Im „Journal of Medical Ethics“ (Heft 1, 2002) beklagt Julian Savulescu, ein Peter Singer Schüler und Vertreter der ‚liberalen Eugenik‘ aus Australien, die „fehlende Professionalität“ von Ethikkommissionen. Deren Mitglieder seien oft überhaupt nicht imstande, Studien beurteilen zu können, ja sie könnten nicht einmal die betreffende Literatur richtig prüfen. Savulescu fordert daher, die Sitze in den Kommissionen sollten keine Ehrenämter mehr sein. Die Mitglieder sollten daher „Profis“ sein.
Der Humangenetiker Benno Müller Hill, Autor des Buchs „Tödliche Wissenschaft“, schrieb 1984: „Vor einigen Jahren hielt ich eine Vorlesung über „Die Philosophen und das Lebendige“. Dabei bemerkte ich, daß am Ende des letzten [19.] Jahrhunderts ein eigenartiger Prozess einsetzte, der die Aufgabe der Sinngebung der Welt den Philosophen und Theologen entzog und sie Ärzten und Naturwissenschaftlern überantwortete.“ [1] Savulescu ist Schüler des «Euthanasie»-Philosophen Peter Singer und nennt sich „liberaler Eugeniker“. Er betreibt das, was Benno Müller Hill oben beschreibt: Wie Ende des 19. Jahrhunderts und danach will auch er die ethischen Fragen der Sinngebung der Welt den naturwissenschaftlichen „Profis“ übereignen und die Ethikkommissionen von Humanwissenschaftlern, Theologen und Philosophen (die ja angeblich keine Studien lesen und keine Literatur sichten können) entlasten.
Die „liberalen Eugeniker“ wollen sich mit einfachen semantischen Tricks von den Nazis absetzten: Bei der „autoritären“ Eugenik habe der Staat bestimmt, sagen sie, was ein genetisch „wertvolles“ Leben sei. Die „liberale“ Eugenik aber fordere, der Staat „muss sich gegenüber den individuell unterschiedlichen Konzeptionen des guten Lebens neutral verhalten … Eltern … dürfen nur solche Merkmale präferieren, welche die Fähigkeiten ihrer Kinder verbessern, ohne dabei deren Autonomie zu beschneiden.“ [2]
Heisst aber: Jetzt darf nicht mehr der Staat Menschen züchten (autoritäre Eugenik), sondern nur noch die Eltern dürfen es! Das ist noch schlimmer als bei der „autoritären“ Eugenik! Denn jetzt werden dem Staat die Hände gebunden, wenn irgendwelche Menschen Kinder mit „verbesserten Fähigkeiten“ (die sie sich ausdenken, nicht das Kind!) züchten wollen! Menschenzüchtung (Eugenik: eu genetik = schönes Genom) ist das allemal. Die Autonomie des Kindes ist dabei ein reines Feigenblatt. Denn wenn die Eltern entscheiden, welche „verbesserten Fähigkeiten“ ihr Kind haben soll, ist das Kind ja noch gar nicht geboren – und wird es nie, wenn es als „überzähliges Embryo“ vernichtet wird, weil es nicht den paternalistischen Verbesserungs-Wünschen seiner Eltern entspricht! Und wenn ein Kind mit „verbesserten Fähigkeiten“ zur Welt kommt, die den Eltern einst gefallen haben, dann kann es nicht mehr entscheiden, ob es auch so sein will, wie die Eltern es haben wollten.
So steht der Wille der Eltern über dem Staat und über dem Kind. Schöne neue Welt!
„Librale Eugeniker“ – nichts Neues
Peter Singer-Schüler wie Julian Savulescu und andere nennen sich ‚liberale‘ Eugeniker und tun so, als habe es vor 1945 ihresgleichen nicht gegeben. So wollen sie nicht in Verbindung gebracht werden mit den eugenischen Ungerechtigkeiten vor 1945.
Peinlich nur, dass schon 1910 der bekannte Sozialdemokrat Karl Kautzky als „liberaler“ Eugeniker auftrat. Liberal hiess bei ihm: Die „Internalisierung der eugenischen Normen durch die Individuen selbst„. Der Tübinger Moraltheologe Mieth nannte derartige „Internalisierungen“ von Normen der „Rassenhygiene“ zu recht einen „inneren Faschismus“.
„1910 veröffentlichte Karl Kautsky, einer der einflussreichsten sozialdemokratischen Theoretiker, eine Arbeit mit dem Titel «Vermehrung und Entwicklung in Natur und Gesellschaft» … Die ‚Ausmerze‘ wird von Kautsky nicht befürwortet, er setzt stattdessen auf «künstliche Zuchtwahl» in der Weise, «dass alle kränklichen Individuen, die kranke Kinder zeugen können, auf die Fortpflanzung verzichten, was bei dem heutigen Stande der Technik, wie wir schon wissen, nicht mehr Verzicht auf die Ehe in sich schließen braucht.» Kautsky tritt nicht für eine Durchsetzung der Prinzipien der Zuchtwahl durch den Staat ein, sondern setzt auf die Internalisierung der eugenischen Normen durch die Individuen selbst. Diese individuelle Eugenik werde sich nach Kautsky erst in der sozialistischen Gesellschaft etablieren können. «Wenn dennoch kranke Kinder in die Welt kommen, wird ihr Siechtum nicht mehr die Schuld der sozialen Verhältnisse, sondern einzig als persönliche Schuld der Eltern erscheinen. Die Zeugung eines kranken Kindes wird dann mit ähnlichen Augen betrachtet werdne, wie heute etwa noch die eines unehelichen Kindes.»“
Anmerkungen
[1] Benno Müller-Hill: Tödliche Wissenschaft. In: Zeit Online vom 13. Juli 1984, 8:00 Uhr.
[2] Markus Hofmann: Nur das Beste für den Nachwuchs. In: NZZ vom 17.4.2015, 05:30 Uhr.
[3] Brigitte Kepplinger: Sozialdemokratie und Eugenik. In: Der Wert des Lebens: Gedenken/Lernen/Begreifen. Begleitpublikation zur Ausstellung des Landes OÖ in Schloss Hartheim 2003. Linz: Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Johannes Kepler-Universität Linz , 2003. S. 54-60, S. 56.