Das zynische Leben des «Dr. Tod» – US-amerikanische Schützenhilfe für die Schweizer «Euthanasie»bewegung

8. Dezember 1998

Die Agenda der «Internationalen des würdigen Sterbens» zeigt klare Planung: In der zweiten Hälfte des Jahres 1998 findet in der Schweiz der Weltkongress der «Euthanasie»gesellschaften statt. Pünktlich hierzu einigt sich die parlamentarische Arbeitsgruppe «Sterbehilfe» der Schweizer Regierung: Patiententötungen durch jedermann, der sich als «hilfloser Helfer» fühlt, solle in Zukunft straffrei sein. In den Niederlanden geht zeitgleich dazu erstmals ein Gesetzesvorschlag erfolgreich ins Parlament, «Euthanasie» völlig zu legalisieren. In Frankreich werden gleichzeitig Patiententötungen bekannt. Und aus den USA erhält die europäische Bewegung Schützenhilfe durch den 70jährigen Jack Kevorkian. Die US-Bundesstaaten Michigan und Kalifornien haben ihm schon lange das Ärztepatent entzogen.

 

Kaltblütiger Mord im Dienste der Gesellschaftsveränderung

Die internationale Presse verschafft ihm internationale Publicity, als «Dr. Tod» im November 1998 vor laufender Kamera einen Patienten tötet. Der Fall scheint klar: Etwa 15 Millionen Menschen sehen über den Sender CBS, wie der 52jährige Thomas Youk von Jack Kevorkian mit einer Giftspritze getötet wird. Der Staatsanwalt spricht von kaltblütigem Mord. Der zuständige Richter im Staate Michigan aber zögert, Anklage zu erheben. Die Familie des Patienten ist zuvor hinausgeschickt worden, aber nur, um sie vor Strafverfolgung zu schützen.

Kevorkian hat, wie in allen anderen Fällen, auch diese Patiententötung auf Video aufgezeichnet und sie an CBS geschickt. Das CBS-Büro New York erklärt, der Film leiste einen «wichtigen Beitrag zur landesweiten Debatte über Sterbehilfe». In sechs Bundesstaaten strahlen die dortigen CBS-Sendes den Film aber nicht aus.

Wie «Dr. Tod» selbst sagt, will er einen Musterprozess provozieren und dabei öffentlichen Druck auf Justiz und Gesetzgeber machen, um die Legalisierung der «Tötung auf Verlangen» und der «Beihilfe zum Suizid» («Euthanasie» bzw. «Sterbehilfe») voranzutreiben. Im Falle einer Verurteilung will Kevorkian in einen unbefristeten Hungerstreik treten.

Die «New York Times» kommentierte die öffentliche Patientenhinrichtung damit, die Fernsehkultur habe einen «neuen Tiefpunkt erreicht». Das erklärt aber nicht viel.

Jack Kevorkian geht nach neoliberalen Rezepten und mit den Mittel moderner Medienkampagnen vor, die problemlos die marxistischen Agitprop-Prop-Methoden der neulinken «Ausserparlamentrischen Oppositionen» kopiert und integriert haben: Man breche demonstrativ das Gesetz, der «kreativ Rechtsbruch» (Spescha). Dabei sichere man sich die Aufmerksamkeit der Medien und führe dann in einer unter Druck gesetzten Öffentlichkeit einen von Medienspektakel begleiteten (Schau)Prozess, während dessen zwar im Gerichtssaal über den Angeklagten zu Gericht gesessen wird. In den Medien jedoch über das «ungerechte Gesetz» und den «repressiven Staat».

 

Das neue «lebensunwerte Leben»

Kevorkian ist ein schreckliches Beispiel, wie die weltweit in den angloamerikanischen und europäischen Industriestaaten operierende «Euthanasie»bewegung mit unwissenschaftlichen Phrasen und Praktiken des ausserparlamentrischen Kampfes angeheizt und unterhalten wird. In den Niederlanden ist die Bevölkerung durch derartige Taktiken während 20 Jahre weichgeklopft worden.

Mehr als 120 Menschen hat Kevorkian bis heute in den Tod «geholfen». Eine Amerikanerin berichtet 1995, wie sie und Jack Kevorkian eine Kranke mittels Gas töteten: ,Ich hielt ihr den Kopf hoch und der Doktor setzte ihr die Gasmaske aufs Gesicht!»

Bilder aus Auschwitz tauchen auf! Jack Kevorkian ist ein gefühlskalter Psychopath. Seine Botschaft ist einfach und passt zum Leasure-pleasure-Lebensstil: Das Leben ist wertvoll – solange man jung, fit, «knackig», stark, arbeitsfähig und gesund und genussfähig ist – und alles «rund läuft». Wird man älter, bekommt man Probleme, wird krank und Gebrechen stellen sich ein, kommt irgendwann unweigerlich der Punkt, wo das Leben im Lichte dieses Lebensstils «lebensunwert» wird. In dieser grundsätzlichen Einstellung dem Leben gegenüber kann man plötzlich nicht mehr unterscheiden zwischen der nationalsozialistischen Verachtung des Schwachen, Kranken und Gebrechlichen einerseits und andererseits der Angst des modernen bindungslosen Hedonisten, schwach, alt, krank zu werden – und angewiesen auf die bisher abgelehnte Hilfe der Mitmenschen.

Jack Kevorkian hat die überwertige Idee, er müsse im Namen der Vernunft der Menschheit «helfen», dass es weniger belastendes «lebensunwertes» Leben gebe. Denn, wenn jemand «sowieso sterben muss», meint er, solle man doch «vernünftigerweise» schauen, wie man dessen «nutzlosen Körper» für die «Fitteren», die noch zu leben haben, optimal ausschlachten könne. Der Mensch als Schrottplatz der neoliberalen Biopolitik! Das Leben ohne Solidarität des globalen Hedonisten.

 

Faszination des Grauens

In den 50er Jahren studiert der gebürtige Armenier Jack Kevorkian in den USA Medizin und will als Gesellschaftserneuerer berühmt werden. (Massen)Mord und Tod faszinieren ihn. Er provoziert, wo er kann, um bekannt zu werden. Er setzt auf den bewussten Tabu- und Gesetzesbruch als Mittel der Gesellschaftsveränderung. Von Übernamen wie «Dr. Tod», «Dr. Frankenstein» oder «Dr. Seltsam» fühlt er sich geschmeichelt. Tragen sie ihm doch gewinnträchtige Publicity ein.

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren tut sich Kevorkian mit solch verrückten und makabren Vorschlägen hervor, wie zum Beispiel, man solle zum Tode Verurteilte nicht hinrichten, sondern nur einschläfern, dann könnte man an ihnen medizinische Experimente machen und sie schliesslich als Organersatzlager verwenden. «Dem Tod eine nützliche Seite abgewinnen», nennt er das. Schade sei es nämlich um die vielen schönen Organe, die bei jeder Hinrichtung verschwendet würden!

 

Der Gesellschaft Leid und Kosten ersparen ….

«Unheilbare» Krankheiten will Kevorkian durch «Euthanasie» bzw. «freiwilligen Selbstmord» ausrotten. Um die Kosten im Medizinalsektor zu senken, will er sogenannte «Obitorien» (Selbstmordzentren) einrichten und die Menschen in «Obiatrie» (Lehre von der Todesbegegnung) «schulen». «Death Education» heisst es hierzulande. Wieso, fragt sich der Grössenwahnsinnige,  sollte sich nicht eine Alzheimer Patientin zum Beispiel «vernünftigerweise» rechtzeitig umbringen oder umbringen lassen? Das erspare – so Kevorkian – zum einen der Patientin viel Leid und ihre Organe könnten zudem jemandem anderen nützlich sein! Für sie und für die Gemeinschaft wäre das doch objektiv ein Gewinn! So dachten schon die Nationalsozialisten über die «Vernichtung lebensunwerten Lebens»!

 

Handlungsreisender in Sachen Tod

Als Kevorkian Ende der 80er Jahre eine ,Euthanasie»maschine baut und anwendet, bekommt er bald an an keinem amerikanischen Spital mehr eine Stelle. Seine Rechnung geht jedoch auf: Ein bis heute anhaltender internationaler Medienrummel beginnt – je verrückter und krasser und gemeiner, desto bekannter. US-amerikanische Talk-Shows behandeln den «Dr. Tod» wie einen Pop Star: Auf Platz Nummer zwei der Hitliste der beliebtesten zehn Werbesprüche für seine Tötungsmaschine rangiert in der Talk Show von David Ledderman der makabre Spruch «Wenn Du nicht in dreissig Minuten tot bist … ist sie kostenlos.» Mittels Zeitungsanoncen sucht Kevorkian nach Opfern: «Ist jemand in Ihrer Familie todkrank? Will er oder sie in Würde sterben? Rufen sie ärztlichen Beistand: 583 23 26.» Kevorkian sieht seine Opfer dann zwei- oder dreimal, stellt von der letzten Sitzung ein Videoband her, das die angeblich «freie» Entscheidung der oder des Patientin/en festhält. Dann fährt Kevorkian mit seinem Opfer an einen unbekannten Ort, um – ungestört von der Polizei – zu töten. Danach informiert Kevorkian die Polizei. Seine Tötungsmaschine wird im amerikanischen Fernsehen angepriesen, als handle es sich um ein neues Mittel zu Lackpflege von Autos.

 

Geschäft mit der Angst

Kevorkian macht sein Geschäft mit der Angst der Menschen, nicht «unnötig leiden» zu wollen. Jene Angst, die ihnen die Medien zuvor eingeredet haben. Er verdiene kein Geld, sagt er, im Gegensatz zu anderen «Sterbehilfe»–Organisationen, die entweder direkt abkassieren oder «aus Dankbarkeit» ein Teil des Erbes vermacht bekommen. Kevorkians Lohn ist es, bewundert zu werden, als gefeierter Exzentriker im Rampenlicht zu stehen, am Fernsehen auftzutreten und zu wissen, dass Millionen zuschauen – schadenfreudig aber auch zu wissen, dass Millionen ein Schauer über den Rücken läuft.

Dass Kevorkian keine Zulassung mehr als Mediziner besitzt ‑ um so besser für seinen Medien-Ruhm. Die leidenden Patienten, die sich den Tod aufschwatzen lassen, sind nur Statisten in Kevorkians Leben, betont auch Nancy Dickey von der American Medical Association. Die Menschen würden sich bald einmal nicht mehr an die unglückliche Frau X oder den suizidalen Herrn Y erinnern, deren Liebste und Familien sich die Augen ausweinen – aber immer noch an einen Dr. Kevorkian …

 

Grössenwahnsinn

Der Gott spielende Kevorkian wähnt sich als Herr über Leben und Tod: «Im Namen der menschlichen Vernunft Vernunft, die sie langsam verlieren, habe ich mich entschlossen, Ihnen in zwei Tagen zu helfen, am Morgen des 4. Juli.» So leitet er zum Beispiel das letzte Gespräch zwischen einer Alzheimerpatientin, deren Mann und sich ein.

Am 30. März 1993 – 13 Menschen sind bis dahin durch Kevorkian umgekommen – tritt im Staate Michigan die «Lex Kevorkian» in Kraft. Man hat wegen seiner Umtriebe die «aktive Sterbehilfe» verboten. Ehe das Gesetz in Kraft tritt, meldeten sich noch Dutzende Lebensmüder bei dem unbarmherzigen Verrückten an, die, ehe es zu spät ist, bei Kevorkian «Hilfe» suchen.

Das gesetzliche Verbot ist aber nur ein weitere Bestätigung für Kevorkian seinen «Euthanasie»-Kreuzzug fortzusetzen. Nach dem 30. März 1993 tötet Kevorkian innerhalb von sechs Monaten weitere sechs Patienten. Kevorkian testet bewusst aus, ob und wie konsequent das neue Recht durchgesetzt wird. Und tatsächlich: In vier der Fälle wird die Anklage fallengelassen, weil die Richter das Gesetz für verfassungswidrig halten. Nur in einem Fall kommt Kevorkian vor Gericht und – wird freigesprochen. Er verspricht, nun nichts mehr zu unternehmen, bis der Oberste Gerichtshof der USA geprüft hat, ob das Gesetz von Michigan verfassungskonform ist. Ein Sieg des «kreativen Rechtsbruchs» auf ganzer Linie. Kevorkians Anwalt ist der junge Geoffrey Fieger, der sich auf Ärzte spezialisiert hat, die einen Fehler begangen haben. Bekanntlich ist es eines der einträglichsten Geschäfte für US-amerikanische Rechtsanwälte, Ärzte zu verklagen, und hohe Schadensersatzforderung durchzusetzen.

Mit dieser Taktik wurde die niederländische Bevölkerung jahrzehntelang öffentlich bearbeitet, um eine landesweite Akzeptanz der «Euthanasie» durch Öfentlichkeitsarbeit herbeizureden.

Um den sendungsbewussten Kevorkian (Kevorkians Schwester Mago: «Er muss es tun, es ist sein Schicksal!») ist eine regelrechte kleine Gemeinde entstanden. Einmal jährlich treffen sich die Angehörigen der durch Kevorkian Getöteten zu gottesdienstähnlichen Veranstaltungen. Rechtsanwalt Fieger ist mit dabei. Er gedenkt von der Kanzel herab der Toten der «Bewegung» und feiert den Meister als (noch) verkannten Gesellschaftsveränderer, dessen leuchtende Botschaft die Welt noch nicht wolle, aber: «Eines Tages wird sich die Welt an den kleinen armenischen Arzt mit dem Namen Kevorkian erinnern. Er hatte den Mut, die Welt ein bisschen zum Besseren hin zu verändern.» Der Witwer eines der Opfer von «Dr. Tod» meint, Kevorkian gehöre nicht zum Durchschnitt. Die grossen Veränderungen in der Gesellschaft würden nicht von Durchschnittsmenschen bewirkt, sondern von solchen, die «anders» seien, die alles für eine Idee oder ein Prinzip opfern. Kevorkian bietet seinen Anhängern einfache Rezepte an: Alle Probleme der Welt stammen von Tyrannen, medizinischen, religiösen und juristischen. Dafür lieben ihn seine Anhänger, weil er ihnen zu ihrem verdienten Tode verhilft.

Kevorkian wird von den meisten heutigen amerikanischen Ärzten eher abgelehnt. Darunter aber sind viele, denen er einfach nur etwas zu direkt ist. Für sie sagt jedoch «Dr. Tod», was sie auch denken und was sie – etwas «zivilisierter» bitte doch! – auch wollen.

Dass Kevorkian zum Medienstar wurde, muss zu denken geben. Er ist ein Blockadebrecher, in dessen Kielwasser «gemässigtere» Sterbehelfer schwimmen und von seiner schockierenden Skrupellosigkeit profitieren, mit der das öffentliche Reden über das Töten vorangetrieben wird. «Man muss über alles diskutieren dürfen», fordern auch in der Schweiz seit 1993 die «Euthanasie»-Propagandisten. Diese «Liberalen» kritisieren Kevorkian lediglich, weil er zu «extrem» in der Wahl seiner Mittel sei. Grundsätzlich aber geben sie ihm recht. Sie wollen es besser machen als er und rufen als «Vernünftige» dazu auf, dass man einen «Mittelweg» finden müsse. Aber dass der öffentliche Diskurs über das, was Hitler schon tat, salonfähig wurde, verdanken sie Dr. Tod.

Ein gutes Beispiel dafür ist der US-amerikanische Arzt Dr. Quill. Er kritisiert Kevorkian öffentlich, dass dieser schnelle Lösungen für komplizierte Fälle anbiete. Der «Gnadentod» sei aber kein Thema für schnelle Lösungen. «Er hat unser Bewusstsein geschärft. Oh Gott, wir wollen es nicht so, wie Kevorkian es getan hat. Aber wir wollen kein Umfeld, wo die Ärzte Angst haben, überhaupt etwas zu machen.» Was heisst «überhaupt etwas zu machen»: Dr. Quill verschreibt einer Leukämiepatientin Gift, damit sich diese «erlösen» kann!

Kevorkian wirkt bizarr. Auch die deutschsprachigen Medien vermarkten diesen US-amerikanischen Import gerne. Das Thema «Dr. Tod» ist „in“. Die brutale Offenheit und Skrupellosigkeit Kevorkians, die im Gewand von Freiheit und Vernunft einherkommt, hat Sensationswert und verspricht Einschaltquoten. Ein Brutalo, den sozusagen das Leben selbst schreibt. Das ist aber nur die eine Seite.

Verrückte gibt es zu allen Zeiten. Wer aber hat heute ein Interesse daran, diesen und andere Wahnsinnige für die «Legalisierung» der «Euthanasie» einzuspannen? Cui Bono? Peter Singer sagt in der zweiten Auflage seines Buches «Praktische Ethik»: Deutschland hat ein Problem mit dem Nationalsozialismus. Die Deutschen könnten sich nicht von ihrer Hitler-Vergangenheit lösen und akzeptieren, dass es lebensunwertes Leben gebe, das man besser «erlöse». Nota bene: Peter Singers Grosseltern starben elend in Hitlers Kzs.

 

Patiententötung «kann unmenschlich aussehen. Es liegt dies aber in der Durchführung als solcher …»

Die Nazis waren lange vor Peter Singer schon der festen Überzeugung, man werde in späteren Zeiten einmal einsehen, dass die «Euthanasie» «gut gemeint war».

Patiententötung «kann unmenschlich aussehen. Es liegt dies aber in der Durchführung als solcher …», sagte Hitlers Leibarzt Karl Brandt 1947 während des Nürnberger Ärzteprozesses.[1] Eine «fehlerhafte Durchführung» war zum Beispiel, dass Angehörigen zwei Urnen mit der angeblichen Asche ihres verstorbenen Angehörigen zugeschickt worden waren. Brandt: Das sei «bedauerlich, aber es trifft nicht das Prinzip und kann meiner Meinung nach auch dieses Prinzip nicht erschüttern.»[2]

Hinter dem Massenmord an Patienten stand nach Brand ein «humanes» Prinzip: «Dahinter stand: dem Menschen, der sich nicht selbst helfen kann und der unter entsprechenden quälenden Leiden sein Dasein fristete, eine Hilfe zu bringen. Diese Überlegungen ist sicher nicht etwas Unmenschliches, und es ist auch von mir nie als irgend etwas Nichtethisches oder Nichtmoralisches empfunden worden. Ich weiß, daß durch die äußeren Umstände der Durchführung, im wesentlichen immer wieder dieses Moment der Geheimhaltung, bedauerliche Zwischenfälle aufgetreten sind, trotz allen Versuchs und allen Bemühungen dieser Durchführungsstelle, diese zu verhindern.» [3]

Das Problem der Patiententötung also eine Frage der «richtigen Durchführung»? Der Nazi-Arzt sieht sich wie die Heutigen «Sterbehelfer» als Anwalt der wahren Interessen des Patienten: «Außerdem erwartet der Patient, daß man ihm hilft, und die Angehörigen erwarten es in gleicher Weise.»

Fehler in der Verwaltung und Fehler bei der Geheimhaltung seien also dafür verantwortlich, dass die Patiententötungen unmenschlich erschienen seien. Brand kennt die internationale Diskussion und weiss, «dass auch heute wieder und vielleicht gerade in diesem Augenblick in anderen Staaten und Ländern die Frage der Euthanasie erneut debattiert wird, daß sie entsprechenden Exponenten der Kirche zusammenschliessen, sowohl unter den evangelischen  wie den Methodisten und denen sich anschließenden Ärztevereinigungen.»[4]

 

Kommende werden es besser machen

«Wenn man über diese Frage der Euthanasie sich offen ausspricht und sich müht, von einer ernsten Grundlage der Tatsachen sich gegenseitig zu verstehen, so wird meiner Meinung nach auch für die Zukunft ein Weg für die Durchführung zu finden sein», sagte Brandt 1947. [5]

Die ethische Rechtfertigung der Nazi-«Euthanasie» war eine ,medizinische». Diese Mörder empfanden die Tötung einer «Widernatur» nicht als Unrecht, sondern hielten im Gegenteil die Tötung dieser «Widernatur» für den Patienten und für das Volk für eine Erlösung aus einem «Krankheitszustand». Nur so wird verständlich, warum im Rahmen der nationalsozialistischen Euthanasie nach den «unheilbar Geisteskranken» bald auch Juden vergast wurden. Sie sah man als «Krankheitserreger» am «Körper» des Volkes, die man wie ein Chirurg herausschneiden müsse, um dem «Volkskörper» das «Leben» zu retten.

Die obigen Worte Brandts sind nicht nur die Rechtfertigung eines Mannes, dem der Tod durch den Strang droht. Der Rechtfertigungscharakter dieser Worte dürfte sogar extrem gering sein, denn Brandt war ein bedingungsloser Getreuer Hitlers und ging tapfer und im Bewusstsein der Unschuldigkeit in den ungerecht empfundenen Tod. Brands Worte: «Dahinter stand: dem Menschen, der sich nicht selbst helfen kann und der unter entsprechenden quälenden Leiden sein Dasein fristete, eine Hilfe zu bringen.» zeugen von der «Banalität des Bösen», wie es Hannah Arendt nannte. Sie hat bei Eichmann die gleichen Beobachtung gemacht: Er konnte sich fürchterlich erregen über die Unkorrektheit bei Tötungen und den dabei entstandenen Grausamkeiten. Die «korrekt» durchgeführten Morde aber ließen ihn kalt. So auch Brandt. Für ihn hat die Tötung eines Geisteskranken «sicher nicht etwas Unmenschliches, und es ist auch von mir nie als irgend etwas Nichtethisches oder Nichtmoralisches empfunden worden.» [6] Dass man es nicht richtig geheimhielt und dadurch «Grausamkeiten provozierte», das empörte ihn! Es war ja geradezu die Spezialität der Nazis, dass sie keinen derÄrzte zwangen, Patienten zu töten: «Er hatte umgekehrt und im Gegenteil die Verpflichtung, wenn er nicht damit einverstanden ist, unter keinen Umständen eine Euthanasie durchzuführen.» [7] Professor Büchner aus Freiburg/Br. lehnte am 18. November 1941 die Patiententötungen öffentlich ab. Verschiedene Professoren verzichteten auf neue Veröffentlichungen. Aus den Reihen der katholischen Kirche kam Widerstand. Gegen Hitler wurde Strafanzeige erstattet. Dieser gab im August 1941 Karl Brand den Befehl, die «Euthanasie»-Aktion zu stoppen.

 

 

«Fortschritte in der Medizin» machen es besser?

Peter Singer Mahnung, die Deutschen hätten ein Problem mit ihrer Nazivergangenheit, scheint 1998, während der mittlerweile globalen «Euthanasie»-Kampagne, planerisch überwunden. In dem Bericht «Delphi ´98», Zusammenfassung der Ergebnisse der «Studie zur globalen Entwicklung von Wissenschaft und Technik», herausgegeben vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF), Karlsruhe 1998, heisst es auf Seite 37 unter «Fortschritte in der Medizin»:

«Auch wenn durch Aufklärung der Bevölkerung, Schulung des medizinischen Personals sowie vertrauensbildende Maßnahmen die Zahl der Organspenden so weit ansteigen wird, daß der Bedarf an Spenderorganen gedeckt werden kann (2006 bis 2014), wird in vielen Fällen keine Heilung möglich sein. Dann liegen wahrscheinlich anerkannte Verfahren zur Prognose des Krankheitsverlaufs vor, so daß über Sterbehilfe auf Verlangen von Patienten im höheren Lebensalter und von Schwerstbehinderten entschieden werden kann (2008 bis 2017). Außerdem wird die „Pille danach“ medizinisch genügend erforscht und ethisch weitgehend akzeptiert sein (2003 bis 2009): Ein gesellschaftlicher Fortschritt.» [eigene Hervorhebung]

 

 

Wie sagte Brandt 1947?

«Wenn man über diese Frage der Euthanasie sich offen ausspricht und sich müht, von einer ernsten Grundlage der Tatsachen sich gegenseitig zu verstehen, so wird meiner Meinung nach auch für die Zukunft ein Weg für die Durchführung zu finden sein.»

 


 

Anmerkungen

[1] Mitcherlich, A./Mielke, F. Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt/Main 1962, S. 206. [eigene Hervorhebung]
[2] Ebd. [eigene Hervorhebung]
[3] Ebd. [eigene Hervorhebung]
[4] Ebd., S. 207. [eigene Hervorhebung]
[5] Ebd. [eigene Hervorhebung]
[6] Ebd., S. 206. [eigene Hervorhebung]
[7] Ebd., S. 205. [eigene Hervorhebung]

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