Tötende Ärzte – die Gefahr ist da!

30. Juni 1998

In den USA lägen viele Untersuchungen über Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen («Euthanasie», «Sterbehilfe») vor. Gesamtamerikanische Daten gebe es bis heute aber nicht. Mit dieser Begründung wurde 1996 eine bundesweite Befragung an einer Zufallstichprobe von 3 102 US-amerikanischen Ärzten durchgeführt. Die Daten [N Engl J Med 1998;338:1193-201.] sind mehr als erschreckend und zeigen, welchen Dammbruch das Tötungsverbot tagtäglich verhindert. Von den 3 102 versandten Fragebögen wurden 61% zurückgeschickt. Sie sagen folgendes über Tötungsbereitschaft und Tötungshandlungen der befragten Ärzte aus:

 

Tötungsbereitschaft

Unter der gegenwärtigen gesetzlichen Strafandrohung wären 11% der antwortenden Ärzte in bestimmten Situationen bereit, den Tod eines Patienten durch Verschreiben eines Medikamentes zu «beschleunigen» und 7% würden eine tödliche Injektion bereit halten. Wären Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen legal, wären 36% der Ärzte in bestimmten Situationen bereit, den Tod eines Patienten durch Verschreiben eines Medikamentes zu «beschleunigen» und 24% würden eine tödliche Injektion bereit halten. Die Bejahung der Beihilfe zum Suizid stieg damit also von 11% auf 36% und die Bejahung der Tötung auf Verlangen von 7% auf 24%. Der einzige erkennbare Grund für den massiven Anstieg der Bejahung scheint im geistig vorweggenommenen Wegfall der Strafandrohung durch das Recht zu liegen.

Die Untersuchung zeigt: Wenn «nur» nur einmal darüber «nachgedacht» wird, dass das Recht nicht mehr konsequent alle Verstösse gegen das universelle Tötungsverbot bestrafen müsse, dann kann allein schon dieser Wegfall der Hemmschwelle in den Köpfen eine massive Zunahme der aktiven Bereitschaft für Straftaten bewirken. Dem geschichtlich Denkenden sind die Beispiele bewusst.

 

«Crypthanasie»

Die Studie berichtet über die heute bereits am Recht vorbei begangenen Patiententötungen (Fenigsen prägte hierfür den Begriff «Crypthanasie») folgendes:

18.3.% der antwortenden Ärzte berichteten, seit Beginn ihrer Praxistätigkeit hätte mindestens einmal einer ihrer Patienten Beihilfe zum Suizid verlangt. 16% dieser Ärzte, die mit der Bitte um Beihilfe zum Suizid konfrontiert waren, gaben an, sie hätten mindestens einmal ein Rezept für eine tödliche Dosis ausgestellt, mit dem der Tod eines Patienten «beschleunigt» wurde. 11.1% der antwortenden Ärzte berichteten, seit Beginn ihrer Praxistätigkeit hätte mindestens ein Patient den Wunsch nach Tötung auf Verlangen geäussert. 4,7% dieser Ärzte, die mit der Bitte um Tötung auf Verlangen konfrontiert worden waren, gaben an, sie hätten mindestens einmal einen Patienten mit einer Injektion getötet.

Ein beträchtlicher Teil der Ärzte setzt sich also heute bereits heimlich über das Recht hinweg. Um wieviel die tatsächlichen Patiententötungen zunehmen würden, wenn die Strafandrohung durch das Recht wegfiele, lassen die oben genannten Zahlen über die massive Zunahme der Bejahung von Beihilfe zum Suizid und der Tötung auf Verlangen nur erahnen.

 

Mahnung an die Zivilisation

Wenn diese Studie repräsentativ für US-amerikanischen Ärzte sein kann, dann ist ein relativ grosser Teil der dortigen Ärzteschaft  empfänglich für die «Euthanasie»kampagne und tötet zum Teil heimlich. Allerdings zeigt die Studie auch, wie das Recht durch die Strafandrohung die offene Akzeptanz (noch) gering hält. Ein empirische Nachweis erbracht, dass das Argument des Dammbruches mehr als berechtigt ist.

Wir sollten diese amerikanische Studie nicht vergessen, wenn im Laufe der nächsten Wochen der Bundesrat von der Arbeitsgruppe «Sterbehilfe» den Bericht erhält, ob und wie juristisch eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen in der Schweiz möglich sein kann.

Wenn die vernünftigen Kräfte in der Arbeitsgruppe obsiegen, wird die Arbeitsgruppe im Einklang mit der Schweizer Verfassung, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention jede Legalisierung der Tötung auf Verlangen verneinen.

Wenn sich aber jene Kräfte unter der geistigen Führung von Alberto Bondolfi durchsetzen, die nach dem Vorbild der Niederlande «in bestimmten Situationen» bestimmte Patiententötungen nicht mehr bestrafen wollen, dann ist der Schweizer Gesetzgeber aufgefordert, darüber nachzudenken, welche Patiententötungen man in Zukunft mit Deckung des Staates nicht mehr bestrafen will und welche man weiter bestrafen will.

Dann ist allerdings die Legitimation des demokratischen Rechtsstaat in Frage gestellt. Und dann kommt es darauf an, ob sich genügend Verteidiger der Grundlagen der Zivilisation finden, die der Aufhebung des Tötungsverbotes widerstehen. Heilung wo möglich, menschliche Zuwendung und ausreichende palliative Versorgung, wie das nach dem Stand der Medizin in der zivilisierten Ländern möglich und ein Grundrecht für jeden ist, sind die menschliche Absage an Patiententötungen. Dass manche heute heimlich über Leben und Tod entscheiden und dass nicht alle Krankheiten heilbar sind, rechtfertigt nicht, diese Unvollkommenheiten durch Töten zu lösen.

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