Heinz von Förster, der Erfinder des Konstruktivismus:
«Das Wesentliche des Zauberns liegt darin, den Zuschauer zu überreden, eine Welt für sich zu konstruieren, in der Wunderbares passiert. So ist sozusagen meine frühe Assoziation mit der Zauberei direkt mit Konstruktivismus verknüpft. Du musst dem Anderen eine Geschichte so erzählen, dass er plötzlich selber sieht, dass ein Elefant, der auf der Bühne stand, nicht mehr dasteht. Wenn dir das gelingt, bist du ein guter Zauberer.»[1]
Heinz von Foerster: Der Konstruktivismus ist eine Manipulationstechnik (die Menschen «transformieren»)
Merkblatt Konstruktivismus als Manipulationsinstrument
Das obige Zitat stammt aus: Foerster, Heinz von & Bröker, Monika (2007): Teil der Welt. Heidelberg: Carl-Auer, S. 100. Die vollständige Stelle, an der der Erfinder des Konstruktivismus selbst erklärt, dass der Konstruktivismus eine Manipulationstechnik ist, lautet folgendermassen:
«Wieso hat Zaubern einen ganz grossen Einfluss auf den Rest meines Lebens gehabt? […] Da gab es in Europa die IAO, die Internationale Artistenorganisation. […] wir [Heinz von Foerster, sein Vetter Martin und ihr Schulfreund Kurt Ziehaus, MN] haben im Apollotheater […] unsere Endprüfung abgelegt. […] Wir sind einstimmig in die internationale Gewerkschaft der Vaudeville-Artisten aufgenonmmen worden; […]
Was wir bei der Zauberei gelernt haben, hat mich für den Rest meines Lebens beeinflusst. Erstens einmal: die Präsenz als Sprecher oder Vorführer. Du steigst auf eine Bühne, und da sitzen tausend Leute oder zwanzig Leute oder fünf Leute; und die musst du jetzt transformieren.
Was für meinen Vetter Martin und mich als Jungen die Zauberei bedeutet hat, ist die folgende Einsicht: Wenn du als Zauberer auftrittst, so handelt es sich nicht um irgendwelche mechanischen Tricks. […] Das hat überhaupt nichts mit Trick zu tun. Die Idee ist, dass du als Zauberer imstande bist, ein Ambiente, einen Kontext zu erzeugen; eine Welt, in der die Zuschauer mitspielen, diese Welt zu erzeugen. Das heisst, du baust deinem Zuschauer eine Welt auf, in der eben die erstaunlichen Sachen passieren, die er dann erlebt. Aber die er eigentlich konstruiert in seiner Idee, in seinen Gedanken, in denen die Löwen oder Elefanten plötzlich verschwinden. Der Elefant geht ganz gemütlich von der Bühne weg, aber der Zuschauer bemerkt das Weggehen des Elefanten nicht. Er sieht nur einen Elefant, und dann sieht er keinen; also muss der Elefant verschwunden sein.
[…] Du machst irgendein Zauberkunststück. Du weisst, wie du das gemacht hast, weil du es ja gemacht hast. Jetzt fragst du nach, das haben wir immer gemacht: »Sag einmal, was hast du denn da gesehen bei meinem Kunststück, bei dem die Karten von der einen Tasche in die andere Tasche gewandert sind?« Na, dann erzählen die, was sie gesehen haben; und das hat nichts mit dem zu tun, was du gemacht hast. So haben wir sehr bald gesehen, dass die Erzählung natürlich das ist, was der Mensch macht, der auf einem Locus observandi sitzt; und das hat nichts mit dem zu tun,was der macht, der auf einem Locus producendi sitzt; der also die Sache produziert.
Ein lustiges, sehr amüsantes Zauberkunststück ist zum Beispiel der so genannte »zwei Männer Trick«. […] Wenn man das jetzt komisch genug gemacht und wenn genügend Leute sich beschweren, dass da geschwindelt wird, oder so etwas – »Sie haben das im Ärmel« ‑, dann ist es das Allerbeste, was einem Zauberer passieren kann; denn dann kann er einen schönen blöden Witz nach dem anderen machen. Diesen Mann, der behauptet, man schwindelt, kann man jetzt durch den Kakao ziehen. Dem zieht man plötzlich Geld aus der Nase oder Karten aus der Tasche. Also der Erfolg ist garantiert. Die Sache ist die: eben eine Stimmung zu erzeugen, die so ist, dass alle mitspielen. Jeder freut sich schon, dass die Dame auf mehr Karten sitzt; und in der Tat: Natürlich sitzt sie da auf mehr Karten. Jeder freut sich schon, dass der Mann schon wieder ein paar Karten verloren hat, ohne dass er es gemerkt hat.
Wir haben es so gemacht, dass der Zuschauer sich eine Welt aufbaut, in dem das geschieht, was er gehofft hat, dass es geschehen würde. Das hat mich zu dem Satz gebracht: Der Hörer, nicht der Sprecher bestimmt die Bedeutung einer Aussage.
Das andere, was wir gesehen haben, ist: Wenn es einem gelingt, die Welt zu erzeugen, in der man Wunder entstehen lassen kann, ist es die Fantasie, die Imagination, die Vorstellungskraft des Zuschauers, die du unterstützt und nährst. Und das Lustige und das Rührende, wie wir fanden, ist: Menschen sind begeistert, wenn sie ihre eigene Kreativität endlich ins Spiel bringen können und jetzt Welten erfinden, die von niemandem vorher gesehen worden sind […] . Und daher ist es für die Zuschauer einer solchen Zaubervorstellung ein Entzücken und ein Genuss. Sie haben sich eine Welt erzeugt, die es ja wirklich – wie man behauptet – gar nicht gibt. Das ist die Lehre, die wir gewonnen haben.
Und die andere Lehre ist keine Lehre, sondern eine Technik: Wie stellt man sich auf die Bühne und ist da? Das ist nämlich gar nicht so leicht. Du kannst dich auf die Bühne stellen, und man sieht dich gar nicht. Aber es gibt eine Methode, es gibt eine Haltung; da trittst du herei, und plötzlich schaut jeder auf dich; plötzlich hast du, wie man sagt, die Mitte der Bühne gewonnen. Dieses Geheimnis haben wir beide gelernt. Und ich glaube, davon lebe ich heute noch. Ich kann in die Mitte irgendeiner Sache hineingeworfen werden: „Heinz, erzähl und über dieses und jenes!“; dann fange ich an, über dieses und jenes zu sprechen. Alles hört zu. Es ist ganz merkwürdig. Selber weiss ich nicht, wie das geht. Ich weiss nur, dass ich etwas mache, wo dann alle Leute plötzlich zuhören.
Wenn du siehst, dass du durch Vorträge, durch die Sprache, durch die Erzählung eine Welt entstehen lassen kannst, in der alles Mögliche für den Hörer auftaucht, hat das einen grossen Einfluss für das bezügliche Verhalten von Mensch zu Mensch. Du beginnst, ein anderes Verständnis für die Relation von Mensch zu Mensch zu haben […]
Wenn du diese Art von Zaubern betrittst […], siehst du, dass der andere – der Partner, der Hörer, der Zuschauer, der Mitspieler, der Mitmensch – durch deine Haltung, durch deine Erzählung, durch deine Verhalten Vorstellungen entwickelt, die nur als Vorstellungen möglich sind; denn der Elefant verschwindet ja nie, oder die Karten schiebe ich der Dame ja nie unter den Allerwertesten, sondern sie glaubt, dass diese Karten da drunterkommen. Sie hat diese klare Vorstellung. Während die Karten mehr werden, glaubt sie, dass sie wirklich höher sitzen würde. Das ist irrsinnig komisch. Die machen sogar einen kleinen Hüpfer, während du die Karte da magisch unter ihren Sitz wirfst. Viele Damen machen Hipp, als ob sie wirklich ein bisserl höher sitzen würden. Die spielen einfach mit. Wenn du das verstehst, siehst du, wie du durch dein Verhalten eine Beziehung von dir zum anderen Menschen herstellen kannst. Das ist eine Relationsstruktur, die man in diesem Gespräch, im Dialog, oder wie du das nennen willst, aufbaut. Das ist der grosse Unterschied zu dem, wo du ein Solist bist; […]
Das Wesentliche des Zauberns liegt darin, den Zuschauer zu überreden, eine Welt für sich zu konstruieren, in der Wunderbares passiert. So ist sozusagen meine frühe Assoziation mit der Zauberei direkt mit Konstruktivismus verknüpft. Du musst dem Anderen eine Geschichte so erzählen, dass er plötzlich selber sieht, dass ein Elefant, der auf der Bühne stand, nicht mehr dasteht. Wenn dir das gelingt, bis du ein guter Zauberer.»[2]
Anmerkungen
[1] Foerster, Heinz von & Bröker, Monika (2007): Teil der Welt. Fraktale einer Ethik – oder Heinz Foersters Tanz mit der Welt. Zweite korrigierte Auflage. Carl-Auer Heidelberg, S. 100.
[2] Gesamtes Zitat: Foerster, Heinz von & Bröker, Monika(2007): Teil der Welt. Fraktale einer Ethik – oder Heinz Foersters Tanz mit der Welt. Zweite korrigierte Auflage. Carl-Auer Heidelberg, S. 92-100.