Herbert Marcuse: «Euthanasie»-Rechtfertigung

6. September 2016

«Nicht die, die sterben, stellen die grosse Anklage gegen unsere Kultur dar, aber die, die sterben, ehe sie müssen und wollen, die, die in Todesqual und Schmerzen starben. … Es bedarf aller Einrichtungen und Werke repressiver Ordnung, um das schlechte Gewissen über diese Schuld zur Ruhe zu bringen. … In einer repressiven Kultur wird der Tod selbst zu einem Instrument der Unterdrückung. … immer bringt die Erziehung zur Zustimmung zum Tod von Anfang an ein Element der Unterwerfung ins Leben … Die herrschenden Mächte haben eine tiefe Affinität zum Tode; der Tod ist ein Wahrzeichen der Unfreiheit … Die Theologie und die Philosophie liegen heute in einem Wettstreit um die Verherrlichung des Todes als existentielle Kategorie; indem sie eine biologische Tatsache in eine ontologische Tatsache verkehren, erteilen sie der Schuld der Menschheit, die sie zu vertuschen helfen, ihren transzendentalen Segen – sie verraten das Versprechen der Utopie. Eine Philosophie hingegen, die nicht als Handlangerin der Unterdrückung arbeitet, reagiert auf die Tatsache des Todes mit der „Grossen Verweigerung“ … Der Tod kann zum Wahrzeichen der Freiheit werden. … Gleich den anderen Notwendigkeiten kann er vernünftig gestaltet werden – schmerzlos. Die Menschen können ohne Angst sterben, wenn sie wissen, dass das, was sie lieben, vor Elend und Vergessen bewahrt ist. Nach einem erfüllten Leben können sie es auf sich nehmen, zu sterben – zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl. Aber selbst der endliche Anbruch der Freiheit kann diejenigen nicht mehr erlösen, die unter Schmerzen gestorben sind.»

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