Und woher nehmen wir die Barriere gegen den Grössenwahn?

17. Oktober 2021 Moritz Nestor


Und woher nehmen wir die Barriere gegen den Grössenwahn?


„Natürlich spielen wir Gott, wer denn sonst?“
(Peter Singer)

 

Den Satz «Wenn wir nicht Gott spielen, wer dann?» «If we don’t play God, who will?»,[1] berichtet ein Journalist von Peter Singer, der diesen 2000 am World Economic Forum in Davos erlebt hat. Am 13. Juni 2010 veröffentlicht Singer seinen Artikel «Wissenschaftler, die Gott spielen, werden Leben retten.»[2] Darin heisst es, angesichts des Klimawandels und der Erdölkatastrophen sei es geradezu ein Verbrechen gegen die «Umwelt», wenn Forscher nicht Gott spielten! Singer spielt schon lange und öffentlich Herr über Leben und Tod, wenn er zum Beispiel schreibt:

«Bei schwerstbehinderten Babys sage ich nur, dass es zulässig ist, ihnen eine tödliche Injektion zu geben, wenn ihr Leben so erbärmlich ist, dass es nicht mehr lebenswert ist.» [3]

Technologen, die Gott spielen, finden sich auch unter den Vertretern der «Synthetischen Biologie». Einer der bekanntesten von ihnen ist der 1946 geborene US-amerikanischen Biochemiker John Craig Venter. Er besitzt seit 1998 die Firma Celera Corporation. Im April 2000 hat sie erstmals das menschliche Genom entschlüsselt,[4] und zwar auf privatwirtschaftlicher Basis und mit privatem Kapital. Er war damit Konkurrent des seit 1990 betriebenen «Human Genome Projects», das mit öffentlichen Geldern finanziert wurde.

Venter gelang es, sich von einigen Genen Patente zu verschaffen, mit denen er neue pharmazeutische Produkte vermarkten will. Im Oktober 2000 beantragte er allein 6`500 Patente auf Gene. Das ist, nota bene, keine staatliche Forschung im Dienste des allgemeinen Wohls, sondern eine private Vermarktung des menschlichen Genoms mit privatem Kapital – ganz im Stil des Neoliberalismus, der alle Lebensbereiche, zum Beispiel auch das Schul- und Gesundheitswesen, über den «freien Markt» und mit Börsenspekulationen regeln will. Venter wird zu recht ein «rücksichtsloser Privatisierer von Allgemeingut» genannt. [5]

2005 gründete er zusammen mit Mitgliedern seines Forschungsteams das Unternehmen Synthetic Genomics Inc., um mit veränderten und (!) synthetischen Mikroorganismen Biokraftstoffe herzustellen. Firmenmotto: «Wir digitalisieren das Leben.»[6] Sein Ziel:

«Produkte zu entwickeln, die einen positiven Einfluss auf die Welt haben. Unsere Gründer und unser Team haben mit der Konstruktion der ersten synthetischen Zelle eine neue Ära in der synthetischen Genetik eingeläutet. Jetzt nutzen wir diese Technologie und entwickeln neue und fortschrittlichere Methoden, um die nächste Generation erneuerbarer und nachhaltig hergestellter Produkte auf biologischer Basis zu entwickeln. Von neuen Impfstoffen und Therapeutika, Lebensmitteln und Ernährungsprodukten, humanisierten Organen für Transplantationen, Biokraftstoffen, biobasierten Chemikalien und Lösungen für die Landwirtschaft produzieren wir Produkte im Rahmen unserer eigenen Programme und in Zusammenarbeit mit branchenführenden Partnern. Wir glauben, dass die Gesellschaft sich auf die Wissenschaft verlassen kann, um viele unserer aktuellen Probleme zu lindern, und SGI bahnt den Weg, um innovative Wissenschaft in lebensverändernde Lösungen umzusetzen. Unsere Vorstellungskraft ist unsere einzige Grenze, und wir stellen uns eine Welt vor, in der die synthetische Biologie die Welt verändern wird.» [7]

In seinem bemerkenswerten Artikel «Der Mensch als Schöpfer des Lebens?» vom 28. Mai 2010 [8] zitiert Giovanni Maio, seit 2006 Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte an der Universität Freiburg/Br., einen Vertreter des J. Craig Venter Institute mit den Worten,

«es wird Zeit, die Evolution durch etwas Besseres zu ersetzen», und zwar mit einer «zweiten Genesis».

Mit «Genesis» war unmissverständlich der «jüngste Coup» (Maio) des J. Craig Venter Institute gemeint:

«Den US-Forschern war es gelungen, einen lebensfähigen Mikroorganismus mit einem synthetischen Genom zu schaffen, das in ein Bakterium eingepflanzt worden war – der letzte Schritt vor einer vollständig synthetischen Lebensform aus dem Labor.»[9]

Diese Gott spielenden Forscher des J. Craig Venter Institutes haben nichts weniger getan, als ein Lebewesen mit einem künstlichen («synthetischen») Erbgut hergestellt! Das synthetische Erbgut wurde im Computer entworfen und nach diesem Entwurf aus den in der Natur vorkommenden Atomen und Molekülen, aus denen jedes Erbgut besteht, im Labor «zusammengebaut»: Atom für Atom und Molekül für Molekül, bis ein völlig künstliches Erbgut entstanden war. Dieser

«neuen Generation wissenschaftlicher Einzelkämpfer langt es nicht, nur am Erbgut herumzuflicken. Sie wollen es von Grund auf neu schreiben.» [10]

Der Arzt und Philosoph Giovanni Maio hinterfragt in seinem oben zitierten Artikel das hier zum Ausdruck kommende Selbstverständnis der «Synthetischen Biologie» kritisch. Wenn Craig Venter zum Beispiel von «lebenden Maschinen» spreche, entwerte er damit das Leben, was schwerwiegende Folgen nach sich ziehe und an unserem Selbstverständnis als Menschen und unseren Umgang mit der Welt rüttle. Maio fragt daher, was die Synthetische Biologie unter Leben verstehe? Wenn Naturwissenschaftler unter rein naturwissenschaftlichen Bedingungen Leben definierten, welche Auswirkungen auf unser Selbstverständnis als Menschen hätte es dann, wenn es tatsächlich gelänge, Leben im Labor zu züchten? Darauf antwortet Maio mit drei Thesen.

Die erste lautet: «Es ist nicht weise, die Evolution des Lebens hinter sich lassen zu wollen». Das betreffe das «Credo» einiger Synthetischer Biologen. Maio zitiert Tom Knight vom MIT an einer Pressekonferenz:

«Der genetische Code ist 3,6 Milliarden Jahre alt. Es wird Zeit, ihn neu zu schreiben.» [11]

Und Craig Venter, der fordert, «es wird Zeit, die Evolution durch etwas Besseres zu ersetzen», Venter will eine «zweite Genesis», sprich eine zweite Schöpfung der Natur durch die Synthetische Biologie.

Hier besteht für Maio die rote Linie: Wenn die traditionelle Biotechnologie in ein Genom eingegriffen habe, dann immer in Genome, die von der Natur hervorgebracht worden sind. Man habe in dem von der Natur «Gegebenen» einzelne Gene ausgeschaltet oder zusätzlich eingebaut. Das dem Menschen gegebene Genom selbst aber sei in der traditionellen Biotechnologie immer

«das Produkt eines natürlichen evolutionären Prozesses (geblieben). Der Manipulation geht mittelbar ein lebensfähiger Organismus als Teil der Evolution voraus», sagt Maio und fährt fort: «Die Synthetische Biologie möchte sich von diesem Organismus als Teil der Evolution komplett lösen und von Grund auf neu beginnen. Sie startet nicht mit einer vorgegebenen Evolution, sondern mit „BioBricks“ [biologischen Bausteinen], die keine Evolution hinter sich haben. Die Synthetische Biologie ist von der Idee beseelt, die Evolution hinter sich zu lassen, um es sozusagen besser machen zu wollen, als es die Evolution geschafft hat – besser deswegen, weil die Ziele nun vom Menschen vorgegeben werden.»

Diesen Anspruch vieler Biologen heute, findet Maio

«sehr vermessen. Denn: Was ist überhaupt besser? Welche Zukunft haben wir da vor Augen? Wie weise sind wir, um genau zu wissen, was besser ist, und wie überheblich ist es, zu sagen, die 3,6 Milliarden Jahre eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses interessieren uns nicht mehr – obwohl wir selbst ohne diesen Prozess nicht wären?»

Es geht Maio also nicht um «das Machen an sich». Es geht ihm um die Überheblichkeit und Vermessenheit, die in einer Grundhaltung zum Ausdruck kommt, welche

«dem Gegebenen gar keinen Wert beimisst und damit das Seiende entwertet. Deswegen plädiere ich ausgehend von der ersten These für eine Rückbesinnung auf den Wert des Gegebenen.»

Maios Sprache ist zu recht wissenschaftlich nüchtern und präzise abwägend. Der Leser seiner Analyse verspürt allerdings eine gewaltige innere Rebellion und Empörung dagegen, dass selbstherrliche Biotechnologen rücksichtslos Gott spielen. Denn was kommt in der Haltung von Technologen zum Ausdruck, welche die 3.6 Milliarden Jahre Evolution nicht mehr interessiert, fragt sich der Autor dieser Zeilen und erinnert sich an jene Frage von Adolf Portmann: Woher kommt die geistige Macht, die diese grenzenlose Hybris in ihre Schranken weist? [Vgl. Zeit-Fragen vom 19. Oktober 2021]

Natürlich, meint Maio, könnte man fragen,

«ob es nicht gerade Teil der menschlichen Natur ist, seine Natur zu übersteigen. Könnten wir nicht annehmen, dass es gerade die Natur des Menschen ausmacht, dass er Neues kreiert – vieles eben doch von Grund auf neu? Warum soll das Herstellen biologischer Organismen etwas anderes sein als das Erstellen synthetischer Entitäten durch die Synthetische Biologie?»

Damit spricht Maio übrigens indirekt (unter anderem) den «Dialektischen Materialismus» von Karl Marx an. Dieser hatte behauptete, der Mensch bearbeite die äussere Natur, um das Leben zu sichern. Dadurch aber verändere er permanent auch seine eigene Natur. In dem Mass wie er die äussere Natur «vermenschliche», würde er seine Menschennatur «vernatürlichen» im Sinne eines Übersteigens seiner «bisherigen» Natur. Es klingt auch jene Hybris kommunistischer Wissenschaftler und Technologen nach der russischen Revolution an, die einen «neuen Menschen» herstellen wollten, nach dem Motto, wie es einer ausdrückte: «Der Marxismus/Kommunismus kann alles.»

Maio hält der Hybris der Biotechnologen aus der Synthetischen Biologie, bei denen der Autor dieser Zeilen hier eine so verblüffende Ähnlichkeit mit den Kommunisten entdeckte, das gewichtigste Argument entgegen:

«Ich denke, es gibt hier einen Unterschied, und zwar nicht nur den, dass hier der historische evolutionäre Prozess unterbrochen wird, was schon gewichtig genug wäre. Der Unterschied ist vor allem, dass der Anspruch der Synthetischen Biologie darin besteht, nicht nur irgendetwas neu zu schaffen, sondern Leben zu schaffen. Das ist der vulnerable Punkt der Synthetischen Biologie: ihre Zielsetzung, Leben neu zu schaffen.»

Gerade, weil das Ziel der Synthetischen Biologie darin besteht, neues Leben «herzustellen» (!) formuliert Maio seine zweite These: «Leben ist mehr, als die Naturwissenschaft sagen kann». Ist nicht schon das Wort «Leben herstellen», fragt er,

«ein Widerspruch? Ein Widerspruch, der nicht sofort auffällt, weil wir es schon längt gewohnt sind, die Welt aus einer verobjektivierenden naturwissenschaftlichen Sicht zu betrachten. Und doch gibt es hier einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen dem Biologen und dem Geisteswissenschaftler.»

Für den Biologen nämlich, so Maio, ist das biologische Leben nur ein beschreibender Begriff. Er beschreibe, was er in der Natur an Gegebenem vorfinde, und Leben sei für ihn

«das, was bestimmte nachweisbare Eigenschaften hat. […] Notwendig für die Defintion des Lebens mag es sein, dass es über bestimmte Fähigkeiten verfügt.»

Damit ist Maio an dem entscheidenden Punkt seiner Kritik an der Synthetischen Biotechnologie angelangt, wenn er fragt:

«Aber ist damit wirklich auch schon alles gesagt? Ist das Leben mit der reinen Beschreibung seiner Funktionen bereits erfasst?»

Man versteht als Leser sofort, dass die Beschreibung von einzelnen Funktionen eines Organismus nur ein analytisches Zerlegen in Einzelteile. Jede Einzelne Funktion ist aber noch kein Leben. Leben ist erst im Gesamtorganismus. In diesem Sinne, sagt Maio, sei der Blick des Naturwissenschaftlers «von vornherein ein verobjektivierender Blick». Er mache nämlich

«aus der lebendigen Welt erst einmal Objekte […], um diese zu untersuchen, er muss sie […] herunterbrechen auf ihre verobjektivierbaren, messbaren, sichtbaren Elemente. Das ist auch nicht zu beklagen.»

Dem Autor dieser Zeilen fällt wieder Adolf Portmann ein, der  warnte, dass die analytische Zergliederung eines Organismus‘ in einzelne Funktionen und Teile nur der erste, wichtige Schritt sei, dass man aber damit noch nicht erkannt habe, was das Leben sei, das sich nur zeige, wenn man den verengten analytischen Bick auf die Einzelteile verlasse und wieder das Zusammenspiel aller Teile und Funktionen im lebenden Gesamtorganismus betrachte. Daher, um wieder zu Maio zurückzukehren, sagt dieser analog zu Portmann,

«es wäre ein Trugschluss, wenn man nach Aufsetzen dieser verobjektivierenden Brille meinte, mit dieser Brille alles zu sehen, und zwar so zu sehen, wie die Welt ist. Das ist eben ein grundlegender Irrtum, und dieser Irrtum ist für die Synthetische Biologie von zentraler Bedeutung.»

Zu verstehen, was Leben sei, brauche nach Maio

«immer eine doppelte Perspektive: die Perspektive der angemessenen naturwissenschaftlichen Beschreibung auf der einen Seite und die Perspektive des möglichen inneren Werts des Lebens auf der anderen Seite.»

Denn «Leben» sei «etwas Besonderes», was «sich grundlegend vom Nicht-Leben» unterscheide. Der Biologe, meint Maio, sagt, Leben sei «definiert über das Zusammenkommen von Reproduktion, Stoffwechsel und Evolutionsfähigkeit.» Aber das erfasse nicht das Leben an sich,

«sondern lediglich das Leben aus der Perspektive des Labors. Es ist das experimentelle System, es ist die Zielsetzung des Experimentierens, die eine solche Definition hervorbringt. Aber es ist nicht die Definition des Lebens an sich.»

Der analytische Blick des Biologen, der den Organismus auf einzelne Teile und Funktionen reduziert, nehme zentrale Gesichtspunkte dessen, was Leben ist, Seins von vornherein heraus. Diese Reduktion ermögliche erst neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse.

«Aber es muss dafür sensibilisiert werden, dass Leben mehr ist als das, was im Labor gesehen werden kann. […], weil das Leben gerade durch seine Entwicklung, seine eigenständige Verwandlung, durch seinen in ihm inhärenten Prozess der Veränderung charakterisiert ist. Andreas Brenner hat darauf hingewiesen, dass sich die Identität des Lebens gerade aus ihrem Vollzug ergibt;[12] es ist gerade das Sich-Entwickeln-Können, was das Leben ausmacht. Nimmt man eine statische Definition aus dem Labor, wird man das Eigentliche des Lebens nicht erfassen können. Das Leben, das man im Labor definiert, ist nicht das Leben an sich, denn das Leben an sich ist ein Leben in Bewegung, in der Entwicklung, Leben auf dem Weg. Dieses Auf-dem-Weg ist im Labor weder zu sehen noch vorherzusagen, weil sich dieses Auf-dem-Weg erst in der echten Natur ermöglichen wird. Leben also ist mehr als das, was der Naturwissenschaftler beschreiben kann. Leben ist nicht das, was wir unter dem Mikroskop sehen können, sondern Leben ist der Prozess, der sich selbst erhält; Aristoteles sprach von der Entelechie, der Einheit, die das Ziel ihrer Entwicklung in sich selbst trägt. An diesem Punkt zeigt sich eben die große Differenz zwischen Leben und Ding: Der Gegenstand, das künstlich hergestellte Ding ist das Ding, das dem von außen gesetzten Gesetz und Ziel folgt, eine Maschine eben; das künstlich hergestellte Leben aber folgt nicht mehr allein diesem Gesetz, sondern wenn es wirklich Leben ist, dann folgt dieses Leben dem Ziel seiner selbst. Wenn es nicht seinem eigenen Ziel folgen könnte, sondern nur dem Ziel von außen ohne diese innere Autonomie, dann wäre es kein Leben, sondern eine komplexe Maschine. Diese Unterscheidung […] ist wichtig, weil sie aufzeigt, dass selbst für den Fall, dass es der Synthetischen Biologie gelänge, tatsächlich Leben auf künstlichem Wege zu erzeugen, sie dennoch zugestehen muss, dass sich dieses Leben dann aus sich selbst heraus entwickelt und nicht einfach dem Konstrukteur folgt.»

Wenn die Synthetischen Biologen also Leben erschaffen wollen, dann liege darin nach Maio ein Widerspruch:

«Wenn es Leben ist, dann ist es spontan weiterentwicklungsfähig und gerade nicht berechenbar und absolut kontrollierbar. Wenn es absolut kontrollierbar ist, dann stellt sich die Frage, ob hier überhaupt von Leben im echten Sinne gesprochen werden kann.»

Doch Maios Kritik dessen, was Naturwissenschaft leisten kann und nicht, fördert noch einen wichtigen Punkt zutage. Die reduktionistische Naturwissenschaft könne Organismen beschreiben, aber sie

«kann allenfalls etwas über die Zweckmäßigkeiten sagen, aber gerade nicht über den inneren Wert, über den Eigenwert, über den Wert an sich von all dem, was sie beschreibt. Und das ist ein entscheidender Punkt. Denn gerade der Begriff des Lebens hat immer auch eine normative Konnotation. Eine normative Konnotation, die von der Naturwissenschaft selbst nicht aufgefangen werden kann. Der Biologe wird als Biologe nie den Wert des Lebens sehen oder biologisch erkennen können.»

Gelänge es also, so Maio, der Synthetischen Biologie vielleicht, Gebilde zu erschaffen, die tatsächlich «von sich aus leben» können, so würde die

«naturwissenschaftliche Beschreibung dieser Gebilde allein nichts über deren Wert, über deren Eigenwert, ihren inneren Wert» sagen können. «Problematisch wird es eben genau dann, wenn die Biologie aus der Beschreibung nackter Fakten abzuleiten glaubt, dass das Leben nichts Besonderes ist. Genau das geschieht heute schon, und zwar durch die Sprache, die viele Vertreter der Synthetischen Biologie wählen.»

Manche Vertreter der Synthetischen Biologie nennen die Gebilde, die sie erschaffen wollen, «lebende Maschinen». Darin komme aber zum Ausdruck:

«Einerseits die Vorstellung, das Leben ließe sich nicht etwa erschaffen, bzw. das Leben schafft sich nicht selbst, sondern es wird hergestellt, es ist herstellbar wie eine Maschine. Zweitens, und dies ist noch gewichtiger: Wenn wir von Leben als einer „lebenden Maschine“ sprechen, so setzen wir voraus, dass das Leben nicht mehr ist als eine Maschine. Und damit verbunden ist die Vorstellung, dass das Leben das ist, was man dann auch wie eine Maschine behandeln darf.[13] Mir ist hier das Denken wichtig, das dem Experiment vorausgeht. Das Denken nämlich, das mit der Überzeugung startet: Leben ist nicht mehr als das, was man herstellen kann; Leben ist nicht mehr als eine komplexe Maschine. Damit verbunden ist wiederum die nicht ausgesprochene Überzeugung, dass es gar keinen großen Unterscheid gibt zwischen der Maschine und dem Leben. Nur der Komplexitätsgrad ist ein anderer, ansonsten bewegen sich beide auf einer ontologischen Stufe – genau das suggeriert der Ausdruck „lebende Maschine“. Damit wird verdeckt, dass dieser Ausdruck im Grunde ein Widerspruch in sich ist. Dass dieser Widerspruch nicht wahrgenommen wird, halte ich für ein Problem.»

Damit kommt Maio zu seiner dritten These: «Die Synthetische Biologie geht mit der Gefahr einer mechanistischen Entwertung allen Lebens einher». Durch die Synthetische Biologie drohe nun eine doppelte «Entwertung des Lebens». Das ist Maios grosse Sorge. Denn zum einen: Gelänge es tatsächlich, «Leben zum Entstehen zu verhelfen», werde die Synthetische Biologie

«dieses Leben als ein herstellbares Produkt betrachten, als eine Ware, die man her- und abbestellen, die man patentieren, verkaufen – und wegwerfen kann. […] Das Leben wird dann nur noch innerhalb eines Verwertungszusammenhanges betrachtet und damit vollkommen entwertet. Man geht mit diesem Leben um, als ob es gar kein Leben wäre. Und dies ist ein Problem.»

Man kann Maio nur zustimmen: nach allem, was man über das Geschäftsgebaren von Leuten wie Venter kennt, ist genau das sein Geschäftsmodell: Leben, das er «lebende Maschinen» nennt, «herstellen», kaufen und verkaufen. Geld, viel Geld lockt. Gerade

«weil die Synthetische Biologie das „herzustellende“ Leben gar nicht wirklich als Leben erfasst, genau aus diesem Grund fehlt ihr auch die Scheu, ein solches Leben zum Entstehen zu bringen. Diese Scheu aber muss sein, vor allem dann, wenn es das Stadium des Mikroorganismus überschreitet.»

Würde die Synthetische Biologie aber nun tatsächlich Leben im Labor erschaffen können und würde «dann suggeriert, dass dieses Leben nicht mehr ist als eine herstellbare Maschine», dann, so Maio, drohte noch Schlimmeres: Es

«würde damit nicht nur das Leben im Labor entwertet. À la longue könnte sich auch eine Vorstellung breit machen, dass das Leben an sich nicht mehr ist als etwas beliebig Herstellbares.[14] Wenn das Leben zunehmend unter diesem Aspekt der technischen Reproduzierbarkeit betrachtet wird, so könnte der Mensch sich immer mehr in der Haltung des Verfügens über das Leben verirren und das verlieren, was Bedingung seiner eigenen Existenz ist: nämlich die Haltung der Achtung vor dem Leben an sich.»

Maio sieht daher die Gefahren weniger im Machen lauern als in der Hybris der Synthetischen Biologen. Die richtige Haltung wäre nicht «ich erschaffe Leben im Labor». Es brauche Bescheidenheit zu sagen «ich helfe der Selbstentstehung von Leben».

«Der Mensch kann Leben nicht erschaffen – das Leben erschafft sich selbst. Und schon gar nicht kann der Mensch das Leben aus dem Nichts erschaffen. Das, was der Mensch nicht erschafft, sondern dem er lediglich zum Entstehen verhilft, besteht aus vorgegebenen Bestandteilen und ist eben keine Erschaffung aus dem Nichts, keine creatio ex nihilo.»

Gerade wir Heutigen, resümiert Giovanni Maio, sollten

«das Staunen und das Verzaubertsein bewahren. Heidegger hat die Technik als „Ge-stell“ bezeichnet, das den Blick auf das Wesentliche ver-stellen kann. Genau diese Gefahr birgt die Synthetische Biologie, weil durch die vermeintliche technische Herstellbarkeit des Lebens der Blick dafür verloren gehen könnte, dass das Leben etwas von einem Wunder hat. Dass es einen inneren Wert besitzt, etwas Kostbares ist, das am Ende nur als Gabe betrachtet werden kann, auf die man nicht mit Stolz blicken, sondern die man nur in Dankbarkeit annehmen kann. Und ich würde mir wünschen, dass wir uns diesen Blick auf den Geschenkcharakter des Lebens auch im Zeitalter der Synthetischen Biologe nicht verstellen lassen.»

 

 

***

 

[1]      Singer, Peter. «If we don’t play God, who will?» Zitiert nach: Globalization and Its Discontents. Davos 2000. Some notable quotes from Davos. URL: http://www.time.com/time/europe/davos2000/quotes2.html
[2]      Singer, Peter (2010): Scientists playing God will save lives. In: The Guardian vom 31. Dezember 2015. URL: http://www.theguardian.com/commentisfree/2010/jun/13/science-playing-god-climate-change (eingesehen 7. April 2016)
[3]      http://www.brainyquote.com/quotes/authors/p/peter_singer.html (eingesehen am 9. April 2016)
«All I say about severely disabled babies is that when a life is so miserable it is not worth living, then it is permissible to give it a lethal injection.»
[4]      Genforschung: Genetisches Selbstporträt. In: Der Tagesspiegel vom 3. September 2007. URL: http://www.tagesspiegel.de/wissen/genforschung-genetisches-selbstportraet/1031826.html (09. April 2016)
[5]      https://de.wikipedia.org/wiki/Craig_Venter (eingesehen am 9. April 2016)
[6]      http://www.syntheticgenomics.com (eingesehen am 9. April 2016)
«We are digitizing life»
[7]      Homepage von synthetic genomics. URL: http://www.syntheticgenomics.com  (eingesehen am 9. April 2016)
«develop products to positively impact the world. Our founders and team have ushered in a new era in synthetic genomics by constructing the first synthetic cell. Now, we are using this technology, and developing new and more advanced methods, to create the next generation of renewable and sustainably-produced biology-based products. From new vaccines and therapeutics, food and nutritional products, humanized organs for transplant, biofuels, biobased-chemicals, and agricultural solutions, we are producing products through our own programs and with industry leading partners. We believe society can depend on science to alleviate many of our current issues, and SGI is blazing the trail to turn innovative science into life-changing solutions. Our imagination is our only limitation and we imagine a world where synthetic biology will transform the world.»
[8]      Maio, Giovanni. Der Mensch als Schöpfer des Lebens? Heise.de vom 28. Mai 2010. URL: http://www.heise.de/tr/artikel/Der-Mensch-als-Schoepfer-des-Lebens-1003442.html (eingesehen am 5. April 2016)
[9]      URL: http://www.heise.de/tr/artikel/Der-Mensch-als-Schoepfer-des-Lebens-1003442.html (eingesehen am 5.4.2016)
[10]    Original: „A new generation of scientific mavericks is not content to merely tinker with life’s genetic code. They want to rewrite it from scratch.“ Zitiert nach: Maio, Giovanni: Der Mensch als Schöpfer des Lebens? URL: http://www.heise.de/tr/artikel/Der-Mensch-als-Schoepfer-des-Lebens-1003442.html(eingesehen am 5.4.2016)
[11]    Zitiert in Lee Silver: „A new generation of scientific mavericks is not content to merely tinker with life’s genetic code. They want to rewrite it from scratch.“ Newsweek 2007
[12]    Siehe Brenner, Andreas: Leben – Grundwissen Philosophie. Reclam 2009
[13]    Siehe dazu näher Boldt J, Müller O, Maio G.: Synthetische Biologie. Eine ethisch-philosophische Analyse. Bern 2009, abrufbar unterhttp://www.ekah.admin.ch/de/dokumentation/publikationen/beitraege-zur-ethik-und-biotechnologie/index.html
[14]    Dies ist die Hauptthese des Bandes von Boldt, Müller und Maio. In: Boldt J, Müller O, Maio G. Synthetische Biologie. Eine ethisch-philosophische Analyse. Bern 2009. URL: http://www.ekah.admin.ch/de/dokumentation/publikationen/beitraege-zur-ethik-und-biotechnologie/index.html

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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