Robert Spaemann: Das Gezeugte und das Gemachte – « … dass ihnen ein Kind geschenkt wurde»

31. Oktober 2024

« … dass ihnen ein Kind geschenkt wurde»

«Das Beste und Höchste, das wir hervorbringen, ist unsersgleichen, und gerade das bringen wir hervor,  insofern wir Natur, natürliche Wesen sind und nicht durch ein Zusammenwirken von planender Vernunft und ausführender Hand. Sogar wenn der Wunsch, ein Kind zu zeugen, eine Frau und einen Mann bei ihrem Umgang miteinander bestimmt, so müssen sie doch diesen Gedanken im Augenblick der Zeugung vergessen oder zurücktreten lassen, damit es ihnen überhaupt gelingt. Und auch dann ist es nicht sicher. Darum haben Menschen immer gesagt, dass ihnen ein Kind geschenkt wurde.

Die systematische Entkoppelung dieses Aktes von seiner natürlichen Finalität wird Folgen für die Gestalt der Humanität haben, die wir noch gar nicht absehen. Max Horkheimer glaubte vor 30 Jahren schon sagen zu müssen, dass die Pille mit ihrer Entkoppelung von folgenlosem Spass und artifizieller Herstellung von Menschen das Ende dessen bedeutet, was in Europa und wohl weit darüber hinaus einmal Liebe hiess. Ich folge dieser Zuspitzung nicht. Alle Trends rufen Gegentrends hervor. Und was Descartes als Unglück betrachtete, nämlich als Behinderung von Rationalität und Fortschritt, das scheint mir der wichtigste Grund der Hoffnung zu sein, dass nämlich Menschen sterben und immer wieder neue Menschen als Kinder geboren werden, die von vorn anfangen können. Keine lebende Generation kann die Weitergabe  ihrer Massstäbe für zivilisatorische Notwendigkeit und politische Korrektheit an die kommende Generation garantieren,. und je mehr sie Erziehung als planmässige Indoktrination, als als eine Weise des Machens, versteht, umso weniger. Aber wir müssen uns des gegenwärtigen mächtigen Trends bewusst werden, wenn wir unsere Menschlichkeit nicht verlieren wollen.»

Robert Spaemann. Das Gezeugte und das Gemachte. In: Scheidewege, Band 36, Weinheim 2006/07, S. 300

 

 

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