Verwendung des Begriffes «Seuche» zur Verächtlichmachung von Menschen im «Dritten Reich»

1994 Zitatauswahl Moritz Nestor

Der Stürmer. Sondernummer 1., 12. Jahr, Nürnberg Mai 1934

S. 2: Artikel „Der Kampf des Stürmer“
Die Welt soll vom jüdischen Volk als einer „Völkerpest“ befreit werden.

S. 12: Artikel „Mordplan gegen Adolf Hitler“
Man müsse die „jüdische Weltpest unschädlich“ machen.

 

 

Der Stürmer. 11. Jahr. Nr. 42. Nürnberg Oktober  1933

S. 1.: Artikel „Jude Kurt Selow“
Der Jude habe eine „wahnsinnige Geschlechtsgier“, „teuflische Lust“.
Diese treibe ihn dazu „unsere Frauen und Mädchen rassisch zu vernichten … Ihre Seelen zu vernichten und ihren Leib zu verseuchen.“

Juden hätten „… die Rassen durchsetzt, … verschändet, ihre Kraft gebrochen, … alles mürbe, faul und morsch gemacht.“

 

 

Der Stürmer. Sondernummer 1. 11. Jahr. Nr. 43. Nürnberg Oktober 1933

S. 1: Artikel „Organisiertes Verbechertum“
Die Juden hätten „dem Staatskörper den Geist des Freisinns eingeflösst.“ – gemeint ist der Libe­ralismus! Dadurch hätte sich der „ganze staatsrechtliche Zusammenhang verändert. Heute sind alle Staaten von dieser tödlichen Krankheit befallen. Es zersetzt sich ihr Blut.“

 

 

Lanz von Liebenfels, Georg. Bibliomystikon, 4. Bd., 2. Teil,
Der ariosophisch-eso­therische Gott und Genesis, I. und II. alte Auflage.
Unterullnerbach bei Wien 1933, S. 149
[Zitiert nach: Daim, Wilfried. Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Berlin 1991. S. 195]

Christus habe die Aufgabe gehabt, „die Niederrassigen … aufzulösen und die gute höhere Menschenart … zu erlösen“.

 

Lanz von Liebenfels, Georg. Ariomantische Bücherei, Band 45. Elektrotheologie von Ritus und Lithurgie, II. Teil. Burg Werfenstein 1908, S. 31
[zitiert nach: Daim, Wilfried. Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Berlin 1991. S. 195]

Hauptzweck des ursprünglich arischen Christentums sei „Rassenhygiene und Rassenreinigung“ gewesen.

 

Hitler, Adolf. Mein Kampf. München 1939, S. 685
(zitiert nach: Daim, Wilfried. Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Berlin 1991, S. 227)

„Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden.“

 

Kubizeck, August. Adolf Hitler, mein Jugendfreund. Graz und Göttingen 1954. S. 286
(zitiert nach: Daim, Wilfried. Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Berlin 1991. S. 245.)

Hitler umgab sich „inmitten der verderbten Stadt Wien … mit einem Wall sicherer, unerschütterlicher Grundsätze … Er fürchtete die Infektion.“

 

Walbaum, Jost. Kampf den Seuchen – Deutscher Ärzteeinsatz im Osten. Krakau 1941, S. 109
(zitiert nach: Aly, Götz u.a. Aussonderung und Tod. Die klinische Hinrichtung der Unbrauchbaren. Berlin 1985, S. 127)

Beseitigung psychiatrischer Kranker durch gezieltes Verhungernlassen geschildert. „Lebensunwertes Leben“ damit einer „Seuche“ gleichgesetzt. Die Kranken werden auf die gleiche Stufe wie die „Freunde der Westmächte“ gestellt.

 

 

 

Baur-Fischer-Lenz. Menschliche Erblehre und Rassenhygiene. Band 1: 2. Hälfte. Erbpathologie. München/Berlin 1940, S. 2

„Die Definition der Begriffe Krankheit und Gesundheit wird zweckmäßig letzten Endes nicht auf die Erhaltung des Individuums, sondern auf die der Rasse bezogen.“

 

Nürnberger Dokumente D-726, Der Prozeß …, Band 35, S. 428
(zitiert nach: Kaminski, Andrzej J. Konzentrationslager 1896 bis heute. Geschichte, Funktion, Typologie. München/Zürich 1990, S. 86 + 111)

Adolf Hitler am 17.April 1943 im Gespräch mit Horthy (Ungarn): Juden seien „reine Parasiten“ und „wie Tuberkelbazillen zu behandeln“.

 

 

Linder, Hermann & Lotze, R. Lehrplanentwurf für den biologischen Unterricht an den höheren Schulen [im Auftrag des Nationalsozialistischen Lehrerbundes NSLB] 1936, S. 231f.
(zitiert nach: Bäumer, Änne. NS-Biologie. Stuttgart 1990, S. 207)

„Zwischen Biologie und nationalsozialistischer Weltanschauung besteht ein ganz enger, zu tiefst begründeter Zusammenhang.“

„Familie, Sippe, Stamm und Volk sind Blutsgemeinschaften und damit biologische Lebenskör­per höherer Art. Das überindividuelle Leben des Volkes als des letzten noch erlebbaren Le­benskörpers wird damit zur Grundlage aller Wertsetzungen. Das ist biologische und zugleich völkische Weltanschauung; alle Werte der Kultur ordnen sich ein in das große Leben, das zum Grundwert wird. Der Nationalsozialismus hat den Rassegedanken, d.h. den Gedanken des Be­stimmtseins durch biologische Tatsachen, zur Grundlage seiner Weltanschauung gemacht, und er setzt das Leben des Volkes als letzten Wert. Biologisches Denken ist damit zur leitenden Staatsidee geworden; [. . .] Die Fragen, um die es sich hier handelt, müssen schon auf der Un­ter- und Mittelstufe dem Verständnis des Schülers nahegebracht werden; [. . .] Der Unterricht der Oberstufe muß dann ganz klar auf den Gedanken des Volkes als überpersönliche Lebenseinheit eingestellt sein. Die Erkenntnisse über das Zusammenleben  der Organismen führen zum tieferen Erfassen des Begriffs der Lebensgemeinschaft als eines Organismus höherer Ordnung.“ (Bäumer, S. 207)

Schemm, Hans: „Nationalsozialismus ist politisch angewandte Biologie.“

 

 

Sprengel, Erich. Die Ausrichtung des biologischen Unterrichts. 1936
(zitiert nach: Bäumer, Änne. NS-Biologie. Stuttgart 1990, S. 196f.)

„»Du bist nichts, Dein Volk ist alles!« [. . .] Im durchschnittlichen Sprachgebrauch unserer Tage heißt völkisches Denken, sich zu unserem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler und zu dem von ihm geschaffenen nationalsozialistischen Staatsaufbau zu bekennen.“ /S. 175)

„Biologisches Denken ist der übergeordnete Begriff, ihm gliedert sich völkisches Denken ein. [. . .] Biologisches Denken ist ohne völkisches Denken eine Unmöglichkeit, [. . .] Nationalsozialistisches Denken muß biologisches Denken sein!“ (S. 176)
Natur sei nicht die „Summe von Einzelwesen“ (S. 176).

Über der Natur und durch sie hindurch walten die „lebensgemeinschaftlichen Gesetze von Heimat und Volk“ (S. 176), die Sprengel und die NS-Biologie jedoch als biologische Gesetze umdeuten und damit politische Inhalte in biologischen Sprachgebrauch überführen. Nur so könne man zum „biologischen Denken“ (S. 176) erziehen.

 

 

Genschel, Rudolf. Organisches Denken und Biologie-Unterricht. 1932/33, S. 259
(zitiert nach: Bäumer, Änne. NS-Biologie. Stuttgart 1990, S. 198.)

Genschel, Studienrat aus Berlin, forderte einen «organischen Sozialismus» Auch bei ihm Transformierung politischer bzw. nationalsozialistischer Theoreme in biologische Sprache. Das Individuum im Verhältnis zu seinem Staat wird als Zelle im Organismus verstanden: «Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß das einzelne Lebewesen in seinem anorganischen und organischen Lebensraum, seiner Lebensgemeinschaft, nicht mehr Sinn und Lebensberechtigung hat als die Zelle im Zellverband des Metazoenkörpers.»

[Wer andere Meinung ist, wird entweder wie eine kranke Zelle oder ein krankes Organ aus dem zu reinigenden beziehungsweise zu „heilenden“ Volkskörper geschnitten, oder die unliebsame Meinung wird als fremder Einfluß im Sinne einer Krankheit oder Seuche und damit äußere Gefahr für den Volkskörper bekämpft. M.N.]

 

 

Lorenz, Konrad. Nochmals: Systematik und Entwicklungslehre im Unterricht. 1940, S. 29
(zitiert nach: Bäumer, Änne. NS-Biologie. Stuttgart 1990, S. 201)

Der heutige Mensch sei nur ein Durchgangsstadium. Im „heutigen deutschen Menschen“ könne man schon „die Ansätze zu einer kaum geahnten Höherentwicklung sehen.“

„Im Besonderen hängt gegenwärtig die große Entscheidung wohl von der Frage ab, ob wir bestimmte, durch den Mangel einer natürlichen Auslese entstehende Verfallserscheinungen an Volk und Menschheit rechtzeitig bekämpfen lernen oder nicht. [. . .] Bei der [. . .] weltanschaulichen Erziehung der Jugend [. . .] gibt es ganz sicher kein besseres Mittel als den logischen Zwang schlichter naturgeschichtlicher Tatsachen. Ich habe es erlebt, daß ein ursprünglich völlig marxistisch eingestellter Studierender durch eine an sich völlig unpolitische Vorlesung vergleichend stammesgeschichtlichen Inhaltes von der tatsächlichen Unhaltbarkeit des Traumes von der ‚Gleichheit aller Menschen‘ aufrichtig und eingestandenermaßen überzeugt wurde. Es ist die Stärke unserer Weltanschauung, daß wir Tatsachen sprechen lassen können, daß unsere Ideale vor den gesicherten Ergebnissen der Naturforschung und des gesunden Menschenverstandes nicht in Dunst aufgehen.“

 

 

Lehmann, E & Zimmermann, W. Der Abbau botanischer Professuren an deutschen Hochschulen. 1931/32, S. 132-134
(zitiert nach: Bäumer, Änne. NS-Biologie. Stuttgart 1990, S. 187f.)

„Ist es ein Zufall, daß die ersten Rektoren im nationalsozialistischen Staat an unseren beiden größten deutschen Universitäten Biologen sind – oder hat man [. . .] Biologen gewählt, da diese besonders in der Lage sind, den Ideengehalt des völkischen Staates zu verstehen und zu verkörpern?“

 

 

Professor Clauss, 20. Dezember 1941
(Document Centre Berlin, Akte Clauss. Zitiert nach: Müller-Hill, Benno. Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933-1945. Reinbek bei Hamburg 1985, S. 54.)

„Ich interessiere mich für das Judentum wie der Arzt für die Krankheit. Gegen einen Bazillus setze ich einen Gegenbazillus an.“

 

 

Streicher, Julius (Hrg.) Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden. 1.1.1935
(Zitiert nach: Eschwege, H. (Hrg.) Kennzeichen J. Berlin 1981. In: Müller-Hill, Benno. Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933-1945. Reinbek 1985, S. 81.) Nürnberger Dokumente 1919-PS, Der Prozeß …, Bd. 19, S. 566

„»Artfremdes Eiweiß« ist der Same eines Mannes von anderer Rasse. [. . .] Ein einziger Beischlaf eines Juden bei einer arischen Frau genügt, um deren Blut für immer zu vergiften. Sie hat mit dem »artfremden Eiweiß« auch die fremde Seele in sich aufgenommen.“

 

 

Himmler, Heinrich vor SS-Führern
(Zitiert nach: Kaminski, Andrzej J. Konzentrationslager 1896 bis heute. Geschichte, Funktion, Typologie. München/Zürich 1990, S. 86 + 111)

„Mit dem Antisemitismus ist es genauso wie mit der Entlausung. Es ist keine Weltanscheuungsfrage, daß man die Läuse entfernt. Das ist eine Reinlichkeitangelegenheit. […] Wir sind bald entlaust. Wir haben nur noch 20 000 Läuse, dann ist es vorbei damit in ganz Deutschland.“

 

 

Hitler, Adolf. Mein Kampf. S. 186
(Zitiert nach: Kaminski, Andrzej J. Konzentrationslager 1896 bis heute. Geschichte, Funktion, Typologie. München/Zürich 1990, S. 86)

Die „jüdischen“ Führer der Sozialdemokratie sind zu vertilgendes „Ungeziefer“.

 

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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