Wer heute in Weimar die Buslinie hinaus nach Buchenwald nimmt, trifft draussen acht Kilometer vor der Stadt Goethes und Schillers auf die Überreste des ehemaligen Konzentrationslagers. Von den ehemaligen im Halbkreis angeordneten SS-Kasernenbauten gelangt man zum Lagertor, unter der SED Diktatur mit einem Bild von Ernst Thälmann geschmückt. Am Tor vorbei, ausserhalb des ehemaligen Barackenlagers entlang des hier ein Stück weit konservierten Lagerzauns mit seinem typischen Stacheldraht gehend, steht man plötzlich mitten zwischen Bäumen vor einem Bärengehege: Einen kleinen Zoo hatte sich hier die SS angelegt, finanziert aus Häftlings“spenden“. Bis zum todbringenden Zaun sind es nur wenige Meter. Die SS und ihre Familien nutzten dieses Gelände als Freizeitbereich.
Dahinter erblickt man ein weites Feld, auf dem bis 1950 mehr als 60 Baracken standen. Heute sind die Grundrisse der ehemaligen Blocks durch in den Boden eingelassene Steinplatten gekennzeichnet. Die so entstandenen Felder sind mit grobem Schotter belegt. Dazwischen kann man die Lagerstrassen erkennen. Unmittelbar hinter dem Zaun steht als einziges Gebäude das Krematorium mit seinen Verbrennungsöfen, der Genickschussanlage, dem Leichenkeller und dem Seziertisch, alles wiederaufgebaut.
In Buchenwald wurden alle ermordet: Juden, sowjetische Kriegsgefangene, Polen, Franzosen, Niederländern, Litauer, Italiener, Norweger, Jugoslawen, Tschechen, Homosexuelle, politische Gefangene. Auf nahezu 56 000 wird die Gesamtzahl der bis 1945 Ermordeten geschätzt. Staunend aber sieht man in der Leichenkammer an den Wänden fast ausschliesslich russische Inschriften, auf dem Boden Blumensträusse, alles zum Gedenken an die sowjetischen Toten. An jener Stelle, da die SS Ernst Thälmann unmittelbat vor dem Krematorium ermordete, hängt eine Gedanktafel. Fast möchte man meinen, hier seien nur Kommunisten und Juden ermordet worden. Jede Schulklasse hat sich hier verewigt und ihrer Betroffenheit Ausdruck verliehen. Im Gästebuch heisst es Seite für Seite „Nieder mit dem Faschismus“, „Nie wieder Faschismus“ u.s.w.
Doch dann geht man einen kleinen Weg bergab, überschreitet die ehemalige Lagergrenze. Der Zaun steht hier nicht mehr, nur hier und da ein Stück verrosteter Stacheldraht, ein zerbrochener Pfeiler, aus dessen zersprungenem Beton die rostige Eisenarmierung ragt und der noch ein paar Isolatoren trägt mit einem Stückchen Draht daran, durch den einst Strom geflossen ist. Jenseits beginnt ein kleiner Weg in einen Wald hinein. Und hier beginnt der Teil der Weltgeschichte, den der Besucher im schön hergerichteten oberen Teil nicht zu Gesicht bekommt. Der Weg endet nach einiger Zeit in dem kleinen Wäldchen, das man auf ihm betreten hat. Die Bäume sind etwa so alt wie der Staat DDR. 1945 bis 1950 war hier freies Feld. Heute sieht man rechts und links des Weges, so weit das Auge den Wald durchdringt, einen Pflock neben dem anderen eingeschlagen, jeder etwa 30 bis 40 hoch, am Ende mit roter Fabe markiert und einer Nummer versehen: Ich zähle 563, 564 … unter jedem Pfahl liegt eine Gruppe Toter, namenlos, verscharrt. Der Waldboden um die 40 jährigen Buchen herum ist fest, so dass der Wind das Laub von den erhöhten Stellen wegweht und der blanke Boden sichtbar ist. Bei jedem der Pflöcke aber bildet die Erde eine Kuhle, in der sich das Laub ansammelt. Vor vierzig Jahren waren das einmal aufgeworfene Grabhügel, die sich dann almählich gesenkt haben. Man kann aus der Grösse der Kuhlen kaum richtig erahnen, wieviel Tote in jede Grube kamen. Es müssen Tausende sein, die hier beseitigt wurden. Ich gehen den Weg weiter, sehe rechts im Wald ein namenloses, schlichtes Birkenkreuz. Etwa dort endet der Weg auf einem kleinen Platz. Man tritt in einen Kreis von etwa 40 bis 50 blumengeschmückten Kreuzen und liest: „Ohne Verurteilung, ohne Schuld, ohne Benachrichtigung, Kurt Eichler, * 8.4.1891 † Hier in Buchenwald am 13.1.1947“, Daneben: „* 25.10.1893 Hermann Esptude V 8.2.1948“. Wir sind auf dem Gelände des sowjetischen Speziallagers Buchenwald von 1945-1950. Die Sowjets haben das KZ Buchenwald 1945 für ihren Terror übernommen und ihm den Namen „Speziallager des MWD Nr. 2“ gegeben. Das hatte man auf dem grossen Gelände mit den Lagerstrasse nicht erfahren. Auf der Karte des offziellen Lagerprospektes wird dieser kleine Waldfriedhof heute noch „Speziallager 2, 1945-50“.genannt! Nach der deutschen Kapitulation 1945, führte der sowjetische Geheimdienst MWD das von Hitler erbaute KZ weiter. Einen „Ehrenhain für die Opfer des Faschismus“ legte man am 11.9.1949 zynischerweise etwas ausserhalb an, weil dort ja wieder gestorben wurde. Dort verhungerten aber nun nicht mehr die Opfer des „Faschismus“, sondern nun waren es Zehntausende von Deutschen. Die offiziellen sowjetischen Angaben sprechen von 42 889 Menschen, die hier umgebracht wurden. Man darf offizielle sowjetische Zahlen, schon gar, wenn sie so genau aussehen, getrost anzweifeln. Der Leichenberg der Nazis wirft damit keinen längeren Schatten als der der bolschewistischen Diktatoren.
1950 erst wird das Lager aufgelöst, die Volkspolizei übernimmt es für kurze Zeit, dann wird es systematisch abgerissen. 1954 beschliessen die SED-Diktatoren, eine Mahn- und Gedenkstätte einzurichten. Man baut Teile des Lagers wieder auf, unterschlägt aber die Hälfte der hier zugrundegerichteten Menschen. Die Opfer des sowjetischen Massenmordes in Buchenwald von 1945 bis 1950 verschwinden in Schweigen. Die kommunistische Diktatur errichtet sich hier ein Symbol der Rechtmässigkeit der eigenen Macht und eine repräsentative Kulisse eigener absoluter Machtfülle. Und daher bekommt noch der heutige Besucher den Eindruck, hier wären nur Kommunisten, russische Kriegsgefangene, Zigeuner und Juden ermordet. An der Stelle des „Ehrenhaines“ aus dem Jahre 1949 entsteht jetzt ein Monumentalbau von Ehrenmal im Stile totalitärer Kunst, der am 14.9.1958 eingeweiht wird. So werden die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur, von der bolschewistischen Diktatur benutzt, um dahinter den eigenen Massenmord zu verbergen. Die Zehntausende von Verhungerten und Erschlagenen haben bis heute nur höchstens einen Pflock mit einer anonymen Nummer in einem Buchewäldchen, das heute noch den Namen des sowjetischen Konzentrationslagers trägt: „Speziallager 2“. Nur wenige Kreuze stehen dort am Ende des kleinen Weges. Sie wurden in den letzten paar Jahren angebracht. Im Rahmen der sogenannten „Jugendweihestunden“ wurden in der alten DDR die Schulklassen durch das ehemalige KZ Buchenwald geschleuchst. Sie sahen dort das Mahnmahl für die Opfer des „Antifaschismus“, das Ernst Thälmann Bild über dem Eingangsbau, die Ernst Thälmann Gedenktafel am Eingang des Krematorium, wo man ihn ermordet hatte. Sie sahen die russischen Inschriften in der Leichenkammer, die Blumen für die sowjetischen Toten. Ein ehemaliger Häftling führte und erzählte seine Erlebnisse. Alles hatte etwas tourismusartiges an sich. Eine Lehrerin beschriebt aus dieser Zeit solch einen Besuch: „Dann der Blick in den Verbrennungsofen – es macht einen fertig! Und angesichts solcher Sachen halb Tourismus, halb sonstwas. Ich empfand das als furchtbar. Und plötzlich sagt so ein Schüler zu mir, ich weiß noch wie der hieß, das werde ich nie vergessen: ´Wie ist das eigentlich, ich muß Sie jetzt doch etwas fragen. Dieser Mann da hat vorhin zu uns gesagt, 1945 wurde das Lager aufgelöst – aber mein Großvater war 1948 hier?!´ Mir wurde heiß, und ich hab´nur gesagt: ´Davon weiß ich nichts!´ “