Hansotto Hatzig
Bertha von Suttner und Karl May
In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1971
Hinter dem gängigen Bild vom Abenteuerschriftsteller kommt in diesem Aufsatz von Hans-Otto Hitzig ein heute unbekannter Karl May ( 1842 – 1912) zum Vorschein. Von 1905 bis zu seinem Tode 1912 war er geistiger Mitstreiter von Berta von Suttner (1843 – 1914 ) für den Frieden.
Nachdem er ihren Vortrag in Dresden besucht hatte, schrieb er 1905 an Berta von Suttner: «Hochgeehrte Frau Baronin! Am Sonntag Abend war ich einer Ihrer Hörer. Die ersten beiden Billets, welche erworben wurden, holte sich meine Frau, eine Ihrer aufrichtigsten Verehrerinnen.» den Brief weiterlesen

Berta von Suttner. Die Waffen nieder
Karl Mays Frau Klara vermerkt am 12. Februar 1913 in ihrem Tagebuch «Bertha von Suttner hier. Schöne Stunden. Sie spricht in höchster Verehrung von Karl Mays Wirken».
Liebevoll beschreibt Hansotto Hatzig in seinem Aufsatz im Karl May Jahrbuch 1971 die heute weitgehend unbekannte Beziehung zwischen Karl May und Berta von Suttner. «Niemand hat für Karl May einen schöneren Nachruf geschrieben als Bertha von Suttner in dem Wiener Blatt ‚Die Zeit‘ vom 5. 4. 1912, in dem sie sagte, daß jeder, der Karl May im Sophiensaal [22. März 1912] sprechen gehört hat, das Gefühl gehabt haben müsse: ‚In dieser Seele lodert das Feuer der Güte.’» Über den Tod ihres Mannes hinweg blieb Mays Frau mit Berta von Suttner verbunden. Carl Zuckmayer taufte übrigens aus Liebe zu Karl Mays humanem Friedensengagement seine Tochter auf den Namen Winnetou.
Es gilt diesen unbekannten Karl May für die Jugend (wieder) zu entdecken. Man lese nur zum Beispiel Mays bewegendes Vorwort zu Winnetou I, womit er mit seinem «roten Bruder» – der untergehenden Nation der Indianer – ein Denkmal setzt: Winnetou, der «Wilde», der die humane Friedensbotschaft von Christus verwirklicht, weil er Mensch ist – ja, oft besser verwirklichen als die sich Christen nennenden «zivilisierten» Eroberer, die sein Land rauben, die rote Nation verjagen und abschlachten. Ein neuer Zugang zu dem zu unrecht vergessenen Karl May. «Ich habe Karl May in einer Zeit gelesen,» schreibt Günter de Bruyn, «in der Krieg und Militär die Ideale des deutschen Jungen zu sein hatten, und ich habe ihn immer als einen Gegner dieser Ideale empfunden. Seine Bücher vermitteln ein bestimmtes Gefühl von Freiheit, weil es immer Einzelne sind, die alle entscheidenden Dinge tun.»

Titelbild von Sascha Schneider (1904) von Winnetou I – Kain und Abel als Symbol für den Völkermord des Weissen an seinem roten Bruder
Der ‚Jugendschriftsteller‘ Karl May war ein politischer Mensch, der die Geschichte der Eroberung Amerikas durch die Europäer, aber auch anderes koloniales Unrecht sehr gut kannte. Das Vorwort von Winnetou 1 offenbart, welch humane und naturrechtliche Gesinnung dieser Roman ausstrahlt und welches Ethos die Freundschaft von Old Shatterhand und Winnetou versinnbildlicht: Karl May verurteilt den Völkermord an den Indianern scharf. Mitten im Zeitalter des schlimmsten Kolonialismus. In seinen Indianer-Büchern weckt er durch seine lebendig und spannend geschriebenen Abenteuer-Schilderungen hindurch – vor allem auch bei jungen Lesern – ein tiefes Gerechtigkeitsgefühl und die Abscheu vor Rache, Mordlust und Gier, begangen von «Christen» an «Heiden». Das macht Karl May zu den grossen Schriftstellern einer humanen Volksbildung. Und neben den packenden Abenteuerbeschreibungen war das der Grund, warum früheren Generationen die «grünen Bände» so heiss geliebt haben. Im Vorwort Winnetou, Band 1 umreisst Karl May seine naturrechtliche Auffassung: «Wenn es richtig ist, daß alles, was lebt, zum Leben berechtigt ist …, besitzt der Rote das Recht zu existieren nicht weniger als der Weiße».

Winnetou 1
«Ja, die rote Nation liegt im Sterben! Vom Feuerlande bis weit über die nordamerikanischen Seen hinauf liegt der riesige Patient ausgestreckt, niedergeworfen von einem unerbittlichen Schicksale, welches kein Erbarmen kennt. Er hat sich mit allen Kräften gegen dasselbe gesträubt, doch vergeblich; seine Kräfte sind mehr und mehr geschwunden; er hat nur noch wenige Atemzüge zu thun, und die Zuckungen, die von Zeit zu Zeit seinen nackten Körper bewegen, sind die Konvulsionen, welche die Nähe des Todes verkündigen. Ist er schuld an diesem seinen frühen Ende? Hat er es verdient? Wenn es richtig ist, daß alles, was lebt, zum Leben berechtigt ist, und dies sich ebenso auf die Gesamtheit wie auf das Einzelwesen bezieht, so besitzt der Rote das Recht zu existieren nicht weniger als der Weiße und darf wohl Anspruch erheben auf die Befugnis, sich in sozialer, in staatlicher Beziehung nach seiner Individualität zu entwickeln. Da behauptet man nun freilich, der Indianer besitze nicht die notwendigen staatenbildenden Eigenschaften. Ist das wahr? Ich sage: nein! … Es war nicht nur eine gastliche Aufnahme, sondern eine beinahe göttliche Verehrung, welche die ersten ‚Bleichgesichter‘ bei den Indsmen fanden. Welcher Lohn ist den letzteren dafür geworden? Ganz unstreitig gehörte diesen das Land, welches sie bewohnten; es wurde ihnen genommen. Welche Ströme Blutes dabei geflossen und welche Grausamkeiten vorgekommen sind, das weiß ein jeder, der die Geschichte der ‚berühmten‘ Conquistadores gelesen hat. Nach dem Vorbilde derselben ist dann später weiter verfahren worden. Der Weiße kam mit süßen Worten auf den Lippen, aber zugleich mit dem geschärften Messer im Gürtel und dem geladenen Gewehre in der Hand. Er versprach Liebe und Frieden und gab Haß und Blut. … Wollte der Rote sein gutes Recht geltend machen, so antwortete man ihm mit Pulver und Blei, und er mußte den überlegenen Waffen der Weißen wieder weichen. Darüber erbittert, rächte er sich nun an dem einzelnen Bleichgesichte, welches ihm begegnete, und die Folgen davon waren dann stets förmliche Massacres, welche unter den Roten angerichtet wurden. Dadurch ist er, ursprünglich ein stolzer, kühner, tapferer, wahrheitsliebender, aufrichtiger und seinen Freunden stets treuer Jägersmann, ein heimlich schleichender, misstrauischer, lügnerischer Mensch geworden, ohne daß er dafür kann, denn nicht er, sondern der Weiße ist schuld daran. … Was hätte diese Rasse leisten können, wenn man ihr Zeit und Raum gegönnt hätte, ihre inneren und äußeren Kräfte und Begabungen zu entwickeln? Welche eigenartige Kulturformen werden der Menschheit durch den Untergang dieser Nation verloren gehen? … Er [Winnetou], der beste, treueste und opferwilligste aller meiner Freunde, war ein echter Typus der Rasse, welcher er entstammte, und ganz so, wie sie untergeht, ist auch er untergegangen, ausgelöscht aus dem Leben durch die mörderische Kugel eines Weißen. Ich habe ihn geliebt wie keinen zweiten Menschen und liebe noch heut die hinsterbende Nation, deren edelster Sohn er gewesen ist. Ich hätte mein Leben dahingegeben, um ihm das seinige zu erhalten, so wie er dieses hundertmal für mich wagte. Dies war mir nicht vergönnt; er ist dahingegangen, indem er, wie immer, ein Retter seiner Freunde war; aber er soll nur körperlich gestorben sein und hier in diesen Blättern fortleben, wie er in meiner Seele lebt, er, Winnetou, der große Häuptling der Apachen. Ihm will ich hier das wohlverdiente Denkmal setzen, und wenn der Leser, welcher es mit seinem geistigen Auge schaut, dann ein gerechtes Urteil fällt über das Volk, dessen treues Einzelbild der Häuptling war, so bin ich reich belohnt.»
Einleitung zu «Winnetou, der rote Gentleman, 1. Band (1893 – 1905) von Carl May»
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Meine Beiträge zu Karl May
Moritz Nestor. Cain, where is your brother Abel? [18. April 2018]
Moritz Nestor. Caïn, où est ton frère Abel? [18. April 2018]
Moritz Nestor. «Alte» Literatur er(neu)t gelesen – Karl May [8. August 2018]
Moritz Nestor. Karl May [2018]
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«Der rote Mann kämpft den Verzweiflungskampf;
er muss unterliegen; aber ein jeder Schädel
eines Indianers, welcher später aus der Erde
geackert wird, wird denselben stummen Schrei
zum Himmel stoßen, von dem
das vierte Kapitel der Genesis erzählt.»
Aus: Der Sohn des Bärenjägers, Stuttgart 1890, S. 78
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«Auch der Indianer ist Mensch
und steht im Besitze seiner Menschenrechte;
es ist eine schwere Sünde, ihm das Recht,
zu existieren, abzusprechen
und die Mittel der Existenz
nach und nach zu entziehen.»
Aus: Karl May. Ein Ölbrand. In: Das Neue Universum, Stuttgart 1882, S. 3
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«Ein jedes Volk hat das Recht, sich selbst zu regieren.»
Aus: Karl May. Waldröslein 1884, S. 1670
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«Ihr habt Kriegswissenschaften,
theoretische und praktische.
Und ihr habt Friedenswissenschaften,
theoretische, aber keine praktischen.
Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann;
wie man den Frieden führt,
das weiß kein Mensch.
Ihr habt stehende Heere für den Krieg,
die jährlich viele Millionen kosten.
Wo habt ihr eure stehenden Heere
für den Frieden,
die keinen einzigen Para kosten,
sondern Millionen einbringen würden?
Wo sind eure Friedensfestungen,
eure Friedensmarschälle,
eure Friedensstrategen,
eure Friedensoffiziere?»
Aus: Karl May. Ardistan und Dschinnistan 1, 17
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Ich «spreche zu Ihnen nur als Schriftsteller,
als unfanatischer Laie,
der nichts und nichts erstrebt
als nur das eine, große, irdische Ziel:
Und Friede auf Erden!»
Aus: Karl Mays Vortrag am 22. März 1912 im Wiener Sophiensaal
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«Wehe und tausendmal wehe dem Volke,
welches das Blut und das Leben
von Hunderttausenden vergießt,
um anderthalb Schock Ritter des eisernen Kreuzes
dekorieren zu können!
Wir brauchen Männer des Geistes,
Männer des Wissens und der Kunst.
Die wachsen
aber nicht bei Wagram oder Waterloo!»
Aus: Karl May. Brief an den Maler und Freund Sascha Schneider (1906)
Bemerkenswerte Zitate aus Karl Mays Büchern
Karl May
Der Ölprinz
Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker erfahren, dass eine Gruppe deutscher Auswanderer von einer Bande beraubt werden soll. Sie nehmen die Bande gefangen und führen die Auswanderer weiter. Der Verräter Toller, der Führer des Trecks, befreit aber heimlich den Anführer der Gefangenen. Die Beiden tun sich mit einem weiteren Schurken namens Grinley, den Halbbruder Buttlers, zusammen. Sie wollen dem Bankier Rollins eine nicht existierende Ölquelle andrehen und ihm sein Geld abnehmen. «Hobble-Frank» und «Tante Droll» wollen das verhindern. Sie gehen aber den drei Schurken in eine Falle und werden gefangen genommen. Als der Bankier und sein Buchhalter von den Schurken zu der angeblichen Ölquelle geführt werden, geraten sie in einen kriegerischen Konflikt zwischen zwei Indianerstämmen: der Nijoras und Navajos. Winnetou und Old Shatterhand befreien die Gefangenen, retten den Bankier vor den Schurken, und es gelingt ihnen schliesslich die verfeindeten Indianerstämme wieder zu versöhnen. Hier kommt zum Ausdruck, wie sehr der Ölprinz viel mehr ist als ein guter Abenteuerroman. Vielmehr veranschaulicht der Roman durch die spannende Handlung hindurch auch die antikoloniale Haltung Karl Mays, der die Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner durch die Weissen zutiefst verabscheut.
Der eindrückliche Friedensschluss beginnt mit der Rede von Old Shatterhand, in der er den Ablauf des Völkermordes beschreibt:
«Meine Brüder wissen, dass ich ein Freund der roten Männer bin. Dem Indsman gehörte das ganze Land von einem Meere bis zum andern; da kam der Weisse und nahm ihm alles und gab ihm dafür seine Krankheiten. Der Indianer ist ein armer, kranker Mann geworden, welcher sehr bald sterben wird. Der Weisse ist sein Feind und hat ihn am meisten dadurch besiegt, dass er Unfrieden unter die roten Völker warf und einen Stamm gegen den andern aufhetzte. Die roten Männer waren so unklug, dies geschehen zu lassen, und sind selbst bis auf den heutigen Tag nicht klüger geworden. Sie reiben sich untereinander auf und könnten doch heut noch Grosses erreichen, wenn sie den gegenseitigen Hass fallen liessen und unter sich das wären, was sie sein sollen und wozu sie geboren sind, nämlich Brüder. Habe ich recht?»
Hier den ganzen Friedensschluss lesen
Karl May
Old Surehand I
Auch dieser Band ist mehr als ein sehr spannend geschriebener Abenteuerroman. Er enthält zum Beispiel einen längeren Dialog zwischen Old Shatterhand und einem auf Rache sinnenden indianischen Heisssporn namens Schiba-Bigk. Darin kommen Karl Mays Ablehnung der primitiven Rache und seine Friedensethik gut zum Ausdruck.
Der junge Häuptling Schiba-Bigk war einst mit Old Shatterhand befreundet. Er hat sich nun gegen Old Shatterhand gewendet, beleidigt ihn und will ihn töten. Old Shatterhand reagiert:
„Uff, uff! Ist das die Rede eines jungen Mannes, mit dem ich einst die Pfeife des Friedens rauchte?“
„Es ist die Rede eines jungen Mannes, aus dem ein grosser und berühmter Krieger geworden ist. Das Kalumet gilt nicht mehr, denn Du bist nicht mehr mein Freund, sondern mein Feind, den ich töten muss. Du hast unseren Gefangenen befreit.“
„War er der deinige? Ich befreite ihn aus den Händen der Naiini-Kommantschen; du aber gehörst zu einem anderen Stamm.“
„Die Naiini sind meine Brüder, ihr Feind ist auch meine Feind. …“
Nach einem folgenden Handgemenge überwältigen Old Shatterhand und die Seinigen den jungen Häuptling Schiba-Bigk und dessen Krieger. Old Shatterhand tritt nun zu dem Gefesselten hin.
Es galt, dem Seelenleben eines jungen, hoffnungsvollen Indianers eine Richtung zu geben, die es ihm ermöglichte, … etwas Besseres als ein roher, blutdürstiger Kriegshäuptling zu werden.
Old Shatterhand: “Der Vater meines jungen Freundes hat Tevua-Schohe geheissen, das ist Feuerstern; ich bin sein Freund und Bruder gewesen, und er war der einzige Krieger der Komantschen, den ich liebte.“
Jetzt öffnete er die Lider halb und warf einen forschenden Blick in mein Gesicht, sagte aber immer noch nichts.
„Feuerstern starb unter den Händen weisser Mörder, und mein Herz wurde krank, als ich es hörte. Wir haben ihn an den Mördern gerächt, und die Liebe, die ich für ihn hegte, ist auf seinen Sohn übergegangen.“
Er schlug die Augen auf, drehte den Kopf herum und richtete den Blick voll auf mich, verharrte aber auch jetzt noch in seinem Schweigen. Ich sprach weiter: „Old Shatterhand hatte einen Namen, der an allen Lagerfeuern ertönte, und Schiba-bigk war ein Knabe, den niemand kannte. Dennoch nahm er sich seiner an, denn er wünschte, der junge Sohn der Komantschen möchte ein Mann werden, wie sein Vater war, mild und treu im Herzen, hell und klar im Kopf und stark in der Faust. Ich geleitete dich damals durch den öden Llano estacado; ich half dir gegen deine Feinde … und war dein Lehrer in allen Dingen … Wenn ich zu dir sprach, so erschien dir meine Stimme wie die Stimme des toten Vaters, und wenn ich deine Hand in die meinige nahm, so glänzte Wonne auf deinem Gesicht, als ob meine Hand die deiner Mutter sei. Damals hattest du mich lieb.“
„Uff, uff!“ sagte er jetzt leise, und seine Augen schimmerten feucht.
den spannenden Dialog weiterlesen
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An einer anderen Stelle sagt der 90jährige Indianerhasser Old Wabble: «Die Kerle sollen nur kommen! Wir schiessen sie alle über den Haufen.» Winnetous ist die Figur Karl Mays, die als «Heide» christlicher lebt als die «Christen», die sein Land blutig erobern
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