Friede herrscht nicht, er muss gestiftet werden – «Die Menschenrechte leben»

27. Oktober 2020

Zeit-Fragen erinnerte mit dem Leitartikel der Weihnachtsausgabe «Friede herrscht nicht, er muss gestiftet werden – 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» an den siebzigsten Jahrestag der Proklamation der Allgemeinen Menschenrechte 1948. 2018 sollte nicht verstreichen, ohne jenes grossen Tages zu gedenken, wenn auch mit schwerem Herzen – und beschämt, was aus der Hoffnung von 1948 geworden ist. Der Artikel endete mit der Menschheitsfrage: Woher kommt und wie kann jeder Mensch die Fähigkeit ausbilden, das leben zu können, was die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 in ihrem Artikel 1 festhält: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.»

 

Zum fünfzigsten Jahrestag im Sommer des Jahres 1998 veranstaltete Annemarie Buchholz-Kaiser, Historikerin und Psychotherapeutin, Mitglied der Internationalen Individualpsychologischen Gesellschaft, ein vierzehntägiges interdisziplinäres Seminar zur Bedeutung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Aus allen Humanwissenschaften kamen Beiträge: zur Geschichte und den gesellschaftlichen Hintergründen, zu den anthropologischen und philosophischen Grundlagen, zum Naturrecht, aus psychologischer und pädagogischer Perspektive. Anne­marie Buchholz-Kaiser stellte das Seminar unter das Motto: «Die Menschenrechte leben, das ist unser Beitrag als Psychologen zum fünfzigsten Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte».

Ein Jahr danach geschah das Entsetzliche, nämlich das Verdrehen der Menschenrechte in ihr pures Gegenteil. Die Menschenrechte, als Schutz des Individuums vor dem aggressiven Staat gedacht, wurden zum Kampfmittel des aggressiven Staates gegen das Individuum. Angeblich um die Menschen des Balkans vor dem «Hitler des Balkans» zu «schützen», warfen die selbsternannten «Schützer» Bomben auf die (angeblich) zu schützende Bevölkerung. «Menschenrechte und Krieg sind wie Feuer und Wasser», empörte sich Annemarie Buchholz-Kaiser.[1]

Wir leben in einer bitteren Realität, die allem höhnt, was die Kulturen der Welt ­eigentlich an Humanität und an Lebensschutz entwickelt haben. Das heutige politische Leben auf diesem «armen Planeten Erde» ist für viele Menschen so ziemlich das Gegenteil davon, was 1948 nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges den meisten tief in den Knochen sass: Nie wieder …
Der Chef des Planungsstabes im US-Aussenministerium, George Kennan, erteilte im gleichen Jahr, als die amerikanische Präsidentengattin die Menschenrechtserklärung proklamierte, den Menschenrechten eine wuchtige Absage und verwies sie in die Welt der «Tagträumereien»:

«Uns gehören 50 Prozent des Reichtums der Welt, wir machen aber nur 6,3 Prozent der Weltbevölkerung aus. […] Angesichts einer solchen Situation kommen wir nicht umhin, Neid und Missgunst auf uns zu lenken. Unsere eigentliche Aufgabe in der nächsten Zeit besteht darin, eine Form von Beziehungen zu finden, die es uns erlaubt, diese Wohlstandsunterschiede ohne ernsthafte Abstriche an unserer nationalen Sicherheit beizubehalten. Um das zu erreichen, werden wir auf alle Sentimentalitäten und Tagträumereien verzichten müssen. […] Wir dürfen uns nicht vormachen, dass wir uns heute den Luxus von Altruismus und Weltbeglückung leisten können […]. Wir sollten aufhören, von vagen und unrealistischen Zielen wie Menschenrechten, Anhebung von Lebensstandards und Demokratisierung zu reden. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem unser Handeln von nüchternem Machtdenken geleitet sein muss. Je weniger wir dann von idealistischen Parolen behindert werden, desto besser.»[2]

Haben es Hitler, Stalin, Mussolini, Mao, Pol Pot usw. «besser» oder «schlechter» gesagt und getan? Was reine Machtpolitik abschätzig «vage» und «unrealistische Ziele» nennt, wissen wir längst zur Genüge. Als «Gefühlsduselei» verachtete auch Hitler Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe.

Wo also stehen wir heute auf dem Weg, auf dem einige wenige «diese Wohlstandsunterschiede ohne ernsthafte Abstriche an unserer nationalen Sicherheit beizubehalten» versuchen? Am Anfang, in der Mitte, oder hat sich der Zusammenbruch des Imperiums angekündigt? Thierry Meyssan fragte in der Weihnachtsausgabe: Wohin noch sollen wir eigentlich geführt werden?[3]

Man will immer noch alles rückgängig machen, die Menschenrechte, den Staat auflösen usw. Die Menschenrechte wurden zum Mittel der Kriegsführung, verdreht zur «humanitären Intervention». So oder ähnlich war und lautet das Credo der imperialen Grossmachtpolitiker aller Couleur aus dem zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert. Auch wenn sie es nicht mehr so sagen, sind Menschenrechte, Anhebung von Lebensstandards und Demokratisierung auch für sie, mit den Worten Kennans, «vage und unrealistische Ziele», Luxus, Gefühlsduselei, idealistische Parole, Tagträumerei. «Nüchternes Machtdenken» heisst: noch mehr Vorteile für wenige Reiche, im globalen Stil.

Mit welchen Einflüssen haben wir es zu tun, die das Leben der Menschenrechte zugrunde richten? Dass die Welt mit einer grossen Propaganda-Maschinerie überzogen wird, wissen wir, seit wir uns mit Bernays, Lippmann und anderen auseinandergesetzt haben.[4] Wer einmal die ganze Schärfe einer Pressekampagne miterlebt hat, weiss, was gemeint ist. Der weiss aber auch, was einen stärkt und den Blick für das gesellschaftliche Geschehen schärft.

 

 

Abschaffung des Denkens im Dienst der Herrschaft

Das ist unsere bittere Realität: Wir leben unter der Herrschaft einer Ideologie, die beansprucht, alle Wissenschaften in ihr universelles Weltbild aufzusaugen: Es gebe keinen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Materie, es gebe nur Systeme. Bereits die Verbindung zweier Atome zu einem Molekül sei ein informationsverarbeitender Prozess, ein «Lern»vorgang. Bateson nannte das sogar allen Ernstes einen «geistigen Vorgang». Atome, Moleküle, Steine, Berge, Pflanzen, Organe, Organismus, Individuum, Ehe, Familie, Gemeinde, Kanton, Bund, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung usw. – alles lernende (=informationsverarbeitende) ­Systeme, wurde behauptet.[5] Damit fing es an: Lernen, menschliches Denken wird dabei dem Heizungsthermostaten gleichgesetzt, der bei Erreichen eines programmierten Sollwertes (gleich «Information») automatisch das Einstellen der Heizung bewirkt («Info-Verarbeitung» = «Lernen»).

Aus dieser Wurzel entstand in den siebziger und achtziger Jahren ein ganzer Baum von Spielarten: Spieltheorie, Synergetik, Chaostheorie, autopoietische (selbstregulierende) Systeme, Systembiologie, Soziobiologie, Tiefenökologie (Gaia-Theorie) bis hin zu Esoterik und New-Age-Lehren, um nur die wichtigsten zu nennen. Alles aus der Annahme: Alles auf der Welt sei ein «System» mit «Rückkopplung», ein «Regelkreis».[6] Ein Teil davon wurde in der Psychologie zum Beispiel fruchtbar angewendet und hat mit dem anderen historischen Strang nichts zu tun.

Der grössere Teil aber wurde unter US-amerikanischer Leitung als Soft-Power-Techniken eingesetzt. Der österreichische Physiker Heinz von Foerster, Teilnehmer der sogenannten Macy-Gruppe,[7] bekam zu diesem Zweck ein eigenes von der US-Army ­finanziertes Labor: das Biological Computer Laboratory (BCL), wo er Denkabläufe im Computer nachbauen wollte.[8] So schuf er die Grundlagen des Konstruktivismus: Es gebe keine Realität, sie sei nur eine Konstruktion unseres – zum Computer degradierten – Gehirns.[9] Die hochkomplizierten Vorgänge in Natur und Gesellschaft wurden auf extrem einfache Rechenformeln reduziert. Aus diesen einfachen Formeln stellte man «Modelle» her, die man vom Computer berechnen liess.[10] Das war dann die (konstruierte) Realität oder was vom Menschen noch übrigblieb, wenn man ihn zur Maschine erklärt.

 

 

Steuerung statt politischer Selbstbestimmung

Auch der Staat wurde zum zu steuernden System unter vielen anderen Systemen erklärt. Er verlor seine Rolle als übergreifendes Dach des Rechts und des Gesetzes für alle, unter dem alle in Rechtssicherheit leben. Demokratie und Selbstbestimmung werden durch optimale Verwaltung, «Change Management» und «Grossgruppeninterventionen» ersetzt, die von ausserhalb der Staatstruktur her gesteuert werden.[11] Das Volk erhält «Zukunftswerkstätten» als Spielwiese für «Teilhabe». Eine Demokratie-Illusion als Ersatz für die zersetzte reale Staatstruktur, damit es nicht rebelliert. Demokratie, Souveränität, Selbstbestimmung, Regierung – kurz: Der gewaltenteilende, demokratische Verfassungsstaat der Aufklärung wurde als antiquiert verteufelt. Von der Staatlichkeit ausgeschlossen, verliert der Mensch dabei immer mehr in allen realen sozialen Bereichen, in denen sich das wirkliche private und politische Leben immer abspielt, seine Bürgerlichkeit. Der Staat als Gemeinschaft, durch den die in ihm lebenden Menschen eine bürgerliche Gemeinschaft bilden, wird nach und nach aufgelöst. Aus Staatsangehörigen werden Angehörige von Systemen, zum Beispiel Konzernen, denen der schützende Rahmen der Rechtsgleichheit und der Selbstbestimmung ihres Lebens als Bürger genommen ist.

Mit diesem «neuen Denken» werden unsere europäischen Gesellschaften allmählich «transformiert». Aber eigentlich ist das uns Europäern völlig fremd. Es widerspricht allem, was Menschsein bedeutet, hat mit uns als Menschen nichts zu tun.
Demokratie braucht gelebten Gemeinsinn

Dringend nötig ist daher im Gewittersturm der Globalisierung die Rückbesinnung auf werteorientierte Zusammenschlüsse, auf Initiativen und Möglichkeiten der direkten, nicht «gesteuerten» Diskussion und Begegnung von Mensch zu Mensch, die Wiedergewinnung des Politischen, von Treu und Glauben, so dass die Menschen wieder eine eigene Stimme «von unten» bekommen, sowie die Stärkung bestehender Selbstorganisation. Es braucht wieder die Stärkung der Familien, die Wiederbelebung von Schule und Bildung, Anstrengungen für Drogenfreiheit aus dem Volk, den verlorengegangenen Schutz des Lebens auf allen Ebenen, Hilfe zur Selbsthilfe und vermehrten Wieder-Aufbau der Selbstversorgung auf allen Ebenen der Kultur.
Es geht dabei nicht um Nützlichkeitsabwägungen, nicht um Macht- oder Zweckgemeinschaften, nicht um Wählerstimmenfang. Sondern es geht um von den Menschen für die Menschen aufgebaute Gemeinschaften, um personales Gestalten von Gesellschaft und Kultur, um Aufbau und Wiederbelebung ehrlicher, sachorientierter Begegnungen von Mensch zu Mensch in der politischen Auseinandersetzung – statt «Kommunikation» und «gelenkter Demokratie» à la Bernays und Lippmann.

 

 

Gelebte Humanität – als immerwährende Menschheitsaufgabe

Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, schrieb 1933 in seinem Spätwerk «Sinn des Lebens»: «Es ist kaum zu übersehen, dass die Menschheit um dieses Problem weiss und von ihm durchdrungen ist. […] Es lebt in uns und sucht sich durchzusetzen, es scheint nicht stark genug zu sein, um sich trotz aller Widerstände zu bewähren.»[12] Humanität und Menschenrechte sind auch von Philosophen formuliert worden. Aber schon das Beispiel von Las Casas zeigt, dass es dabei immer um viel mehr ging als nur um die blosse formale Achtung der Rechte des Menschen, sondern um ein inneres Ringen darum.[13]

Der Kampf um die Menschenrechte bestand immer untrennbar aus Schritten hin zu einem fernen anzustrebenden Zusammenleben: Menschlichkeit gegen das Unrecht zu setzen, die Menschen aufzuklären, zu stärken und zu bilden, um in ferner Zukunft einmal mehr Menschlichkeit unter allen Menschen lebbar zu machen. Diesem fernen Ideal gelebter Humanität hofften alle entgegen, die in der langen Geschichte der Menschenrechte den Prozess weiter vorantrieben: dass der Mensch «in viel späterer Zeit» wird «Gemeinschaftsgefühl äussern wie Atmen», so formulierte es in seiner Zeit Alfred Adler.[14]

Denn sie alle wussten: Die Menschenrechte sind mehr als eine rationale philosophische Sollensforderung, sind kein Automatismus, fallen nicht fertig vom Himmel, sind keine aussermenschliche Entität.

Das oberste Ziel der individualpsychologischen Bildungsarbeit von Annemarie Buchholz-Kaiser bestand darin, diese Achtung der Freiheit und Würde des Menschen, das heisst das, was in Artikel 1 der Menschrechtserklärung programmatisch gefordert wird, im menschlichen Zusammenleben emotional erlebbar zu machen. Diese im Gefühlsleben verankerte Mitmenschlichkeit zu stärken, zu bilden, in der Gesellschaft zu fördern, zu erneuern und weiterzutragen. Die rationale Forderung, Freiheit und Würde zu achten, braucht das mitmenschliche Fühlen und Wollen, damit sie unter den Menschen wirksam werden kann. Und so wird sie für die Kinder und Jugendlichen emotional fassbar, so können sie sie im eigenen Gefühl verankern.

Was also sind Menschenrechte in meinem Seelenleben? Was hat mein Umgang (in mir und mit mir) mit dem zu tun, was ich als Vater, Lehrer, Mutter, Erzieherin, Arzt, Bürger usw. tue? Mein Tun soll ja die Bedingungen schaffen helfen, dass zwischen uns mehr soziale Verbundenheit lebe. Die Hoffnung auf das ferne Ziel eines würdigen Zusammenlebens für alle ist kein billiger Optimismus.

 

 

Was ist der Mensch?

Gerade darum ist es von grösster Wichtigkeit erneut zu fragen: Was ist der Mensch wirklich? Die Position der Individualpsychologie ist: Der Mensch ist weder eine Maschine noch ein reflexgesteuertes Tier. Er ist mit Verstand, Mitgefühl und einem Willen begabt. Von Geburt an gestaltet er mit seiner «schöpferischen Kraft» aktiv das Leben im Wechselspiel mit seinen Mitmenschen mit. Es ist der Geist des Menschen, der ohne Körper nichts ist. Aber er lenkt den Körper, gestaltet ihn mit – im Guten wie im Schlechten. Nicht mein Gehirn denkt. Ich denke mit meinem Gehirn. Und es ist der menschliche Geist, – das sich nur im zwischenmenschlichen Bezug entwickelnde menschliche Fühlen und Denken – die entscheidende Produktionskraft in der Geschichte. Jeder Mensch könnte so sein. Das kann ein Mensch sein. Wie kommen wir auf die Idee, das «digitalisieren» zu wollen?

Die Aufgabe der Kultur ist es, diese in uns angelegten Möglichkeiten zum Blühen zu bringen. Schon das Kind tastet sich in dieses unbekannte Leben hinein, nach vorwärts, in der Beziehung zu seinen Eltern. Es macht seine Erfahrungen, und jede Erfahrung ist wieder ein Schritt, ein Schluss für den nächsten Schritt, ein Grund für die nächste Erfahrung. So bildet sich allmählich, in der Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Kind, ein charakteristischer individueller Lebensstil, ein emotional tief verankertes Bild von sich und der Welt und wie man darin glücklich werden kann, wie man dieses Leben meistern könnte. Er ist Ausdruck der Gemeinschaft zwischen Kind und Eltern. Daran ist das Kind selbst mit einer eigenständigen schöpferischen Kraft[15] ein «Künstler an sich selber», hat Johann Gottlieb Herder gesagt.[16] Es ist immer ausgerichtet auf die menschliche Beziehung und seine Menschwerdung ist ein Teil dieser Beziehung.

Nicht das: «Ich liebe Dich nur, wenn Du mich gut findest.» Sehr wohl Gewalt abwehren, sehr wohl führen. Sehr wohl Grenzen setzen gegen Irrtümer. Aber nicht der Vater sein oder der Lehrer, der das Kind für seine Anerkennung missbraucht, sondern jemand, der das Kind zum Menschsein führen kann. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe.

Dass ich nämlich meinen Teil dazu beitrage, dass kommende Generationen es einmal besser haben sollen. Auch, wenn ich es nicht erleben werde – habe ich nicht auch die Früchte der Samenkörner ernten können und dürfen, die meine Vorfahren gelegt haben? In Ehrfurcht vor der Zeit, die es dafür gebraucht hat, weiss ich dann aber auch, dass wir uns nicht einbilden können, das schwerste Problem der Menschen in einer Generation lösen zu können, nämlich, dass wir uns besser verstehen.

Ein weiterer Grundsatz der Individualpsychologie ist es, dass man nicht andere Menschen ändert, sondern sich selbst. Alfred Adler sprach daher von der «Erziehung der Erzieher».[17] Erziehung und Selbsterziehung sind Vorder- und Rückseite der gleichen Sache. Wer erziehen will, wer wirken will, stellt sich in Rechnung.[18] Das Erkennen des Menschen fängt mit Selbsterkenntnis an. Und auf die Selbsterkenntnis folgt das Sich-selbst-Erziehen, die Übung, das Bilden einer neuen Haltung. Die Alten nannten das Tugend. Der wichtigste Schritt des Menschen zur Selbsterziehung, schrieb der Münchner Individualpsychologe Leonhard Seif im Jahr 1930 zum 60. Geburtstag seines Lehrers Alfred Adler, ist

Alfred Adler im Gespräch mit Leonhard Seif

«[…] der Schritt von der Theorie zur Praxis, von der Selbsterkenntnis zu ihrer Verwirklichung im Alltag des Lebens. Was heisst zum ernsthaften Abbau seines Prestigestrebens, zur ehrlichen Bereitschaft, gerade auf das zu verzichten, was ihm bislang als der Sinn des Lebens erschienen war, Bewunderung und Verwöhnung, und gerade das zuzulassen, was ihm das Schrecklichste gewesen war, die tätige Bejahung der berechtigten Forderungen des Zusammenlebens (‹Logik des Lebens›, Adler) und die Kritik seiner Verhaltungsweisen, beides ohne Minderwertigkeitsgefühle, ohne Selbstbedauern, ohne sich und die anderen tragisch zu nehmen, ohne mehr seinen Menschenwert gefährdet zu wähnen. Kurz, er durfte vor der Bewährungsprobe nicht mehr ausweichen.»[19]

Dann wirke ich als Mitmensch – dort, wo ich stehe, wo mich das Leben hingestellt hat. Das wirft ein Licht auf das, was Annemarie Buchholz-Kaiser 1998 meinte, als sie sagte: «Die Menschenrechte leben, das ist unser Beitrag zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.»

 

 

[1]     Vgl. Becker, Jörg & Beham, Mira. Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod. Baden-Baden 2006; 
vgl. auch: Loquai, Heinz. Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg. Baden-Baden 2000; 
vgl. auch: Loquai, Heinz. Weichenstellungen für einen Krieg. Internationales Krisenmanagement und die OSZE im Kosovo-Konflikt. Baden-Baden 2003
[2]     Kennan, George. zit. n. Wertz, Armin. Die Weltbeherrscher. Erste vollständige Chronik aller US-amerikanischen Operationen in unabhängigen Staaten. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe. Frankfurt/Main 2017, S. 6
[3]     Meyssan, Thierry. Wessen Schuldner ist Emmanuel Macron? Zeit-Fragen Nr. 29/30, 18. Dezember 2018
[4]     Einen guten Überblick geben Ulrich Kienzle im «Vorwort» und Mark Crispin Miller im «Nachwort» von: Bernays, Edward. Propaganda [1928]. Orange-Press 2013; 
vgl. auch: Tribelhorn, Marc. Meister der Manipulation – wie Edward Bernays mit raffinierter PR-Arbeit unsere Konsumkultur veränderte. In: Neue Zürcher Zeitung vom 14. 7. 2018; 
vgl. auch: Chomsky, Noam & Herman, Edward S. Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media [1988]. New York 2002. [Die Konsensfabrik. Noam Chomsky und die Medien, Dokumentarfilm 1992]
[5]     Einen guten Einblick in diese Denkweise erhält man bei: Klepsch, Andrea & Gottwald, Franz-Theo (Hg.). Tiefenökologie. Diederichs 1995
[6]     Schöpfung von Norbert Wiener, Mitarbeiter Batesons an den Macy-Konferenzen; 
vgl. Wiener, Norbert. Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft. 3. Aufl. Frankfurt am Main/Bonn 1966 [The Human Use of Human Beings – Cybernetics and Society 1955]; 
vgl. Bluma, Lars. Norbert Wiener und die Entstehung der Kybernetik im Zweiten Weltkrieg (= Kritische Informatik, Band 2). Münster 2005 [Dissertation Uni Bochum 2004]
[7]     Für einen Kurzüberblick: Wikipedia. Macy-Konferenzen. de.wikipedia.org/wiki/Macy-Konferenzen (eingesehen am 4. 2. 2019).
Dokumente: Foerster, Heinz von; Mead, Margaret; Teuber, Hans Lukas (Hg.). Protokolle 6–10. New York: Josiah Macy, Jr. Foundation [Cybernetics: Transactions of the Sixth Conference. 1949; Cybernetics: Transactions of the Seventh Conference. 1950; Cybernetics: Transactions of the Eighth Conference. 1952; Cybernetics: Transactions of the Ninth Conference. 1953; Cybernetics: Transactions of the Tenth Conference. 1955] 
Vgl. Pias, Claus. Cybernetics. The Macy Conferences 1946–1953. The Complete Transactions. diaphanes, Zürich u. a. 2016; 
Vgl. auch: Pias, Claus. Cybernetics. = Kybernetik. The Macy-Conferences 1946–1953. 2 Bände. diaphanes, Zürich u. a. 2003–2004 [Band 1: Transactions. = Protokolle. 2003. Band 2: Essays and documents. = Essays und Dokumente. 2004]
[8]     Müller, Albert. Eine kurze Geschichte des BCL. Heinz von Foerster und das Biological Computer Laboratory. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 2000, 11. Jg., Heft 1, S. 9–30
[9]     Foerster, Heinz von & Pörksen, Bernhard. Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Gespräche für Skeptiker. 4. Aufl. Heidelberg 2001
[10]   Djuren, Jörg/Weiss, Olaf/Wendling, Uwe. Falsche Eingabe – Adresse existiert nicht. Kritik der Systemtheorie, Systembiologie, Kybernetik, Chaostheorie, Spieltheorie, S. 1. www.ak-anna.org/naturwissenschaftskritik_alternativen/chaostheorie.htm, zuletzt aktualisiert 30.02.2009 (eingesehen am 21.9.2009)
[11]   Schjold, Inger Christine. Grossgruppeninterventionen als Teil partizipativer OE-Prozesse. Frischer Wind 2017, S. 233–262 [api.frischerwind.com/content/uploads/2017/07/Grossgruppeninterventionen.pdf]
[12]   Adler, Alfred. Der Sinn des Lebens, 1933
[13]   Eindrücklich schildert das Schneider, Reinhold. Las Casas vor Karl V., Leipzig 1938
[14]   Adler, Alfred. Der Sinn des Lebens, 1933
[15]   Vgl. Bettner, Betty Lou. Die «schöpferische Kraft» – Wie Kinder ihre Persönlichkeit erschaffen. Tuttlingen 2012
[16]   Herder, Johann Gottfried. Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Leipzig: Felix Meiner o. J., S. 135
[17]   Vgl. Steiner, Bernadette. Erziehung der Erzieher. Über den Einfluss Alfred Adlers Individualpsychologie auf Elternbildungskonzepte der Gegenwart unter dem Aspekt der Prävention von Fehlentwicklungen beim Kind. Diplomarbeit am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien 2011
[18]   vgl. Adler, Alfred. Zur Erziehung der Eltern (1912). In: Adler, Alfred und Furtmüller, Curt. Heilen und Bilden. München 1914
[19]   Seif, Leonhard: Zum Problem der Selbsterkenntnis und Selbsterziehung. In: Seif, Leonhard und Zilahe, Lad (Hg.). Selbsterziehung des Charakters. Alfred Adler zum 60. Geburtstag gewidmet von seinen Schülern und Mitarbeitern der Individulpsychologie. Leipzig 1930, S. 1–8, S. 8

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