Familienthesen aus psychologischer Sicht

19. November 2024

 


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Erika Vögeli und Renata Rapp Wagner

 

 

1. Ehe und Familie sind eine natürliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, der Eltern mit ihren Kindern

Die Familie ist bei allen kulturellen und historischen Ausprägungsformen anthropologisch fundiert und daher nicht beliebig gestaltbar. Sie ist die von der Natur eingerichtete Gemeinschaft zur Vorsorge für die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Sie beruht auf dem verschiedenen Geschlecht von Frau und Mann und ihrer personalen Beziehung. Zur Familie gehören Vater und Mutter, Kinder, Grosseltern und weitere Verwandte. Sie ist eine Lebensgemeinschaft mit starken geistig-emotionalen Bindungen, die von lebenslanger Dauer sind und den notwendigen Rückhalt geben.

 

2. Aufgrund der vertrauensvollen Bindung der Kinder an ihre Eltern ist die Familie der natürliche Ort, wo die Kinder auf ein tätiges Leben in Mitmenschlichkeit vorbereitet werden.

Die familiäre Bindung ist Fundament der gesamten seelisch-geistigen Entwicklung des Kindes. Die Familie ist die natürliche Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft, in der das Kind Mitmenschlichkeit erfährt und weiterzugeben lernt. Das Kind ist darauf angewiesen, in seinen Eltern ein Vorbild zu haben und von ihnen verantwortungsbewusste Anleitung zu erfahren. Dadurch wächst es zur selbständigen, lebenstüchtigen, mitmenschlich empfindenden und zuverlässigen Persönlichkeit heran. In seiner Familie, in den Beziehungen zu seinen Eltern und Geschwistern, später zu seinem Ehepartner und den eigenen Kindern, hat der Mensch seine stärkste Verwurzelung. Die Sorge für die Familie obliegt beiden Ehepartnern gemeinsam.

 

3. Für eine gesunde seelische Entwicklung ist es unabdingbar, dass das Kind sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil positiv identifizieren kann

Das Kind identifiziert sich natürlicherweise mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil bezüglich der Charaktereigenschaften und Lebensorientierungen, die es einmal als Mann oder Frau ausbilden wird. Mutter und Vater sind in der Ausgestaltung ihrer weiblichen und männlichen Rolle Vorbild für das Kind. Das Kind muss erleben, dass seine Eltern in Freundschaft und gegenseitiger Achtung miteinander kooperieren.

Heute erlebt der Psychologe in seiner Praxis immer wieder die verheerenden Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl des Buben, wenn sein Vater unter dem Einfluss des feministischen Zeitgeistes es nicht wagte, die männliche Rolle einzunehmen.

 

4. Die Jugend bedarf eines besonderen Schutzes vor Gewalt, Drogen, Pornographie und sexueller Verführung.

Kinder und Jugendliche, die sich in ihrer Familie geborgen und aufgehoben fühlen, wenden sich vertrauensvoll an ihre Eltern, wenn sie etwas Beunruhigendes erlebt haben. So werden sie ihnen erzählen, wenn ihnen beispielsweise ein Mann zu nahe getreten ist, ihnen Drogen angeboten wurden, oder sie mit Gewalt bedroht wurden. Die sachbezogene Stellungnahme und Aufklärung durch die Eltern, der Rückhalt und die Anleitung, die sie ihren Kindern und Jugendlichen geben, ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Stärkung ihrer Persönlichkeit. So belegen beispielsweise die Studien von Lefkowitz et al., dass keine Stellungnahme gegen die Gewalt vom Kind als Akzeptanz verstanden wird. Eine klare Verurteilung der Gewalt dagegen bewirkt beim Kind und Jugendlichen eine ablehnende Haltung gegenüber Gewalthandlungen. Im Gespräch können die Eltern ihren Heranwachsenden Möglichkeiten aufzeigen, wie sie sich gegen solche Einflussnahmen wehren können. In der heutigen Zeit ist es auch dringend notwendig, dass die Eltern ihre Jugendlichen über die zerstörerischen Wirkungen der Rauschgifte informieren.

 

5. Die Grosseltern haben im familiären Zusammenleben eine eigene, äusserst wichtige Bedeutung

Die Grosseltern verfügen über eine reichhaltige Lebenserfahrung, haben Musse und Zeit und können sich ihren Enkelkindern in Ruhe zuwenden. Die Kinder sind oft begierig danach, von ihren Grosseltern Geschichten zu hören, erlernen gerne von ihnen Handfertigkeiten und geniessen das Zusammensein mit ihnen. So lernen die Enkelkinder die kulturelle Tradition kennen und ihre Werte schätzen. Enkelkinder empfinden für ihre Grosseltern eine tiefe Liebe und sind gerne bereit, ihnen beizustehen, wenn sie alt und gebrechlich werden. Die fürsorgliche Krankenpflege der Grosseltern wird ihnen selbstverständlich sein.

 

6. Werthaltungen werden im familiären Wechselspiel emotional verankert

Bei der Werteerziehung handelt es sich um einen komplexen emotionalen Prozess, der in der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern stattfindet. Im gefühlsmässigen Wechselspiel zwischen Kind und Eltern nimmt das kleine Kind die Werte seiner Eltern auf. Werte, die der sozialen Natur des Menschen entsprechen, entstehen und entwickeln sich beim Kind in dem Masse als die Eltern fähig sind, dem Kind ein Gefühl der Geborgenheit, des Vertrauens und des Verstandenwerdens zu geben und zugleich bei ihm das Interesse für den anderen Menschen zu wecken. Das Kind erwirbt sich so eine gefühlsmässige innere Einstellung zu seinen Mitmenschen, zum Leben, zu den Aufgaben, die das Leben an es stellt und zur Welt. Das Gefühl der Verbundenheit mit dem Mitmenschen, die Erfahrung, für andere Menschen von Bedeutung zu sein, ist emotionale Basis seiner Werthaltungen und damit des Gemeinschaftsgefühls. Demnach entwickeln sich die Grundwerte des Menschseins in der Familie. Es sind Werte der Mitmenschlichkeit, wie die Achtung der Würde des anderen Menschen, Gemeinsinn, Hilfsbereitschaft, Verantwortungsgefühl, Toleranz und die Bereitschaft, durch eigene Leistung zum Wohle des Ganzen beizutragen.

 

7. In der Familie bilden sich die intimsten und stärksten, lebenslangen Bindungen

Die moderne Entwicklungspsychologie bestätigt die Erkenntnisse von Alfred Adler, dass das Kind mit einer ausgeprägten Soziabilität geboren wird. Es beginnt spontan eine Beziehung zu seinen Eltern einzugehen und aufzubauen, ihre Zuwendung und Anerkennung zu suchen und sich an ihnen zu orientieren.

Die Art der gefühlsmässigen Beziehungen unter den einzelnen Mitgliedern der Familie und des Umgangs untereinander prägen die Familienstimmung. Voraussetzung für eine gute Familienstimmung ist die Kooperation der Ehepartner. Je mehr Wissen die Eltern über die Natur des Menschen und über psychologische Erkenntnisse haben , desto adäquater können sie auf ihre Kinder eingehen, sie ermutigen, anleiten und liebevoll korrigieren. Sie verstehen, warum ihr Kind so und nicht anders handelt und sind in der Lage ihr Kind darin zu unterstützen oder wenn nötig, ihm behilflich zu sein, andere Lösungen zu finden.

 

 

 


 

Literatur

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