Ist Holland international isoliert?

Vortrag, gehalten auf dem «Internationalen Symposium Euthanasie in Europa», Straßburg, Palais de l´Europe, 16. Juli 1993, veranstaltet vom Strasbourg Gesprächskreis. Dr. Karel P. Gunning


Vortrag als


 

Ich möchte kurz darauf eingehen, wie andere Länder auf die Euthanasiepraxis in den Niederlanden reagiert haben. Kann man sagen, dass Holland in dieser Beziehung völlig isoliert ist oder nicht?

In den US–amerikanischen Staaten Oregon und Kalifornien wurden Referenden durchgeführt, nach deren Ergebnissen eine grosse Mehrheit der Bevökerung angeblich Euthanasie legalisieren möchte. Die Ergebnisse waren aber in Wirklichkeit gerade umgekehrt. Sechzig Prozent der Befragten lehnten in Wirklichkeit eine Legalisierung der Euthanasie ab. In gleicher Weise propagiert man in den Niederlanden, eine Mehrheit der Bevölkerung sei angeblich für eine Legalisierung der Euthanasie. Auch wir hatten ein Referendum, und seine Ergebnisse waren gleich denen in Oregon und Kalifornien!

Wie reagierten nun die Ärzte der anderen europäischen Länder auf die Euthanasiepraxis in den Niederlanden? Im Ständigen Ausschuss der Ärzte in der Europäischen Gemeinschaft, ein beratendes Gremium in medizinischen Fragen, ist jeder der zwölf Mitgliedstaaten mit einem Sitz vertreten. 1985 wäre die Reihe an den Niederlanden gewesen, Vorsitz und Generalsekretariat dieses Ständigen Ausschusses für drei Jahre zu übernehmen. Aufgrund der niederländischen Einstellung zur Frage der Euthanasie hat es jedoch eine Diskussion gegeben, und alle anderen elf Staaten waren gegen den Standpunkt der Niederländer, worauf diese den Vorsitz wieder abtraten.

Dieser Standpunkt wird offiziell auch von der Königlich Niederländischen Medizinischen Gesellschaft (KNMG) vertreten, die die Regeln für Euthanasie in Holland festgelegt hat. Die KNMG bedauerte es anlässlich der ersten Lesung des geplanten Gesetzes zur Legalisierung der Euthanasie, dass Euthanasie nicht generell völlig freigegeben wurde.[1]

Im Jahre 1987 hat der Ständige Ausschuss der Ärzte in der EG in Berlin eine Erklärung verabschiedet, worin wir folgendes lesen können: „Die medizinische Praxis bedeutet unter allen Umständen Respekt vor dem Leben und der Würde des menschlichen Lebens. Jede Handlung, die darauf abzielt, den Tod eines Patienten herbeizuführen, widerspricht der medizinsichen Ethik. Der Arzt muss den Willen der Person, die er betreut, respektieren und sieht dann, welche Behandlung er, je nach Verlauf der Krankheit, anwendet. Therapeutische und psychologische Behandlung des Sterbenden sind Teil dieser Verpflichtung, denn der Sterbende hat auch Anspruch auf Respekt und menschliche Behandlung. Der Arzt hat die Pflicht, die therapeutische und psychologische Betreuung seiner Patienten bis zum Ende sicherzustellen. Der Arzt muss so weit wie möglich versuchen, eine Zustimmung der Person, die er betreut, zu bekommen. Wenn der Patient bewusstlos ist, muss der Arzt ihm mit den medizinischen Möglichkeiten helfen, die seinen eigenen Interessen am besten entsprechen und so lange wie möglich weitermachen, so lange es Hoffnung auf Verbesserung gibt. Wenn ein unheilbarer Kranker in die letzte Phase eintritt, kann der Arzt versuchen, die körperlichen und moralischen Schmerzen zu lindern, wobei er versuchen muss, die Qualität und Menschenwürde bis zum Ende so weit wie möglich zu berücksichtigen.“

Diese Erklärung wurde von allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme der Niederlande angenommen. Die Niederländer haben sich der Stimme enthalten. Im Oktober 1987 hat die World Medical Asociation in Madrid folgende Erklärung einstimmig angenommen:

„Euthanasie ist das bewusst Beenden des Lebens eines Patienten, auch auf Wunsch des Patienten oder auf Wunsch der nahen Verwandten, was im Grunde nicht ethisch ist. Der Wunsch des Patienten wird in seienr treminalen Phase der Krankheit berücksichtigt.“

Im letzten Jahr legte die Niederländische Regierung ein Gesetz zur Legalisierung der Euthanasie vor. Die niederländischen Ärzte haben in der Folge an alle anderen europäischen Ärzteverbände geschrieben, diese Gesetzesvorlage und den Standpunkt der KNMG in der Euthanasiefrage dargestellt und erklärt und vier Fragen gestellt:

1. Welcher Standpunkt entspricht dem Ihrer eigenen Organisation und warum?

2. Welcher Standpunkt entspricht dem Ihrer Organisation am wenigsten und warum?

3. In wieweit weicht Ihr Standpunkt von dem niederländischen ab?

4. Was würden Sie sagen, wenn Ihre Regierung die Entscheidung träfe, es den Niederländern gleichzutun?

Alle angeschriebenen medizinischen Verbände haben geantwortet. Die Antworten waren sehr zufriedenstellend. Kein einziges Land hat irgendeinen Hinweis darauf gegeben, dass sich seine Haltung in der Euthanasiefrage irgendwie geändert hätte. Aus zwei beispielhaften Antworten möchte ich zitieren. Der Präsident der Deutschen Ärztekammer schrieb: „Wir halten uns an den Eid des Hippokrates. Wir unterwerfen uns diesem Eid. Danach ist Euthanasie nicht statthaft und auch keine andere Möglichkeit oder Handlung, das Leben des Patienten zu verkürzen.“

Zur niederländichen Gesetzesvorlage meinte er: „Da sind drei wesentliche Fehler drin enthalten. Zunächst einmal: Höhere Gewalt kann nicht im voraus einen Rechtsstatus bekommen. Verleiht man man ihr diesen, dann ist es keine höhere Gewalt mehr, sondern wird Alltagspraxis. Zweitens: Eine Entscheidung während des Lebens des Patienten kann nicht von einem Rechtsmediziner getroffen werden, und eine Post–mortem–Untersuchung in diesem Zusammenhang vorzunehmen ist vollkommen unangemessen. Wenn wir eine Überdosis gebe, um das Leben eiens Patienten zu verkürzen, dann bedeutet das einen Widerspruch zur höheren Gewalt. Außerdem ist es nicht zu akzeptieren und es widerspricht der ganzen Haltung der Ärzte in der ganzen Welt.“

Ich möchte auch auf die Antwort der spanischen Ärztegesellschaft verweisen. Die dortige Regierung hat offensichtlich einen Strafgesetzentwurf vorbereitet, der „Mord infolge von Krankheit“ mit bis zu sechs Monaten Haft unter Stafe stellt. Bestraft werden soll, wer mithilft, das Leben eines Menschen zu beenden, auch wenn dieser darum bittet, auch wenn der Kranke sehr schwer krank ist oder sein Leiden zum Tode führt oder er Schmerzen erleidet. Die spanische Ärztegesellschaft sagt dazu: „Dieser Artikel ist äusserst vage. Der Arzt hat überhaupt keine Möglichkeit, die Schwere der Situation zu überprüfen. Auch ist die Strafe ja nicht sehr hoch, was bedeutet, dass dieses Gesetz, wenn es wie vorgesehen angewandt wird, noch permissiver und unverantwortlicher wäre als das niederländische.“ Die spanische Ärztegesellschaft wäre damit überhaupt nicht einverstanden.

Ich möchte mit einigen ethischen Bemerkungen schliessen. Artikel zwei der die Europäischen Menschenrechtskonvention besagt ja, dass das Recht eines jeden auf Leben durch das Gesetz geschützt wird. Die Frage ist nun, soll jedes menschliche Leben geschützt werden? Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich von dem Wert ab, den wir dem menschlichen Leben beimessen. Das heisst aber, sein Wert hängt von der Ethik ab, die wir vertreten: Gehen wir utilitaristisch vor oder human?

Human heisst, wir haben Respekt vor jedem Menschen und vor jedem menschlichen Leben. Das findet seinen Niederschlag im Eid des Hippokrates, das heisst, der Arzt schwört einen Eid, immer das Leben des anderen zu achten, auch auf Wunsch des Patienten keine Abtreibung und keine Euthanasie vorzunehmen. Die Massentötungen im letzten Weltkrieg sind ja von verschiedenen Ärzten betreut worden, und das ist absolut inakzeptabel. Wir haben heute die Genfer Erklärung von 1948, in der es heisst: „Die Ärzte schützen das Leben von der Empfängnis bis zum Tod.“ Diese Haltung findet ebenso ihren Niederschlag in der universellen Menschenrechtserklärung, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im gleichen Jahr proklamiert wurde. Diese allgemeine Menschenrechtserklärung stützt sich auf die allgemeine Würde des Menchen und die unveräusserlichen Werte.

Nach dieser Präambel ist es so, dass die Würde des Menschen und seine Rechte unabdingbar sind, wenn wir Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt erreichen wollen. Das bedeutet, wenn unser Ziel darin besteht, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu erreichen, müssen wir eben diese Würde des Menschen und seine Freiheiten gewährleisten und berücksichtigen. Diese allgemeine Menschenrechtserklärung ist Teil und Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention und auf der Grundlage dieser Erklärung können wir sagen, das Recht auf Leben eines jeden Menschen muss geschützt werden.

Wir haben ja noch eine andere Form der Ethik, die man utilitaristisch nennen könnte, Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat diese utilitaristische Ethik die humane Ethik im Südwesten weitgehend ersetzt. Dort geht man nun von der Qualität eines Menschen aus und von seinem Nutzen für die Gesellschaft. Und die höchste Lebensqualität repräsentiert eine gesunde, starke und kräftige Person. Ist man weniger gesund, stark und kräftig, vermindert sich im Sinne der utilitaristischen Vorstellung die Lebensqualität und damit auch der Wert eines Menschen. Diese utilitaristische Sichtweise wurde bereits im Jahre 1970 im kalifornischen Ärzteblatt propagiert. In einem Artikel heisst es dort, dass die Qualität eines jeden Menschen von einem Arzt beurteilt werden kann. Und wer bestimmten medizinischen Normen nicht mehr genügt, wird aus der Gesellschaft ausgeschieden. In dem Artikel wird vorausgesagt, dass wir neben der Geburtenkontrolle eines Tages auch eine Todeskontrolle haben würden. Heute werden bereits ungeborene oder behinderte Kinder aus Kostengründen abgetrieben, und in Hollen haben wir Euthanasie mit und ohne Willenserklärung des Patienten. Ein Fall wurde sogar berichtet, da hat man gegen den Willen des Patienten gehandelt.

Wir müssen eben wissen, welche Ethik wir wollen. Wollen wir ein Konzept der Empfängnis– und Todeskontrolle durch Ärzte, oder wollen wir eine Gesellschaft, in der weltweit Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit erreicht werden kann? Wir müssen uns dafür einsetzen. Wir selbst müssen entscheiden, welche Zukunft wir wollen: Wollen wir eine freie, gerechte und friedliche Gesellschaft auf der Grundlage der allgemeinen Menschenrechtserklärung, oder wollen wir eine Gesellschaft, in der wir von der Gnade der Ärzte abhängen? Wollen wir unser Leben und das Leben unserer Kinder geschützt sehen, oder wollen wir es nur dann geschützt sehen, wenn wir für andere nützlich sind oder von anderen gewünscht werden? Wir haben immer noch die Freiheit, hier eine Entscheidung zu treffen.

[1]      Die Niederlande haben sich 1993 erneut um den Vorsitz im Ständigen Ausschuss der Ärzte in der EG beworben. Im Verlaufe einer zum Teil sehr hitzig verlaufenen Diskussion wurde dieser Antrag jedoch wiederum abgelehnt.

Autor

Dr. Karel P. Gunning, Präsident der «World Federation of Doctors Who Respect Human Life» - Vorstandsmitglied des «Niederlande Artsenverbond» - Mitglied in der «Dutch Physicians» League»

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