Ideologen des «guten» Tötens: Helga Kuhse
1993 ∙ Moritz Nestor
Ideologen des «guten» Tötens: Helga Kuhse
Exzerpt aus Helga Kuhse: „Worin liegt der Wert des menschlichen Lebens?“ [1]
Noch gebe es nach Kuhse leider in Deutschland eine „sture“ Mehrheit, für die Fragen des Lebenswertes indiskutierbar sei. Kuhse geht selbstverständlich davon aus, dass es „lebenswertes“ und „lebensunwertes“ Leben gibt. Rasseargumente wie die der Nazis seien allerdings nur „Aussenkriterium“ und könnten den Unterschied nicht wirklich erklären. Die Rasseideologie der Nazis sei ebenso ein „Aussenkriterium“ wie das von „vitalistisch“ genannte Argument, menschliches Leben habe allein deshalb Wert, weil man lebe. Damit werden Lebensschützer in die Nähe der Nazis gerückt! Man müsse nach Kuhse den Unterschied zwischen „lebenswert“ und „lebensunwert“ danach beurteilen, „ob ein Leben für den Patienten von Wert ist oder nicht.“ (57)
Lebensschützer litten allgemein unter der „Fehlvorstellung, daß der Wert des menschlichen Lebens ´im Leben selbst´ liegt“. (58) Für Kuhse habe daher „das menschliche Leben als solches keinen intrinsischen moralischen Wert“!! (58) Nur „individuelle Menschen – nicht das menschliche Leben als solches –“ seien daher „Träger von moralisch–relevanten Eigenschaften …“. (58f) Für Kuhse hat das menschliche Leben „nur einen extrinsichen oder instrumentalen Wert; es ist lediglich die Voraussetzung für die Realisierung von anderen moralischen Gütern und Werten ….“. (59) Also würde „keine Pflicht bestehen, ein menschliches Leben zu erhalten, wenn die … als wervoll angesehenen Eigenschaften oder Kapazitäten nicht (mehr) vorhanden sind.“ (59) Dass menschliches Leben wertvoll ist, weil es menschliches Leben ist, sei ein Zirkelschluss, beziehungsweise – analog zum Rasissmus – „Speziezismus“ (Peter Singer). „Das menschliche Leben als solches ist kein plausibler Werträger.“ (60) Der Wert eines Menschen liegt in seiner Individualität, die an den Körper gebunden ist, aber nicht identisch mit ihm. (61)
Damit haben wir den Boden des Grundgesetzes und jeder Ethik verlassen! Dies ist entsprechend dem marxistischen Menschenbild gedacht, dass der Mensch keine feste Natur habe, sondern allein das Ensemble der ökonomisch–gesellschaftlichen Verhältnisse, also blosser Reflex von Interessen sei.
Nach Kuhse verdient ein menschliches Wesen nur dann Achtung und hat Würde –, „wenn es Interessen hat.“ (61) Also seien „Interessen, und nicht das Leben als solches, moralisch bedeutungsvoll …“ (61)
Aus dem Wunsch, das Leben an sich schützen zu wollen, allein weil es lebt, würde nach Kuhse folgen, „daß ein Arzt auch dann das Leben seines Patienten verlängern müßte, wenn dies gegen dessen beste Interessen verstieße. Dies würde bedeuten, daß Ärzte nicht mehr die Helfer ihrer Patienten wären, sondern oftmals Folterknechte.“ (63) Der unbedingte Schutz des Lebens als solches sollte man daher nach Kuhse „aus sehr ähnliche Gründen verurteilen wie die rassistische und eugenische Philosophie der Nazis: weil sie die Interessen der direkt von dieser Moralkonzeption Betroffenen nicht in Betracht zieht.“ (63)
„Euthanasie“ ist daher für Kuhse „Handlungen oder Unterlassungen, die im besten Interesse eines Patienten vorgenommen werden.“ (64) Jetzt sind alle Tore geöffnet: Liegt also ein moralischer Unterschied darin, fragt Kuhse, „wie Ärzte den Tod ihrer Patienten herbeiführen – durch Töten oder durch Sterbenlassen.“ (63) Warum soll man nicht aktiv werden, um den Tod herbeizuführen, wenn doch das Unterlassen von Therapie auf Wunsch des Patienten erlaubt ist? Blosses Unterlassen von Therapie – im Interesse des Patienten – könne zu qualvollem Siechen führen, also würde Töten – im Interesse des Patienten – „humaner“ sein, denn es kürze die Qualen blosser Unterlassung ab. Das gelte auch für „urteilsunfähige Patienten“. (65) So wird der Rubikon überschritten! Unterlassen ist also manchmal die schlechtere Art, jemanden sterben zu lassen.
Für den nächsten Gedanken muss sich Kuhse hinter einer fiktiven Gestalt verstecken: Eine fiktive „Frau Dr. Schmid“ sagt, „… daß ein früher Tod manchmal im besten Interesse eines Patienten ist; daß Ärzte eine primäre Pflicht haben, im besten Interesse ihrer Patienten zu handeln, und daß es aus dieser Pflicht heraus geschehe, daß man gewisse Patienten sterben lasse.“ (65)
Jetzt kommen ein paar simple Verdrehungen aus der Mottenkiste des Unmenschen:
1. Wie könne eine Handlung wie Töten von „vornherein und ohne Betrachtung der weiteren Umstände als falsch angesehen werden“? (66) Euthanasie geschehe im Interesse des Patienten, und könne es „von vorn herein als falsch angesehen werden, das zu tun, was im besten Interesse eines Mitmenschen ist?“ (66)
2. Der Mensch dürfe sich nicht als Herr über Tod und Leben aufschwingen. Aber bei den lebensverlängernden Massnahmen tue er es doch auch. Warum also nicht töten?
3. Unterlassen einer Therapie sei etwas als anderes aktives Töten, jedoch könne die Gabe von schmerzlindernden Mitteln tödlich sein. Also habe dann der Arzt doch getötet? Ist also „nicht eine Ärztin, die Patienten willentlich durch die Vorenthaltung lebenserhaltender Mittel sterben läßt, genauso verantwortlich für den Tod wie eine Ärztin, die ihnen eine tödliche Spritze gibt?“ (67)
„Es ist nicht länger klar …., daß es vernünftige Gründe gibt, warum Ärzte passive, aber nicht aktive Euthanasie praktizieren sollten. Aktive Euthanasie ist gegenwärtig illegal. Aber Gesetze können geändert werden. Wenn ein Gesetz schlecht ist, dann haben wir die Pflicht, es zu ändern.“ (67) „Das deutsche Tabu“ stehe da aber im Wege. „Eine vernünftige Diskussion dieser Frage steht in Deutschland noch aus.“ (67)
[1] Kuhse, Helga. Warum Fragen der aktiven und passiven Euthanasie auch in Deutschland unvermeidlich sind. In: Hegselmann, Rainer (Hrg.): Zur Debatte über Euthanasie. Frankfurt 1992, S. 51–70. [Die im Text angegebenen Zahlen in Klammern, sind die Seitenzahlen der Zitate.]