Die Bedeutung des personalen Menschenbildes für ein Leben in Freiheit und Frieden

22. Mai 2016

Angesichts der Tatsache,

  • dass derzeit in Mazedonien, Israel und im Kongo mit zynischer Offenheit die nächsten Kriege um geostrategischer Vorteile Willen provoziert, geplant und/oder durchgeführt werden,
  • dass die Menschenrechte, einst als vorstaatliche Rechte und Schutz des Einzelnen gegen staatliche Willkür und Gewalt entwickelt, zur Waffe gegen den Menschen, zur Kriegspropaganda im Sinne einer „humanitären Intervention“ – wie zum Beispiel im Kosovo – missbraucht werden,
  • dass im Zuge einer rücksichtslosen Globalisierung die Nationalstaaten aufgelöst werden sollen, zugunsten übernationaler Grossmachtgebilde, und dadurch den Menschen mehr und mehr der rechtsstaatliche Schutz geraubt wird und sie dem brutalen Spiel der Macht ausgeliefert werden,
  • dass durch die gezielte Zerstörung nationaler Volkswirtschaften der Mensch der Diktatur eines deregulierten Weltmarktes unterworfen wird, der keine Verteilungsgerechtigkeit mehr kennt, sondern nur noch hemmungsloses Profitstreben, wodurch der Mensch zum reinen Produktions- und Konsumtionsfaktor entmenschlicht und als blosses Mittel zu wirtschaftlichen Zwecken entwürdigt wird,
  • dass die Menschen der globalisierten Welt ihrer natürlichen Bindungen beraubt und aus ihren gewachsenen Kulturen gerissen werden, damit sie schliesslich als „identitätslose“, „flexible“ Produktionsfaktoren für den Markt existieren, so dass der Mensch für den Markt und nicht mehr der Markt für den Menschen da ist;

 

angesichts dieser und vieler anderer Tatsachen ergibt sich immer deutlicher das Gesamtbild, dass wir heute mitten in eine Epoche leben, da die entscheidenden politischen Errungenschaften unserer Zivilisation – Demokratie, Gewaltenteilung, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Föderalismus, Sozialstaatlichkeit, und schliesslich das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und der Völker – als nutzlose Fossilien einer abtretenden Geschichtsepoche aufgegeben werden. Der fragile Ansatz an Zivilisation, den die Menschheit nach langem Ringen im freiheitlich demokratischen, gewaltenteilenden Rechtsstaat unter schweren Opfern errungen hat, wird immer mehr abgewertet, aufgegeben, aufgelöst und einem unkontrollierten Profit- und Machtstreben geopfert.

War es das Ziel aller konstruktiver politischen Bestrebungen seit den verheerenden Religionskriegen der frühen Neuzeit und dem Westfälischen Frieden 1648, die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Menschen und der Völker zu schützen und das Machtstreben einzelner und gesellschaftlicher Gruppen zu bändigen, so erleben wir heute, wie die Völker wieder neuen zentralistischen – wir können auch sagen – absolutistischen Systemen ohne Gewaltenteilung unterworfen werden, wie wir dies in der Europäischen Union oder auch in Konzepten einer „Neuen Weltordnung“ via UNO, ICC, Weltbank, IWF usw. finden.

 

Naturrecht als Wurzel

Das Beste aber, was das alte Europa an staatspolitischem Denken, an Einrichtungen zum – nationalen wie internationalen – Schutz des gerechten, sicheren Friedens, an Wissenschaft und an einer geordneten, gerechten Marktwirtschaft hervorgebracht hat, wurzelt letztlich im naturrechtlichen Denken des Abendlandes. Man kann Europa vieles an Unmenschlichkeit vorwerfen, man sollte aber über alle Anklagen nicht seine wertvollen Traditionen und Errungenschaften vergessen, mit denen es einzigartig dasteht: In Europa stand die Wiege des modernen Naturrechts, Namen wie Platon, Aristoteles, Cicero, Thomas von Aquin, die Schule von Salamanca, Pufendorf, Grotius, Locke, Monteqieux, Wolff, Vattel, Kant, die katholische Soziallehre und andere stehen stellvertretend für ein 2500 Jahre währendes Ringen um Menschlichkeit und Frieden im Zusammenleben. Das naturrechtliche Denken hat Menschenrechte, Gewaltenteilung, Demokratie und das Völkerrecht hervorgebracht, die Grundlagen für ein freies, friedliches und gerechtes Zusammenleben der Menschen und der Völker sicherten.

Das Naturrecht war und ist nichts anderes als der Versuch der Wissenschaft von einem Zusammenleben, das der menschlichen Natur entspricht: Vor allem gesetzten Recht, das war seine geschichtsmächtige Grunderkenntnis, vor aller Staatenbildung und vor aller Verfassung, über alle Zeiten hinweg und an allen Orten hat der Mensch natürliche Ansprüche, nichts anderes ist das Naturrecht, nichts anderes sind die Menschenrechte! Jeder Mensch kann sie geltend machen und muss sie geltend machen können, weil er Mensch ist und weil er die Möglichkeiten seines Menschseins ausschöpfen will. Mehr braucht es nicht zur deren Rechtfertigung. Es braucht keine bestimmte Hautfarbe, keine Leistung oder ein bestimmtes Alter. Allein die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch genügt, dass jeder Mensch das Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum etc. hat. Weil alle Menschen die gleiche Natur haben, kommen diese vorstaatlichen Rechte jedem gleichermassen zu. Es gibt keine Halb- oder Untermenschen. Alle sind bezüglich Recht und Gesetz gleich.

 

Tötungsverbot als oberstes Naturrecht

Zum Urmenschenrecht gehört das Tötungsverbot, das unmittelbar  mit Verbot des Kriegführens verbunden ist – es sei denn in Notwehr. Das Tötungsverbot ist universell. „Du sollst nicht töten!“ ist der Kern aller Hochreligionen. Denn der Schutz des Lebens und die Entwicklung des Menschen ist der Sinn und Zweck aller Kulturbildung. Deshalb steht das Tötungsverbot an allererster Stelle.

Der Mensch kann seinen sozialen Anlagen gemäss nur Mitmensch werden unter der Bedingung von Gewaltlosigkeit. Gewalt kann keine selbstbewussten Persönlichkeiten mit Vertrauen zum Mitmenschen hervorbringen, denn Vertrauen unter Menschen gründet unabdingbar in Freiheit und Gewaltlosigkeit. Das ist eine Konstante der menschlichen Natur, die niemand übergehen kann, ohne Schaden hervorzurufen.

Vertrauen zum Mitmenschen ist die Grundlage der Kulturentwicklung, aber auch der Persönlichkeitsentwicklung in allen Lebensphasen. Die erste natürliche Gemeinschaft, in der schon das Neugeborene dieses Vertrauen entwickelt ist die Familie. Ohne ein Grundmass an Urvertrauen entsteht kein Persönlichkeitskern im Kind, sein Denken entwickelt sich schwach, seine Sprachentwicklung leidet, seine mitmenschlichen Fähigkeiten verkümmern, die Kinder werden anfällig dafür, sich kritiklos Gruppenzwängen unterzuordnen, andere zu beherrschen, abzuwerten oder gar sadistisch zu quälen und darin einen pervertiertes Gefühl von Wert zu spüren, sie können sogenannte Borderline-fälle werden. Nichts ist besser im letzten Jahrhundert von der personalen Tiefenpsychologie und Entwicklungspsychologie erforscht worden. Die Anthropologie hat, ausgehend von Adolf Portmanns Grundlagenforschung in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts diese Zusammenhänge bestätigt.

Familien, der grössere Kreis der Verwandtschaften und Gemeinschaften brauchen, um existieren zu können, den Schutz und die Ergänzung durch grössere soziale Einheiten: andere Familien, die zusammen Dorfgemeinschaften, (kleinere) Städte bilden. Diese kleinen kulturellen Einheiten müssen für den Einzelnen überschaubar bleiben. Sie sind Räume gemeinsamer Sprache, Werte, Traditionen, durch die sie sich verständigen und beieinander geborgen fühlen können. Die Menschen bilden sie freiwillig und spontan und schaffen in gegenseitiger Hilfe alle Güter und Einrichtungen, die zum Leben nötig sind. Ausgangspunkt ist auch hier der Schutz des Lebens eines jeden durch Gemeinschaft. Und wir sehen, dass der Schutz des menschlichen Lebens und damit das Tötungsverbot die Grundlage der menschlichen Kultur bildet.

Hier wird auch die verheerende Wirkung deutlich, die Euthanasiedebatten, Kriege, Gewaltverherrlichung auf die Seele jedes einzelnen und auf das Zusammenleben haben. Wird doch damit Angst und Verrohung im Einzelnen hervorgerufen, wodurch die Grundlage des Zusammenlebens in zunehmendem Mass in Frage gestellt wird. In der Gesellschaft hält ein sozialdarwinistisches Denken Einzug. Mitgefühl und Solidarität schwinden und der „Kampf aller gegen alle“ wird zum beherrschenden Prinzip. Schliesslich wird es wieder selbstverständlich, den Krieg als Mittel der Politik hinzunehmen, was alle bisherigen ethischen und rechtlichen Grundlagen bricht.

Das ist der Vorgang, der heute passiert: Die Entstaatlichung der Welt und damit die Entrechtlichung der Menschen und Völker durch die Globalisierung, die Isolierung der Menschen, ihre Unterwerfung unter den Markt etc. alles das fördert den unbarmherzigen Kampf aller gegen alle, die Macht des Stärkeren, gesellschaftliche Ungleichheit, Dominanz von wirtschaftlich und militärisch Mächtigen über Schwache, Ausgebeutete. Das ist auch der Sinn der neuen NATO-Doktrin, nämlich nicht mehr die Souveränität der Staaten im Angriffsfall zu verteidigen, sondern die „vitalen Interessen“ – Rohstoffe, Kommunikations-, Verkehrs- und Handelswege – zum eigenen Vorteil überall in der Welt durchzusetzen, was nichts anders ist als menschenverachtende imperiale Weltmachtpolitik.

Zu all dem liefern Intellektuelle die entsprechenden Ideologien, die den Menschen das lähmende Gift einer schicksalhaften Notwendigkeit einimpfen, so als ob der Mensch in seiner Freiheit und Würde nicht Träger und Subjekt der Geschichte sei.

 

Falsche Theorien

Der Glaube der einflussreichsten Intellektuellen rechter wie linker Herkunft, jeglicher Couleur, dass es nicht der einzelne Mensch ist, die Person, die – aus ihrer sozialen Veranlagung – gemeinsam mit anderen die Geschichte gestalten kann und auch gestaltet, sondern dass der Mensch einem übergeordneten Geschichtsgesetz unterworfen sei, hat das Zwanzigste Jahrhundert in die grössten Katastrophen gezogen  (Rassenideologie, Stalinismus etc.). Nicht die Freiheit und Würde der Person ist in diesen Ideologien letzter Zweck und Ziel politischen Handelns, sondern die Erfüllung eines übergeordneten Geschichtsgesetzes. Im Namen anonymer schicksalhaft waltender Geschichtsgesetze wurde die Freiheit und Würde des Menschen stets unterdrückt, wurden Gewalt und Terror gegen Menschen gerechtfertigt.

Es ist das „falsche Menschenbild“ solcher Ideologien, die den Menschen knechten und ihn in totalitäre Abhängigkeiten und Systeme zwingt, weil sie die unveräusserliche/universelle Freiheit und Würde der Person in ihrem umfassenden Menschsein nicht achten und respektieren. Sie reduzieren das Menschsein auf wirtschaftliche oder sonstige Kollektiv- und Klasseninteressen und versuchen ihn so (schutz- und rechtlos!) wirtschaftlichen oder politischen Machtinteressen auszuliefen.

Die Ideologie des Neoliberalismus – so unsere These – wurde in Europa etwa in den achtziger Jahren (mit der Machtergreifung der Sozialisten in fast allen europäischen Ländern) durch eine pur-marxistische Gbalisierungsideologie verdrängt, ohne dass sie als marxistisch benannt oder bekannt wäre. Aber wer sie durchschaut, erkennt die „hidden agenda“ hinter der sozialistischen EU-Politik, die in Theorie und Praxis auf eine Vereinheitlichung der Verhältnisse hinausläuft, wo weder die Freiheit und Würde der individuellen Person noch die Souveränität der Völker respektiert wird: Der entscheidende Vorgang ist, dass der Mensch nur in seiner Funktion auf dem Markt, das heisst nur materialistisch im Hegelschen Sinne definiert wird und nun als solcher zur verwalteten Entität gemacht wird.

Diesen Theorien zufolge – wir finden sie bei Anthony Giddens, Ulrich Beck, Josef Fischer, Peter Glotz und vielen anderen mehr –  wird die historische Notwendigkeit einer neuen europäischen „postnationalen“ (Habermas) Ordnung oder gar einer neuen Weltordnung, in der die Nationalstaaten nahezu abgestorben sind, direkt aus dem Kommunistischen Manifest von Marx abgeleitet. Geschichtlich neu aber ist, dass sich die europäische Linke mit dem transnationalen Grosskapital verbündet, ihm freien Lauf gibt und versucht diese Bündnis zur umfassenden Machterrichtung zu nutzen, wie auch das transnationale Grosskapital von diesem Bündnis zu profitieren trachtet.

In der Theorie heisst es dann so: Es sei die Entwicklung der Produktivkräfte (die Kommunikations- und Computertechnologie) gewesen, die eine neue globale Produktionsweise hervorgebracht habe; diese wiederum habe neue, globalisierte Produktionsverhältnisse – die sogenannte Informationsgesellschaft – entstehen lassen. Die bisherigen Produktionsverhältnisse, – durch nationalstaatliche Grenzen beschränkt – erweisen sich als Fesseln und müssen gesprengt werden. Die Nationalstaaten verlieren dabei ihre Macht und müssen einer neuen gesamteuropäischen oder gar einer globalen Weltordnung Platz machen.[i]

Das ist nichts anderes als die vom Kopf auf die Füsse gestellte Hegelsche Dialektik im Sinne des Marx’schen historisch-dialektischen Materialismus: Die Entwicklung der elektronischen, digitalen Kommunikationsmedien führten zu einer verstärkt globalen Produktionsweise (These); diese gerät in einen dialektischen Gegensatz (Antithese) zu den bisher nationalstaatlich beschränkten Produktionsverhältnissen, was durch die beschleunigte Entwicklung im Zuge der Globalisierung (dialektischer Sprung) zwangsläufig zu einer neuen Weltordnung (Synthese) führen müsse.[ii]

So lauschen die sozialistischen Auguren dem Marxschen Geschichtsgesetz die Notwendigkeit einer europäischen Union ohne Gewaltenteilung oder sogar die Vision[iii] einer neuen Weltordnung ab, die uns Bürger aus dem rechtsstaatlichen Schutz der Nationen reissen soll, um uns zu rechtlosen Weltbürgern zu machen; sie soll uns aus der traditionellen Verwurzelung in Familie, Kultur und Religion reissen,[iv] um uns schliesslich in das Weltethos (Weltreligion) einer neuen Weltordnung hinüberzuführen.[v]

Nach marxistisch-dialektischer Auffassung also „ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die [wirtschaftliche] Produktion …“[vi] im Sinn der dialektische Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, welche sich wie ein zwangsläufiger Geschichtsmechanismus über die Köpfe der Menschen hinwegsetzt.[vii] So hat angeblich die Entwicklung der Kommunikations- und Computertechnologie zwangsläufig zur Deregulierung und Globalisierung des Marktes geführt. „Die mit dem beschleunigten Wandel der Kommunikations- und Computertechnologie einhergehende Deregulierung hat den Trend zum integrierten Weltmarkt verstärkt.“[viii] Infolge der Globalisierung von Wirtschaft und Politik seien die Nationalstaaten – ebenfalls zwangsläufig! – immer weniger in der Lage, mit der Vielzahl der durch die Globalisierung entstehenden Probleme (zunehmende Armut, Waffenhandel, Terrorismus, Wettrüsten, Umweltverschmutzung, Bevölkerungsentwicklung etc.) fertig zu werden, was eine neue, überstaatliche (transnationale) Weltordnung erforderlich mache.[ix]

Während Marx die Notwendigkeit einer Diktatur des Proletariats ableitet, so halten die marxistischen Theoretiker tatsächlich den Aufbau einer neuen Weltordnung (global governance) für erforderlich. Dabei betonen sie wie Marx und die sozialistische Internationale, dass nationale „Unabhängigkeit“ und „Streben nach Souveränität“ bei der Errichtung dieser neuen Weltordnung „als Hindernisse“ wirken,[x] die es zu beseitigen gelte.

Nichts und niemand aber, auch nicht die Berufung auf einen marxistisch-dialektischen Geschichtsmechanismus können und dürfen die Menschen ihrer Rechtstaatlichkeit, ihrer Unabhängigkeit, ihrer Souveränität und Freiheit berauben! Eine neue Weltordnung, die den Abbau der Rechtsstaatlichkeit, der nationalen Unabhängigkeit, der Souveränität der Völker und der bürgerlichen Freiheiten mit sich bringt, ähnelt in frappanter Weise der Marx’schen Diktatur des Proletariats oder, mit anderen Worten: einer Sowjetisierung der Verhältnisse. Wohin das führt, sollte die Geschichte längst gezeigt haben.

Tatsächlich aber schwebt marxistischen Theoretikern über die EU hinaus die Errichtung einer neuen Weltordnung via Vereinte Nationen vor, wobei die UNO, wie sie heute besteht, einigen Reformen unterzogen werden müsse.

„Ein grosser Teil der notwendigen Reformen der Vereinten Nationen ist ohne Änderung der Charta möglich … Doch einige Änderungen sind im Sinne einer besseren Weltordnungspolitik notwendig … Die UN-Reform muss die Realitäten des Wandels widerspiegeln, darunter auch die Möglichkeiten der globalen Zivilgesellschaft, zur Weltordnungspolitik beizutragen.“[xi]

Die globale Zivilgesellschaft soll durch Vertreter sogenannter Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) auf der nächst höheren Entscheidungsebene, etwa in der Generalversammlung der Vereinten Nationen repräsentiert sein; hinzu kommen Vertreter transnationaler Unternehmen (TNCs) oder auch von Stiftungen wie Bertelsmann u.a., die ebenfalls bei der UNO zugelassen sind. So „übernehmen transnationale Unternehmen (transnational corporations, TNCs) und nichtsstaatliche Organisation (non-governmental organisations, NGOs) vormals staatliche Aufgaben.“[xii] Selbstverständlich sind auch „Koalitionen zwischen NGOs, aufgeschlossenen Regierungen und zum Teil auch privatwirtschaftlichen Akteuren [möglich], die … zusammenarbeiten und zu einem Wandel weg von Staatlichkeit beitragen.“[xiii] Geplant ist also – ganz entsprechend der Marx’schen Utopie einer kommunistischen Gesellschaft – eine Entstaatlichung der Weltpolitik.

Während Marx und Lenin den bürgerlichen Rechtsstaat durch die Diktatur des Proletariats entmachten wollten, indem sie sogenannte Arbeiterräte einsetzten („Alle Macht den Räten!“), so sind es heute die NGOs und TNCs, die den demokratischen Rechtsstaat entmachten und stattdessen ihren Platz in der neuen Weltordnung der global governance einnehmen. Global governance also ein globales Rätesystem marxistisch-leninistischer Provenienz? An der Basis: NGOs und TNCs als kollektive, korporierte Interessenvertretungen, die einen abgeordneten Interessenvertreter in die Generalversammlung der UNO schicken? Die UNO selbst die Spitze von global governance? Wenn das so wäre – und die Indizien sprechen dafür! –, dann brächte uns global governance eine Weltordnung, in der der Mensch nicht mehr Person ist, sondern das Produkt der ökonomischen Verhältnisse, ergänzt durch Freudsche Elemente im Sinne der neomarxistischen Ideologie (Befreiung der gesellschaftlich bedingten Triebunterdrückung nach dem reinen Lustprinzip).

Wie im Räte- oder Sowjetsystem (Arbeiterräte, Frauenräte, Stadtviertel- oder Regionalräte …), wo der einzelne Mensch nicht als Person mit unveräusserlichen Freiheitsrechten, sondern nur als kollektiviertes, korporiertes Subjekt mit bestimmten Interessen repräsentiert ist, ist auch im Konzept der neuen Weltordnung der einzelne nur noch mittels Interessenvertretung durch NGOs (Feministen, Homosexuelle, Bolo-Bolo, Kinderrechtsbewegler u.a.) oder TNCs (privatwirtschaftliche Unternehmen) vertreten. Die in die übergeordneten Kommissionen gewählten Vertreter haben – wie die Räte – gesetzgebende und vollziehende Gewalt; Gewaltenteilung, wie sie im demokratischen Rechtstaat zum Schutz der Freiheit und der Souveränität der Person existiert, gibt es also weder in der EU noch im System der neuen Weltordnung.

Auch die Souveränität und Unabhängigkeit der Völker hat in der neuen Weltordnung nur noch marginale bis keine Bedeutung mehr: „In einer zusehends interdependenten Welt haben … die Begriffe der Territorialität, der Unabhängigkeit und der Nichteinmischung teilweise ihren Sinn verloren. In bestimmten Bereichen muss die Souveränität kollektiv ausgeübt werden, insbesondere hinsichtlich der globalen Gemeingüter. … Auch ist es an der Zeit, die Frage der Selbstbestimmung im neuen Kontext der Einen Welt statt im traditionellen Kontext einer Welt voneinander getrennter Staaten zu sehen.“[xiv]

Im Kontext der Einen Welt von global governance bedeutet die kollektive Ausübung der Souveränität (s.o.) nicht mehr wie bis anhin die Anerkennung der äusseren Unabhängigkeit und der inneren Selbständigkeit der Staaten, sondern vielmehr das Recht und die Pflicht zur ökonomischen, politischen und militärischen Zusammenarbeit unter dem System von global governance der UNO. Das System der kollektiven Souveränität sieht also das Recht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor, wenn es das Interesse der globalen, kollektiven Sicherheit erfordert.[xv]

So etwa wurde auch in der Sowjetunion die Souveränität der Teilrepubliken verstanden: „In den Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten erschöpft sich das Souveränitätsprinzip nicht in der Anerkennung der äusseren Unabhängigkeit und der inneren Selbständigkeit der Staaten; vielmehr ergibt sich aus dem sozialistischen Internationalismus das Recht und die Pflicht zur ökonomischen, politischen und militärischen Zusammenarbeit aller sozialistischen Staaten, aber auch ihre gemeinsame Verantwortung für die Verteidigung der sozialökonomischen und politischen Grundlagen jedes einzelnen sozialistischen Staates.“[xvi]

Dem Recht auf Interventionismus im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung für die Verteidigung der sozialökonomischen und politischen Grundlagen ist damit Tür und Tor geöffnet; so kennen wir es aus den Zeiten der Sowjetunion im Verhältnis zu ihren Satellitenstaaten, so kennen wir es aber auch seit der Existenz der neuen NATO-Doktrin in Europa und auf der ganzen Welt.

Meine Damen und Herren, wir können hinter all dem in seinen wesentlichen Grundzügen einen marxistisch-leninistischen Aktionsplan erkennen; wir sehen darin auch die Gefahr einer Sowjetisierung der Europa- und Weltpolitik, wo die Freiheit und Würde der Person, ebenso die Souveränität der Völker (ich denke dabei auch an das tschetschenische Volk heute) mit Füssen getreten wird. Letztlich aber gründet diese schreckliche Gefahr schon in der Marxschen Ideologie – im falschen Menschenbild des Marxismus –, der die Freiheit und Würde der Person nicht kennt und sie missachtet.

Irrtümer und Fehler im Menschenbild haben stets blutige Folgen in der Menschheitsgeschichte nach sich gezogen. Gerade das Zwanzigste Jahrhundert ist voll davon: Der Marxismus mit seinem dialektischen Geschichtsgesetz, seiner Leugnung der Menschennatur und der Person zugunsten des Kollektivs führt direkt in die Diktatur und widerspricht der naturrechtlich gegebenen Freiheit der Person. Ebenso sozialdarwinistische und biologistische Lehren, wonach die Macht des Stärkeren, die Vererbung treibende Kraft der Geschichte sei. Ebenso Lehren, wonach die Geschichte determiniert sei im Sinne einer ewigen Wiederkehr des Gleichen, einer dialektischen Pendelbewegung, einer Spirale oder ähnlichem. Oder aber auch Dekadenztheorien wie etwas die vom „Untergang des Abendlandes“ oder vom Krieg als „Erzieher der Nationen“ oder „Vater aller Dinge“. Aber auch ökonomistische Theorien vom „homo ökonomicus“ , die den Menschen nur als Wirtschaftssubjekt sehen und das Streben nach wirtschaftlichen Gewinn als die treibende Geschichtskraft anerkennen.

 

Person als Zweck der nationalen Ordnung wie der internationalen

Was Recht und Unrecht ist, ist aber nicht beliebig. Es muss sich an der Natur des Menschen, an der universellen Freiheit und Würde der menschlichen Person messen lassen. Deshalb hängen Unrecht und Recht von einem zutreffenden Bild vom Menschen ab: Was ist der Mensch, was braucht er, um sich als Mensch frei in Gemeinschaft entwickeln zu können? Das ist gemeint, wenn wir sagen, dass die richtige Erkenntnis der Menschennatur, ein richtiges Menschenbild, darüber entscheidet, wo wir Werte setzten, was wir für Recht und was wir für Unrecht halten. Wenn man den Anspruch aufgibt, das geschriebene Recht an dem Fixpunkt Menschennatur zu messen, dann öffnet man der Willkür, dem Machstreben Tor und Tür. Dann wird das Recht zum Recht der Herrschenden. Dann wird Recht zum Unrecht.

Das moderne Naturrecht hat die Freiheit und Würde der Person als Wesen des Menschen erkannt: Der Mensch kann sein Leben in Gemeinschaft mit anderen nach Massgabe vernünftiger Einsicht selbstbestimmt und seiner Sozialnatur gemäss in Frieden führen und muss es, wenn er glücklich sein will. Das personale Menschenbild, das aus der philosophischen Tradition des naturrechtlichen Denkens stammt, wurde durch die humanwissenschaftliche Forschung – Anthropologie, personale Psychologie, Humanbiologie und andere – bestätigt: Danach ist das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen nicht determiniert, weder durch das soziale Milieu noch durch Triebe oder Erbfaktoren. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernend und für die Zukunft planend, verhält sich der Mensch immer wertend und Stellung nehmend: zu sich selbst, zur Welt und zu seiner Geschichte. Das ist immer ein offener Prozess.

Subjekt der Geschichte ist immer der Mensch, nicht als Kollektiv, sondern jeder als Person. Geschichte ist gerade deswegen immer offen, weil der Mensch Person ist. Und weil er immer im Hier und Jetzt gemäss seiner Einsicht und den Lehren aus der Vergangenheit plant, handelt und entscheidet.

Das Naturrecht leitet aus dieser personalen Natur des Menschen das Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens ab. Das ist: Die freie Entfaltung der Person in und durch die Gemeinschaft. Das ist Sinn und Zweck aller gesellschaftlichen Einrichtungen. Je mehr menschliche Gemeinschaften jedem Einzelnen die volle Entfaltung seiner Individualität ermöglichen, desto sozialer durchbildet ist ein Gemeinwesen. Je sozialer durchbildet ein Gemeinwesen ist, um so reichhaltiger und vielseitiger sind die Beiträge der Individuen zum Gemeinwesen, zum allgemeinen Wohl. Das nannte man im Naturrecht das Gemeinwohlprinzip. In der Regel leistet der Mensch gerne, freiwillig und spontan einen Beitrag zum allgemeinen Wohl. Dieses Gemeinwohlprinzip ist das natürliche Grundprinzip aller Gemeinschaften und muss daher auch Masstab aller ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen sein; des Staates, der Wirtschaft, der Verteidung gegen innere und äussere Gefahren, der Schule, der Familie, des Gesundheitswesens u.s.w.

 

 

Aus dem Ziel, die freie Entfaltung jedes Einzelnen in Gemeinschaft zu schützen und zu garantieren, leiten sich folgende Grundforderungen ab:

 

Das geschriebene Recht muss gerecht sein, d.h. es muss an den klassischen Menschenrechten gemessen werden, die von der natürlichen Freiheit und Würde der menschlichen Person ausgehen. (Art. 1: „Alle Mensch sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren …“)

Die direkte Demokratie folgt also unmittelbar aus der Personnatur des Menschen, denn durch sie ist das Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht auf allen Ebenen und in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens garantiert; und das entspricht der Freiheit und Würde der Person. Keiner soll darin beschränkt oder unterdrückt werden. Herrschaft von Menschen über Menschen ist wider die Menschennatur.

Die Entscheidungsgewalt des Gemeinschaftslebens muss bei den überschaubaren kulturellen Einheiten im Sinne des Föderalismus liegen, weil nur in ihnen der Mensch sein Leben frei gestalten kann. Gemeindeautonomie und subsidiärer Aufbau bundesstaatlicher Gebilde folgen hieraus zwingend: Es muss die kleinere Einheit soviel Kompetenz behalten dürfen, wie sie aus eigen Kräften zu übernehmen imstande ist;

Gewaltenteilung muss das Grundprinzip des gemeinsamen Gestaltens und aller Einrichtungen sein. Denn ungezügelte Gewalt- und hemmungsloses Machstreben sind die ärgsten Feinde des Gemeinwohls und des Friedens, sie machen Recht und Demokratie zunichte. Der schönste Verfassungstext bleibt Papier ohne Gewaltenteilung, wie dies Stalin vorgeführt hat, als während der grössten Unterdrückung eine sowjetische Verfassung erliess. Die darin verbrieften Rechte waren nichts wert, da es kein Gericht gab, bei dem man sie hätte einklagen können, und da es keinen unabhängigen Richter gab, der ihre Verletzung mit Macht hätte durchsetzen lassen können

Das Gemeinwohlprinzip schreibt auch allen Wirtschaftsgemeinschaften das ethische Ziel vor: Sie haben dem Menschen zu dienen und nicht der Mensch ihnen. Es sind gerade die direktdemkokratisch organisierten Staatsgebilde, deren Wirtschaft besser blüht als die der zentralistisch organiserten Grossgebilde, in denen die Menschen nicht mehr wissen, für wen sie produzieren. Wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen muss auch die Wirtschaft sich den Gesetzen des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates fügen. Es muss Verteilungsgerechtigkeit herrschen und nicht Angebot und Nachfrage. Die Wirtschaft darf sich nicht – wie bei Globalisierung, „new oeconomy“, New Public Management – den Staat unterwerfen. Das Verhindern von Monopolen und transnationalen Off-Shore-Kapitalgesellschaften ist ein Beitrag zur Gewaltenteilung, denn Wirtschaftsmacht ist gleichzeitig immer auch politische Macht.

Gewaltlosigkeit muss das Ziel aller gesellschaftlichen Ordnungsinstitutionen sein, im Inneren wie im Aesseren. Alle Mitglieder der Gesellschaft verzichten – zur innerer Befriedung der Gesellschaften – auf Gewalt und übergeben dem Staat das Gewaltmonopol. Es darf nur nach Recht und Gesetz und aufgrund freiwillig geschlossener Verträge sowie zur Abwehr von Gefährdungen des Gemeinwohls ausgeübt werden. Nur so kann die Freiheit und Würde eines jeden einzelnen gewahrt werden.

Gegen aussen ist Neutralität das Grundprinzip des freien Rechtsstaates: Er greift nicht an, hält sich aus zwischenstaatlichem Machtgerangel heraus, sondern dient dem Völkerfrieden durch humanitäre Dienste. Er verteidigt sich wohl gegen Angriffe zum Erhalt seiner Souveränität, d.h. der Freiheit seiner Bürger, aber der Angriffskrieg ist dem Rechtsstaat, der die Freiheit des Einzelnen schützt, verwehrt. Es gilt das Prinzip, wer die Freiheit des Menschen erhalten will, kann das nicht erreichen, indem er andere ihrer Freiheit beraubt.

 

Alle diese Grundprinzipen ergeben sich aus den Grundbestimmungen der menschlichen Natur, dass der Mensch eine Würde hat und darum ein freies Wesen ist und keiner das Recht hat, ihm diese natürlich Freiheit zu rauben. Keiner darf sich ausserhalb des Rechts stellen. Und das gilt für die innerstaatliche wie auch die zwischenstaatliche Ordnung.

Kriege waren noch nie vernünftig begründet. Immer mussten die Menschen verführt werden. Immer wurde die menschliche Natur ausgenutzt und deren Drang nach Freiheit. Man muss den Menschen erst weismachen, dass die Freiheit oder sonst hohe Ziele und Güter bedroht seien, um sie kriegsbereit zu machen.

Das Naturrecht hingegen gibt Freiheit, Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit als universelle Ziele des Zusammenlebens vor, hinter die wir nicht zurückgehen dürfen, wenn wir nicht die menschliche Zivilisation, wo auch immer auf der Welt, aufgeben wollen.

 

 


 

Anmerkungen

[1]    vgl. Bericht: Das Phänomen des Wandels, S. 4f.
[2]   vgl. dazu: Marx: Kommunistisches Manifest, S. 11
[3]   vgl. Bericht: Das Phänomen des Wandels, S. 5
[4]   vgl. Bericht: Das Phänomen des Wandels, S. 4f.
[5]    siehe Kasten: Bericht: Das Phänomen des Wandels, S.4
[6]   Marx-Engels-Werke, Bd. 37, S. 463
[7] vgl. Marx: Kommunistisches Manifest, S. 11
[8] Bericht: Das Phänomen des Wandels, S. 4
[9]   vgl. Vorwort und Bericht: Das Phänomen des Wandels, S. 4 ff.
[10]    vgl. Bericht: Das Phänomen des Wandels, S.4
[11]   Bericht: Aufruf zum Handeln, S. 5
[12] Brühl et al. (Hg.): Die Privatisierung der Weltpolitik. Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden, Bd.11, Bonn 2001, S.11
[13] ebd., S.16; Hervorhebung d. Verf.
[14] Bericht: Aufruf zum Handeln, S. 2; Hervorhebung d. Verf.
[15]   vgl. Bericht: Aufruf zum Handeln, S. 2ff.
[16] Klaus/Buhr (Hg.): Philosophisches Wörterbuch. Bd.2, 8., berichtigte Auflage, Leipzig 1971, S. 994f.

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