Euthanasie: Missbrauch der Sprache

22. Dezember 1998 Moritz Nestor

In den Niederlanden plant man, Ärzte zu bestrafen und ihnen die Aprobation zu entziehen, wenn sie sich weigern, Patienten zu töten («Euthanasie»). Es gibt dort mitlerweile herumreisende Ärzte, die für Kollegen, die sich scheuen zu töten «auf Wunsch» einspringen. Patienten dürfen dort mittlerweile «euthanasiert» werden, wenn sie noch nicht in der Sterbephase sind und auch dann, wenn kein körperliches Leiden vorliegt. Alles geschieht gesetzlich «geregelt», «kontrolliert» und «zivilisiert». Man nennt das Töten von Patienten «lebensbeendende Massnahme». Jährlich sind über Zehntausend niederländische «Euthanasie»tote zu beklagen.

Ein Vorbild an diesen Zuständen nehmen sich in der Schweiz 29 Parlamentarier (19 Sozialdemokraten, 3 Grüne und 4 Frei Demokraten, unter anderem Jean Ziegler, Andreas Gross) und forderten am 28. September 1994 in einer Motion Straflosigkeit für «aktive Euthanasie», das ist die nach Artikel 114 StGB strafbare «Tötung auf Verlangen». Die Tötung eines Patienten wird in dieser Motion zynisch als «Unterbruch des Lebens» bezeichnet. Man will «verhindern», dass ein Patient «seines Todes beraubt wird» – so der Motionstext wörtlich! Die «Euthanasie»liberalisierer verdrehen den normalen Sprachgebrauchs bewusst.

Ziel des freien Verfassungsstaates aber ist es, zu garantieren, dass keiner seines Lebens beraubt wird. Keiner darf einen anderen töten. Nur dadurch ist freies Zusammenleben möglich. Das Lebensrecht ist Kern der Menschenrechte. Wer das Tötungsverbot, den Lebensschutz für einige aufheben will, will zurück in den Absolutistismus. Dann haben wieder einige Macht über Leben und Tod anderer.

Die bewusste Verdrehung des normalen Sprachgebrauchs kommt aus den Niederlanden und dem globalisierenden angloamerikanischen Raum: Dort nennt man überall, auch in den regierungsamtlichen Papieren, also offiziell, die Tötung eines Patienten, und zwar auch ohne dessen Willenserklärung, «Euthanasie». Das ist der Nazi-Sprachgebrauch und heisst «schöner Tod». Oder man spricht von «helping to die». Auch das ist Nazi-Sprache: «Gesetz über die Sterbehilfe bei unheilbar Kranken» hiess der nationalsozialistische «Euthanasie»-Gesetzesentwurf vom Oktober 1940.

Statt vom «Töten» redet man in den Niederlanden von «to perform a life ending action» («eine lebensbeendende Massnahme durchführen») oder «to shorten someone´s life», was «Lebensverkürzung» heisst.

Die Tötung eines behinderten Neugeborenen wird in den Niederlanden «lebensbeendende Massnahme an einem Defektgeborenen» genannt. Man nennt Suizidalität «request for a life-anding action», was «Wunsch nach einer lebensbeendenden Massnahme», «Wunsch nach Tötung». Unterlässt der Arzt eine noch mögliche Hilfe an einem Patienten aus der Einschätzung heraus, dessen Leben sei «wertlos» geworden, dann nenn man dies in den Niederlanden: «to let the patient´s own responsibility be expressed», heisst »der Selbstbestimmung des Patienten ihren freien Lauf lassen».

Der Arzt ist nach der niederländischen Auffassung «the only competent person to perform a life-anding action», das heisst, «der einzig Kompetente für eine lebensbeendende Massnahme ist der Arzt», sprich: «der Arzt als Fachmann fürs Töten». Die Königlich Niederländische Medizinische Gesellschaft KNMG ist daher der Auffassung, Töten «belongs to the physician-patient relation-ship», also «Teil der Arzt-Patient Beziehung».

So mächtig und gefährlich ist der Missbrauch der Sprache: Man verdrehe die Sprache, und Töten ist angeblich humane Arztpflicht! Bemerkenswert ist, dass die Nazis genau den gleichen Weg gingen wie die KNMG. Viktor Brack, Leiter der «Euthanasie-Abteilung II», forderte im Dritten Reich  kategorisch: «Die Spritze gehört in die Hand des Arztes!» Oft drehten sie dann allerdings den Gashahn auf! Und auch dies wurde zur ärztlichen Tätigkeit umdefiniert. Der Nationalsozialist Brandt rechtfertigte die Tötung mittels Gas mit den Worten: «es war notwendig, mit gutem Gewissen eine grundlegende Methode zu finden …»

In jeder Beziehung praktizierten die Nazis den gleichen Missbrauch der Sprache und die gleichen Wortverdrehung wie die heutigen «Euthanasie»liberalisierer: So heisst es etwa 1935 in den «Nationalsozialistischen Leitsätzen für ein neues deutsches Strafrecht»: «Nicht in den Bereich des Strafrechts gehört die Sterbehilfe, denn die Volksgemeinschaft ist nicht so erbarmungslos, dem unheilbar Kranken und dem Sterbenden sein Leben und seine Qual gegen dessen Willen aufzuzwingen.» [1] Der Preussische Justizminister Kerrl redet 1933 statt von Tötung von «Ausschaltung aus dem Leben» «bei unheilbar Geisteskranken». Im gleicheichen Duktus betont heute die niederländische Regierung, nur der Arzt dürfe korrekt und den «Regeln der Sorgfalt»  gemäss! töten, ansonsten bleibe die Patiententötung gemäss Strafgesetz strafbar. Ebenso sagt 1933 der Preussische Justizminister Kerrl: «Wohl bleibt zu betonen, dass die Vernichtung lebensunwerten Lebens durch eine nichtstaatliche Person stets eine strafbare Handlung darstellt.» [2] Im Vorentwurf für ein nationalsozialistisches Euthanasiegesetz aus dem Jahre 1939 heisst es: «Das Leben von Geisteskranken … kann nach Massgabe des Gesetzes über die Vernichtung lebensunwerten Lebens durch ärztlichen Eingriff verkürzt werden.» [3]

Wo kommen wir hin, wenn der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, einfach zum angeblichen Wunsch, getötet zu werden, umgedeutet wird? Es gibt makabre Versuche aus Deutschland, Patienten, die äusserten, nicht mehr leben zu wollen, zu fragen, wann man sie denn nun töten solle. Die Ärzte waren erschrocken, über den massiven Protest aller dieser Patienten: Ich will doch nicht getötet werden! So oder ähnlich reagierten sie alle. Die Arzt-Patient-Beziehung war schwer gestört und liess sich in einigen Fällen trotz Entschuldigung des Arztes nicht mehr richten.

Der Arzt ist Fachmann für die Bekämpfung von Krankheiten und die Linderung von Leiden. Es kann nur ein Ziel für ihn geben: Lebenserhaltung, Leid- und Schmerzlinderung, Pflege und mitmenschlichen Beistand dort, wo er keine sinnvollen fachlichen Mittel mehr einsetzen kann. Die heutigen «Euthanasie» liberalisierer reden wie Gebbels in dem Propaganda-Film «Ich klage an; Es sei menschlich, den schwer Leidenden zu töten, selbst seinem Hund erlöse man von schwerem Leiden.

Wenn Leiden das entscheidende Argument sein soll, einen Mensch, wie die «Euthanasie»Propaganda behauptet, zu «erlösen», dann ist doch die Frage, warum wir nicht einfach eine oder mehrere Atombomben auf das explodierte ehemalige Jugoslawien werfen. Die dort unzweifelhaft grausam Leidenden wären – ganz im Sinn der privaten Logik der Euthanasieliberalisierer – erlöst. Wo leidet eigentlich die Menschheit heute nicht. An allen Orten der Welt finden wir Not und sehr viel schreckliches Leid. Die Logik der «Euthanasie»liberalisierer liefe darauf hinaus, den grössten Teil der Menschheit einfach dadurch zu erlösen, dass man alle vom Leiden erlöst, statt die Ursachen des Leidens zu bekämpfen.

Die Kollektivierungspolitik der Kommunisten nach dem Bürgerkrieg in der UdSSR lieferte Millionen einem absolut schrecklichen Hungertod aus. In den Dörfern sah man Menschen, die Tote assen, so unermeßlich war das Leiden. Schrecklicher als das Leiden jener Patienten, die von niederländischen Ärzten «erlöst» werden. Hätten also die Westmächte am besten alle leidenden Russen töten sollen, um sie zu erlösen? Es ist eine absurde Logik, durch Töten «helfen» zu wollen, und es ändert nichts, wenn man die Sprache verdreht und von «Unterbruch des Lebens», «lebensbeendenden Massnahmen» oder ähnlichem spricht. Töten ist Töten und muss im freien Staate verboten bleiben – für jeden!

 

Anmerkungen

[1] Frank, H. (Hrg.) Die Nationalsozialistischen Leitsätze für ein neuees deutsches Strafrecht. Berlin 1935, S. 118. (zit nach Schmuhl, S. 459)
[2] Kerrl, H. Nationalsozialistisches Starfrecht. Berlin 1933, S. 87
[3]  Zit. n. Schmuhl, S. 293

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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