozialen Schichten und aus unterschiedlichsten Elternhäusern jahrgangsmässige Lern-Gemeinschaften bilden, in welchen die erste Einübung demokratischer Tugenden ausserhalb des Elternhauses geschieht, ist die Schule der Demokratie für die Kinder. Hier werden sie angeleitet, sich mit den Grundabläufen im demokratischen Gemeinwesen zu identifizieren und sie einzuüben. Dies ist in der Schweiz eine demokratische Errungenschaft des 19. Jahrhunderts, die 1848 zum unverzichtbaren Grundbestandteil des Nationalstaates wurde. Der Staat stirbt, wenn seine Bürger nicht in Elternhaus und Schule die Demokratie leben lernen. Erst dadurch, dass die Bürger sich von innen heraus mit ihm identifizieren und ihn als vernünftige Ordnung bejahen, erschafft Demokratie als Lebensform. Im Kindergarten als Vorstufe hin zur Volksschule lernen die Kinder die spielerische Ausbildung der geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte, die für die Volksschule später Voraussetzung sind.
Der Auftrag des Kindergartens und der Volksschule ist gemäss Volksschulgesetz die Förderung jedes einzelnen Kindes. Die Kinder sollen zu gemeinschaftsfähigen, an Geist und Gemüt reifenden Menschen erzogen werden, in denen die Jugend ihre schöpferischen Kräfte zu entfalten vermag und wo sie mit der Welt des Wissens und der Arbeit vertraut gemacht wird. Dabei soll gleiches Gewicht auf die Entwicklung des Geistes, des Gemütes und der körperlichen Fähigkeiten gelegt werden. Alles soll unternommen werden, damit das Kind gesund heranwachsen kann. Dem Kindergartenkind soll geholfen werden, schulreif und gemeinschaftsfähig zu werden.
In völliger Abkehr davon und an Gesetz und Volk vorbei wird derzeit in verschiedenen Schweizer Kantonen, ja sogar europaweit in öffentlichen Kindergärten das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ lanciert, das letztlich das gesetzliche Ziel des Kindergartens, nämlich „schulreif und gemeinschaftsfähig“ zu werden zerstört. Im Rahmen der Suchtprävention entwickelt, sollten mit diesem Projekt „Kompetenzen“ wie Selbstbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit sowie soziale Kompetenzen gefördert werden, damit die Kinder angeblich gegen Suchtanfälligkeiten geschätzt wären.
Das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ ist radikal: Die Kindergärtnerin muss alle Spielsachen und das gesamte pädagogische Material, mit dem sie sonst arbeitet, Farbstifte, Scheren usw., gemeinsam mit den Kindern (!) wegschliessen. Man fragt sich, ob man richtig gehört hat! Während nur noch Mobiliar, Matten, Seile, Tücher und Holzkisten zurückbleiben, muss die Kindergärtnerin sich nun bewusst aus der pädagogisch anleitenden Beziehung zu den Kindern zurückziehen. Wie in einem Selbstbedienungsladen darf sie nur noch „Hilfen“ und „Denkanstösse“ bereithalten, wenn die Kinder sich von sich aus an sie wenden. Sie darf nicht mehr aktiv pädagogisch tätig sein, wie es das Gesetz festlegt und wie es der sozialen Natur des Kindes entspricht. Doch das ist erst der Anfang des Projekts „Spielzeugfreier Kindergarten“.
Die ihrer pädagogischen Mittel beraubte Kindergärtnerin darf nun gemäss Projektanweisung nur noch das Geschehen beobachten und ihr eigenes Verhalten sowie das der Kinder dokumentieren. Damit ist sie auch noch ihrer pädagogischen Funktion beraubt. Das ist ein von oben verordneter Bruch mit der Geschichte des Schweizer Bundesstaates und dem Volksschulgesetz, denn die Bildung von „gemeinschaftsfähigen, an Geist und Gemüt reifenden Menschen“, wie das Gesetz dies zwingend vorschreibt, kann nur in einer aktiv anleitenden pädagogischen Beziehung zwischen Kindergärtnerin und ihren Kindern heranreifen.
Das verheerende seelische Leid, das sozialpsychologische Experimente wie das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ erzeugen, müsste hinreichend aus den leidvollen Erfahrungen mit antiautoritären Kinderläden und Gruppendynamik bekannt sein. Bereits wenige Wochen nach Einführung des Projekts „Spielzeugfreier Kindergarten“ beschreiben die betroffenen Kindergärtnerinnen, was zu erwarten war: Die Kinder sind in kurzer Zeit völlig desorientiert, weil die aktive Beziehungsaufnahme der Kindergärtnerin fehlt und die Kinder im Umgang miteinander nicht mehr angeleitet werden. Die Weigerung der Kindergärtnerin, den Kindern ein sinnvolles Spiel- und Beschäftigungsangebot zu geben, bewirkt eine psychische Regression. Sie fallen in ihrer Entwicklung zurück. Psychische Defizite der Kinder, allfällige Irritationen und Fehlverhalten bis hin zu offenen Aggressionen fliessen ungehindert ins Klassengeschehen ein. Im Kindergarten entsteht Chaos, der Lärmpegel ist unerträglich.
Ein allgemeiner Kampf entsteht, in dem der Skrupelloseste und Stärkste die Oberhand gegen den Schwächeren zu bekommen sucht. Schon nach einem Tag haben sich jene Kinder, die vorher schon Schwierigkeiten hatten, sich konstruktiv in der Kindergruppe zu verhalten, zu einer Bande zusammengeschlossen und halten sich die meiste Zeit im Freien auf, wo sie sich jeglicher Kontrolle entziehen. Sie beschmieren das Kindergartengebäude mit Dreck, zertrampeln Gartenbeete, reissen wahllos Äste von den Bäumen und schrecken auch nicht davor zurück, sich gegenseitig mit verschiedenem Material zu schlagen und aufs Gröbste zu beschimpfen. Scheue Kinder aus der Gruppe haben begonnen, sich dieser Bande anzuschliessen, bewundern und kopieren deren Verhalten. Andere Kinder sind noch ruhiger und ängstlicher geworden, da ihnen die Ermutigung und Unterstützung der Kindergärtnerin fehlen. Während drei Monaten lernen die Kinder nichts Konstruktives, was sie in ihrer Entwicklung fördert und stärkt. Die dominanten Kinder haben die Führung übernommen, andere Kinder schliessen sich ihnen an, weitere unterziehen sich. Aus einer Kindergruppe, die vorher auf dem Weg war, zu einer Gemeinschaft zusammen zu wachsen, ist eine Schar von haltlosen, verunsicherten und ichbezogenen Kindern geworden, in der das Gesetz des Stärkeren herrscht.
Ein solcherart umgekrempelter Kindergarten bildet egoistische, schwache und/oder gewaltbereite Kinder heran, das Gegenteil von dem, was das Gesetz will. Die Volksschule hat den gesetzlichen Auftrag, nicht den Kampf aller gegen alle zu fördern, sondern verantwortungsvolle und mündige Bürger heranzuziehen, die später einmal in der Lage sein sollen, in der Gemeinde gleichwertig mit anderen Mitbürgern, Lösungen zum Wohle aller zu suchen.
Wir rufen in Erinnerung: Was im Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ einsetzt wird, sind Psychotechniken aus der Gruppendynamik (nach Kurt Lewin und Jakob Moreno). Ihre Verwendung im Bereich der Pädagogik ist verboten, in der Erwachsenenbildung ebenso wie im Kindergarten. Weil es sich um den Einsatz psychologischer Techniken handelt, die in den Bereich der Psychotherapie gehören, bedürfen sie der Zustimmung der Betroffenen oder, im Falle von Unmündigen der Zustimmung der Eltern als deren gesetzliche Vertreter.
Kurt Lewin, der Begründer der Gruppendynamik, nennt als deren Grundprinzip: „Go with the flow of the group!“ Heisst: Die Gruppe sich selbst überlassen und sie den Weg ihrer Entwicklung selbst finden lassen ‑ ohne Plan, ohne Leiter. Das wichtigste Ziel ist dabei, dass die Beteiligten jede Ich-Kontrolle verlieren, indem sie auf vorbewusste Gefühle und Antriebe regredieren (Regression). Sie sollen alles „´rauslassen, was in ihnen steckt“, bis hin zu Hass, Aggression und Destruktivität. Vorgeblich sollen sich die Beteiligten dadurch ihrer Rolle bewusst werden, die sie in der Gruppe einnehmen, und ihre Rolle selbständig neu aushandeln und Regeln und Normen der Gruppe neu definieren lernen.
In Wirklichkeit verlieren sie dabei das Entscheidende, was ein Mensch braucht, um seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden: Seine Ich-Kontrolle. Und das jetzt an unseren Kindern? Wer hat ein Interesse, dass unsere Kinder keine reifen Persönlichkeiten ausbilden? Derartige Experimente sind gefährlich. Sogar in ihrem Ich gefestigte Erwachsene können an derlei Experimenten psychischen Schaden nehmen.
Die Methode der Regression und die dadurch bewirkte Auflösung der Ich-Kontrolle hat noch eine weitaus bitterere politische Seite: Gruppendynamische Sitzungen (von manchmal mehreren hundert Menschen, die sich über viele Stunden hinzogen) haben gezeigt, dass in der ersten Phase des Prozesses der Abbau von Hemmungen, Steifheit, Schüchternheit geübt wurde. Bald einmal bewog man den einzelnen aus dieser Stimmung heraus zu immer mehr Handlungen, mit denen er Schritt für Schritt und immer mehr gegen seine eigenen moralischen und ethischen Ideale handelte, wodurch er seine Moral in Wirklichkeit zerstörte, wobei ihm eingeredet wurde, dass das Freiheit sei. Man fasste sich und das Gegenüber zum Beispiel auf Anweisung des Gruppenleiters an, wie man es sonst nie getan hätte, und bald erreichte man das eigentliche Endstadium: Der Saal, hunderte von Menschen, tat gleichförmig, was die Kommandostimme aus dem Mikrophon verlangte. Die in kleinkindliche Zustände Regredierten waren zu einer Masse von gleichgeschalteten willenlosen Objekten geworden, die mit sich jeden Unsinn machen liessen, den der Leiter forderte. Das ist das undeklarierte Ziel, auf das die Gruppendynamik hinausläuft.
Dass unsere Kinder in den Kindergärten durch das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ derartigen undeklarierten gruppendynamischen Psychotechniken ausgesetzt werden, welche die Persönlichkeitsentwicklung zurückwerfen auf frühere Stufen (Regression), muss beendet werden.
Das ist gegen den gesetzlichen Auftrag der Volksschule, die von Steuergeldern bezahlt wird.
Das ist gegen das Recht des Kindes auf Erziehung: Die Regression nimmt ihm die Möglichkeit zur Entwicklung einer starken Persönlichkeit, worauf es schon vom Naturrecht her einen natürlichen Anspruch hat.
Das ist gegen das Elternrecht: Die Eltern bestimmen gemäss dem Naturrecht, ob ihre Kinder psychologischen Verfahren ausgesetzt werden oder nicht.
Und es ist ethisch-rechtlich ein Skandal, derartige, die Persönlichkeit auflösende Psychotechniken an unseren Kindern erneut anzuwenden, nachdem sie in der Pädagogik längst verboten worden sind.