Gerda von Kries
Verena Enderlin
Heilbronn 1949
Neudruck München 1996
«Das Romangeschehen rankt sich um das Schicksal der Hotzenwälderin Verena Enderlin, die 1767 mit ihrer Familie aus dem Südschwarzwald ins Banat auswandert. Sie sieht für ihre Familie und für sich keinen anderen Ausweg aus der tiefen Armut und Not, die in ihrer sonst so wunderschönen Heimat herrschen. Mit ihrem Mann, dem „Hotzenbauern“ Josef Enderlin, und ihren vier Kindern sucht sie ihr Lebensglück im fernen Banat, in das so viele ihrer Landsleute Mitte des 18. Jh. ihre Hoffnung setzten. […] Angenommen werden darf, dass ihr eigenes Schicksal als Kriegsflüchtling aus dem Osten einerseits sowie die Geschichte der Hotzenwälder bzw. Hauensteiner andererseits, welche Ausläufer in ihre Geburtsstadt Freiburg und bis ins Banat hatte, den Anstoß zum Roman „Verena Enderlin“ gegeben hat. Die Autorin hat sich jedenfalls mit der Auswanderungsgeschichte bzw. Verbannung der Hauensteiner ins Banat um die Mitte des 18. Jahrhunderts intensiv beschäftigt und den betroffenen Menschen aus dem Südschwarzwald mit ihrem Prosawerk „Verena Enderlin. Wanderschaft und Heimkehr einer Hotzenwälderin“ (Heilbronn 1949) ein literarisches Denkmal gesetzt.» [Aus: Walter Engel. Auf der Donau ins „wilde“ Banat (15). URL: https://adz.ro/banater-zeitung/artikel-banater-zeitung/artikel/auf-der-donau-ins-wilde-banat-15-1]
Der geschichtliche Hintergrund des Romans um die Hotzenwälderin Verena Enderlin ist das Schicksal der freien Bauern aus dem «Hauensteiner Ländle»
«Des Schwarzwalds Freiheiten, Rechtungen und Gewohnheiten»
In der ehemaligen habsburgischen Grafschaft Hauenstein im Hotzenwald, im Südschwarzwald entstanden im Spätmittelalter genossenschaftlich organsierte bäuerliche Verbände, im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation keine Seltenheit. Die in der Grafschaft Hauenstein entstandenen «Freiheiten, Rechtungen und Gewohnheiten» waren einzigartig in Süddeutschland.
Parallel zu dem Zusammenschluss der Innerschweizerischen Talschaften Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 zur «alten Eidgenossenschaft» entstand damals im südlichen Schwarzwald zwischen den Flüssen Wehre, Schwarza und dem Hochrhein eine Selbstverwaltungsstruktur, die der Innerschweizerischen Entwicklung sehr nahe kam: Das Gebiet war in acht «Einungen» gegliedert.
Martin Kistler hat 2006 die «Einungsverfassung» der Grafschaft Hauenstein im Südschwarzwald wissenschaftlich beschrieben.[2] Sie umfasste einst das Gebiet des südlichen Schwarzwaldes zwischen dem «Feldberg im Norden und dem Rhein im Süden sowie den Flüssen Wehra im Westen und Schwarze und Schlücht im Osten, bedeckte also den mittleren und westlichen Teil des heutigen Landkreises Waldshut.»[3] Zwischen 1326 und 1333 entstand hier im «Hotzenwald» ein Bund von mehreren Einungen. Jede Einung war ein genossenschaftlicher Selbstverwaltungverband von mehreren Ortschaften. Die Bevölkerung in den Einungen hatte das Recht auf eigene Richter und durfte frei Waffen führen. Die Gesetze durften nur durch Vorsteher ausgeführt werden, die vom Volk frei gewählt waren. Die Grafschaft gehörte damals zu Vorderösterreich. 1371 anerkannten die Habsburger als weltliche Herrscher und das Kloster St. Blasien als kirchliche Macht die Einungsverfassung.[4] Die Urkantone der Schweiz ‑ Uri, Schwyz und Unterwalden ‑ und die Grafschaft Hauenstein hatten ursprünglich eine gleiche politische Struktur. Was in den Urkantonen die Landsgemeinde und der Landammann als Exekutive waren, das waren im «Hauensteiner Ländle» die Einungsversammlung und der Einungsmeister. Leider gelang, anders als in der Schweiz, kein Schulterschluss zwischen Stadt und Land. Die bäuerlichen Einungen schafften kein Bündnis mit den grösseren Städten entlang des Rheins. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts brachen die «Salpetererunruhen» aus, weil die alten Rechte der freien Bauern immer mehr beschnitten wurden. Die Habsburger Regierung in Freiburg und Wien griff militärisch ein. Fast ein halbes Jahrhundert hielten Aufstände und deren Niederschlagung an. Aufständische «Salpeterer» flohen in die Schweiz, wurden zu Zwangsarbeit nach Ungarn verschleppt, andere werden hingerichtet. Schliesslich werden die Aufständischen geschlagen. «Die gefangenen Anführer verbannte man nach Ungarn. Es waren deren 27, unter ihnen die Dogerner ADAM JEHLE, KONRAD und LEONHARD GAMP. Für den Transport von Waldshut nach Günzburg an der Donau hatte der Dogerner Vogt JOHANN BAPTIST TRÖNDLE sieben Wagen mit Sitzgelegenheiten zu stellen. Im katholischen Banat verteilte man sie auf die Dörfer Beschenova, Freidorf, Karanschebesch, Lugosch, Raksch, Ujpecs (oder Vybis) und Zsackowa. LEONHARD GAMP war auf der Hinfahrt bereits in Linz gestorben und auch dort begraben.» [Quelle: Die Grafschaft Hauenstein in Vorderösterreich. URL: http://www.salpeterer.info]
[2] Kistler, Martin. Einung und Eidgenossenschaft. Die Verfassung der vorderösterreichischen Grafschaft Hauenstein im Vergleich mit der Entwicklung und den Verfassungen der Gründungsorte der Eidgenossenschaft. Basler Studien zur Rechtswissenschaft. Reihe B, Öffentliches Recht, Band 74. Helbing & Lichtenhahn 2006
[3] Kistler, 2006, S. 31
[4] Kistler, 2006, S. 11