Podiumsgespräch im Theater an der Winkelwiese: Alberto Bondolfi für «Liberalisierung» der Tötung auf Verlangen

3. Februar 1998 Moritz Nestor

Zu Beginn der Euthanasiedebatte, sagt Bondolfi, habe man noch grundsätzlich gestritten: Recht auf Leben versus Recht auf Tod. Heute sei man «tiefer eingedrungen». Er sei grundsätzlich für eine Liberalisierung der «Tötung auf Verlangen» (Art. 114 StGB)

Er stimmt mir zu, es könne kein «Recht auf Tötung» im Gesetz verankert werden. Es könne keine Pflicht geben, einen Suizidalen mit Tötung «zu bedienen».

Meinrad Schär von Exit sagt, dass viele Menschen zu Exit kämen und um «Beihilfe zum Suizid» (Art. 115 StGB) «bitten» würden, aber nicht allen könne «geholfen» werden.

Ich werfe Meinrad Schär vor, dass dies genau zeige, was schief laufe: «Sie tun nicht einfach nur das, was der Lebensmüde von ihnen sogenannt ‚wünscht‘. Sondern die Tatsache, dass Sie unter den Bewerbern auswählen, zeigt, dass Sie als angeblicher ‚Helfer‘ eine ‚Selektion‘ vornehmen: Sie erfüllen nicht einfach Wünsche, sondern treffen eine eigene innere Entscheidung über den ‚Lebenswert‘ anderer Menschen. Damit verfügen sie über das Leben anderer. Dem einen geben sie kein Gift. Dem anderen geben Sie Gift. Diese Entscheidung treffen Sie. Nicht der arme Suizidale. Was Sie tun, ist eigentlich eine Sonderform der Tötung auf Verlangen.» Meinrad Schär ist larmoyant empört.

Doch da springt ihm Alberto Bondolfi bei und rechtfertigt Schär: «Dr. Schäre ‚hilft‘ nur. Der andere hat sich frei entschlossen, nicht mehr leben zu wollen. Der Gesetzgeber hat kein Recht, in die ganz private Entscheidung, nicht mehr leben zu wollen, einzugreifen. Eine Liberalisierung der Tötung auf Verlangen ist nur so möglich, dass der Gesetzgeber ganz bestimmte Ausnahmefälle festlegt, in denen eine Ausnahme von der Regel, die Tötung auf Verlangen verbietet, möglich ist. Das Tötungsverbot gilt nicht absolut. Man muss daran denken, dass das Tötungsverbot nicht immer eingehalten wird in unserer Gesellschaft. Man denke nur an den Krieg.»

Ich halte ihm vor, dass die «Definition» solcher «Strafausschliessungsgründe» vom Verbot der «Tötung auf Verlangen» genau der niederländische Weg gewesen sei, der zu so vielen Toten geführt hat: runde 20’000 im Jahr 1989/90.

Boldolfi verneint. Ich beharre: «Doch, man hat in den Niederlanden nie das Verbot der Tötung auf Verlangen aufgehoben, sondern immer mehr Strafauschliesungsgründe anerkannt.»

Da sagt er: «Ja gut, das stimmt, aber das heisst noch lange nicht, dass wir das ganze niederländische Modell übernehmen müssen.»

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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