Niederlande: «Früher selektierte die Natur, heute macht das der Arzt.»

13. Februar 1998 Moritz Nestor

Das «Modell Holland» ist für Ambros Uchtenhagen das Modell, womit eine kontrollierte Freigabe der «Tötung auf Verlangen» («Euthanasie») angeblich 100%ig gelungen sei. Die Tatsachen des Lebens sprechen jedoch ihre eigene, trotzige Sprache. Allen Beteuerungen der «Euthanasie»liberalisierer zum Trotz hat sich die «Euthanasie»praxis in den Niederlanden weitgehend verselbständigt:

In den letzten fünf Jahren sind die Zahlen der Patiententötungen in den Niederlanden ständig angestiegen. Ärzte spritzen todkranke, behinderte Bays ab. Psychiater besorgen Depressiven Gift. Alte Menschen bekommen die Todesspritze, statt eine ordentliche Schmerzbehandlung. Ein schrecklicher Alltag – vor unserer Haustüre, für viele unbemerkt, für viele schon Routine!

Niederländische Ärzte führen heute bei jährlich 40% aller Geisteskranken den Tod selbst herbei. Oft wollen Eltern oder Ärzte kranken Kindern einen langen Leidensweg «ersparen». Ein niederländischer Rechtsanwalt: «Früher selektierte die Natur, heute macht das der Arzt.»

Der «Remmelink-Bericht» meldete bereits 1989 1 000 Tote pro Jahr in den Niederlanden, die ohne Zustimmung «euthanasiert» wurden. Das ist die «offizielle» Zahl. Ein niederländischer Arzt bekennt zum Beispiel: «Ich hatte eine Nonne mit Krebs. Die kann ich doch gar nicht fragen, denn dann muss sie wegen ihres Glaubens nein sagen.» Die Kaltschnäuzigkeit solcher Aussagen lässt erahnen, wie hoch die Dunkelziffer wohl sein wird, die sich hinter den 1 000 Opfern von 1989 für immer verbergen bleiben wird.

Niederländische Ärzte finden es zum Teil oft einfach «unhöflich» den Patienten zu fragen, ob er getötet werden wolle ‑ und töten! Niederländische Juristen und Medizin-Funktionäre nennen das «Lebens-Beendigung ohne ausdrückliches Ersuchen des Patienten». Das sei «eine Formulierung, die George Orwells ´1984´entsprungen zu sein scheint», kritisiert der US-amerikanische Psychologieprofessor Herbert Hendin, Mitglied der American Psychoanalytic Association. Er hat viele Jahre lang das «Modell Holland» untersucht.

Bereits mehrmals wurden in Musterprozessen niederländische Ärzte freigesprochen, obwohl sie, ohne die ,Regeln der Sorgfalt» eingehalten zu haben, Patienten «euthanasiert» haben. Die Richter begründeten die Freisprüche ganz einfach damit, die betreffenden Ärzte hätten trotzdem ihre «Sorgfaltspflicht erfüllt». Die «Regeln der Sorgfalt» sind Bestandteile des sogenannten niederländischen «Euthanasie»gesetzes und sollen eigentlich die Rechtssprechung binden. Eigentlich! Die derzeitige linksliberale Regierung will das «Euthanasie»-Verbot völlig aus dem Strafgesetzbuch streichen. Der Tenor in einem Grossteil der niederländischen Presse ist «Warum noch länger warten?»

Die niederländische Regierung beteuert, die meisten tötenden Ärzte würden melden, was sie täten, so dass man sie gut kontrollieren könne. Bis heute tragen jedoch 60% aller Ärzte in den Totenschein lieber «natürliche Ursache» ein, statt «Euthanasie». Verständlich: Welcher Täter wird sich denn schon freiwillig selbst belasten!

Mit der Motion Ruffy ist den Schweizer Euthanasieliebralisierern der parlamentarische Durchbruch glänzend und von der Öffentlichkeit kaum beachtet gelungen. Die in ihrer Folge installierte Arbeitsgruppe wird Mitte dieses Jahres dem Bundesrat berichten, ob und wie ein strafrechtlicher Weg gefunden werden kann, um die Tötung auf Verlangen zu liberalisieren. Der «Che Guevara des Tessin», Franco Cavalli (SP), betont, dass die Motion Ruffy im Wesentlichen eine Übernahme des «Holländischen Modells» ist.

Der «Sozialethiker» Alberto Bondolfi, welcher dieser Arbeitsgruppe angehört, hat kürzlich zu erkennen gegeben, in welcher Richtung er sich eine Lösung vorstellt: Ein «Recht auf Tötung auf Verlangen» könne man nicht ins Strafrecht aufnehmen. Es gebe keine Pflicht, jemanden mit Tötung zu «bedienen», wenn dies «gewünscht» werde. Der Gesetzgeber müsse vielmehr festlegen, in welchen «aussergewöhnlichen Fällen» die Tötungen auf Verlangen straffrei bleiben könne. Auf den Vorhalt, dass genau dies der holländische Weg gewesen sei, der zu den 20 000 des Jahres 1989 geführt habe, sagte er. «Ja, aber das heisst ja nicht, dass wir das ganze Modell übernehmen!» Das Gleiche tun und doch nicht tun?! Si tacuisses, philosophus mansisses!

Der niederländische Gesetzgeber hat bis heute das Verbot der Tötung auf Verlangen nicht gestrichen. Er hat vielmehr genau das getan, was Bondolfi fordert: Er hat immer mehr Entschuldigungsgründe offiziell anerkannt, weshalb Ärzte in ganz bestimmten Situationen straffrei bleiben, wenn sie Patienten töten. Man hat das «Notstand» genannt und sich auf den § 40 des niederländischen Strafgesetzbuches berufen, wonach eine Straftat dann straffrei bleiben kann, wenn sie in einem «Notstand» geschah. Dr. Vilmar, Vorsitzender der Deutschen Bundesärztekammer, hat dazu treffend bemerkt, dass ein «geplanter Notstand» keiner mehr sei!

Über welchen Notstandsparagraphen oder über welche Notverordnung wird also demnächst in der Schweiz die Tötung auf Verlangen entschuldigt werden können? Wo wird das hinführen? Es soll keiner sagen: «Ich habe es nicht gewusst.»

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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