Michael Tomasello, 1950 in Bartow/Florida geboren, promovierter Psycholog, war lange Jahre Professor für Psychologie und Anthropologie an der Emory University. Seit 1998 ist er Ko-Direktor am Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. 2010 wurde er mit dem Max-Planck-Forschungspreis ausgezeichnet.
In der europäischen Kulturgeschichte wird die Frage nach der Natur des Menschen von zwei grundsätzlichen Positionen bestimmt: (1) die Menschen kämen egoistisch zur Welt und die Gesellschaft müsse ihnen Kooperation anerziehen; (2) die Menschen seien von Natur aus kooperativ veranlagt, könnten aber später durch Erziehungs- und Kultureinflüsse egoistische Haltungen entwickeln. Michael Tomasellos Studien mit Kindern und Schimpansen bestätigen wieder einmal die aus der philosophischen Anthropologie überkommene Auffassung, dass Kinder mit einer Disposition zur Hilfsbereitschaft und Kooperation geboren werden, dass sie unter dem Einfluss von Erziehung- und der Kultureinflüssen antisoziale und egozentrische Haltungen und Charaktereigenschaften auf der «unnützen Seite des Lebens» erlernen können. Tomasellos Befunde verifizieren damit empirisch die alte naturrechtliche Auffassung der philosophischen Anthropologie vom zoom politikon (Aristoteles), das aufgrund seiner angeborenen mitmenschlichen Neigungen erziehungsbedürftig und erziehbar ist. Tomasellos Befunde stimmen in hohem Masse mit der Anthropologie des Zoologen Adolf Portmanns überein, bestätigen und ergänzen sie; ebenso mit den anthropologischen Grundlagen des personalen Stroms innerhalb der Tiefenpsychologie, vor allem der Individualpsychologie Alfred Adlers und der Neoanalyse.