Hans Küng nicht «pauschal» gegen Tötung von Patienten

April 1995 Moritz Nestor

Der Tübinger Theologe Hans Küng postulierte in einem Interview des Südwestfunks, die aktive Sterbehilfe – das ist die Tötung eines Patienten durch einen Arzt – nicht «pauschal zu verurteilen». Dies vor der bevorstehenden Herausgabe einer neuen Lebensenzyklika des Papstes, in der die Euthanasie klar verurteilt wird. Zur Begründung führte Küng das bekannte Argument an: Wenn jemand seine Schmerzen nicht mehr ertragen könne und der Arzt ihn töte, dann könne man dies nicht «von vornherein als Mord» verurteilen.

Der deutsche Ärzteverband Marburger Bund hat Küng widersprochen: Manche Mediziner wüssten noch zu wenig über die Möglichkeiten der Palliativmedizin, jenen Zweig der Medizin, der sich mit der Schmerzbekämpfung befasst. Die Tötung eines Patienten ist – so der Marburger Bund – «ein Ausdruck von Ohnmacht und Hilflosigkeit».

Küng hat sich des zentralen Arguments der Befürworter der Patiententötung bedient: «unerträgliche Schmerzen», von denen der Todkranke durch Tötung erlöst werden soll. Dieses Argument erscheint vielen Menschen auf den ersten Blick human; viele bewegt die Angst vor einem qualvollen Lebensende. Im Lichte der Tatsachen erweist sich das Argument allerdings als sehr dünn. Die heutige Palliativmedizin, die sich auf dem europäischen Festland allerdings erst langsam durchzusetzen beginnt, ist nämlich so weit, dass heute praktisch kein Mensch mehr unter unerträglichen Schmerzen leidend sterben muss. Voraussetzung ist allerdings, dass der behandelnde Arzt diese Behandlung kennt und beherrscht. Die wissenschaftlich korrekte Hilfe für den unter schweren Schmerzen Leidenden wäre nach dem internationalen Stand der heutigen Medizin die wirksame Linderung der Schmerzen sowie die liebevolle Pflege und Unterstützung – nicht aber seine Tötung.

Für den Theologen Küng scheint der alte Spruch zu gelten: «Si tacuisses, philosophus mansisses! – Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben!»

 

Quelle: Zeit-Fragen Nr. 16, April 1995, Seite 7

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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