Wie ein Mensch im Krieg das Mitgefühl verliert … und wie es sich wieder durchsetzt

Zitatauswahl Moritz Nestor

Der amerikanische GI Steven Kuhn berichtet in dem Buch „Soldat im Golfkrieg“ (2003) aus dem zweiten Golfkrieg

«Es war das erste Mal, dass ich einen Freund sterben sah. Ich sah das alles und sah es auch nicht. Der Tod von Sergeant Dillon hätte mich erschüttern müssen, aber das tat er nicht. Ganz im Gegenteil, ich dachte, mein Gott, was für ein Glück, dass ich lebe! So habe ich gedacht, als mein Freund starb. Minuten später habe ich mich schon dafür geschämt. Ich schäme mich noch heute. Mitten in der Schlacht waren die Zweifel wieder da. Die Zweifel, warum und wozu das alles gut sein sollte. Wieder prallten meine Ideale und die Realität aufeinander. Ich versuchte, mein Versagen innerlich wiedergutzumachen. Ich betete, lieber Gott, mach Sergeant Dillon wieder lebendig und nimm mich dafür! Dann stieg eine irre Wut auf die Iraker in mir hoch. Ich fühlte, wie der Zorn die Angst wegschob. Ich fühlte keine Müdigkeit, kein Mitleid, ich wollte es diesen verdammten Irakern heimzahlen. In dem Moment wusste ich noch nicht, dass mein Freund durch friendly fire gestorben war, von den eigenen Leuten abgeschossen!» [1]

 

«Es hatte keine Gnade gegeben. Wenn ein Panzer auf uns schoss, haben wir ihn unter Feuer genommen und erledigt. Ich empfand darüber keine Genugtuung. Denn was ich in diesem Flussbett sah, das war apokalyptisch. Ich sah an diesem Morgen all das, was ich lieber nicht sehen wollte. Hier und dort gab es noch Überlebende, die sich ergaben oder verwundet waren; sie wurden abtransportiert. Doch überall lagen die Leichen der Iraker, auch einzelne Körperteile, Köpfe, Arme, Beine. Es war grausig. Plötzlich fiel ein Sonnenstrahl aus den Wolken und liess den Ehering an der Hand eines Toten aufleuchten. In diesem Moment konnte ich keinen Hass mehr spüren. Es traf mich wie ein Schock. Der Feind bekam plötzlich ein Gesicht. Mein Gott, dachte ich, da liegt ein Mensch, der Frau und Kinder hat, ein normaler Mensch, der nur für sein Land kämpft. Dieses Bild vergesse ich nie. Vorher war der Krieg eher unpersönlich. Weil wir mit ihnen kämpfen mussten, hassten wir die Iraker, wir hörten, sie seien böse, wir wollten, dass sie alle verschwinden. Aber wir sahen sie nicht, wir wussten nichts über sie, sie waren auf irgendeine Weise virtuell. Selbst in der Schlacht blieben sie ferne Schemen in der Wüste. Und jetzt waren wir mit ihrem Tod konfrontiert. Ich erinnere mich an den widerlichen Geruch der verbrannten Körper. Ich kannte diesen Geruch, seit zwei Kameraden bei einem Übungsunfall in einem Panzer regelrecht verschmort waren, als sich darin Munition entzündet hatte. Aber trotzdem drehte sich mir der Magen um. […] Du hast plötzlich dieses schauerliche Gefühl von Macht. Das Gefühl ,als ob du über ihr Leben entschieden hast. Als ob du es warst, der den Schalter umgelegt hat, und mit einem Mal ist alles, was dieser Mensch war, ausgeschaltet. Einfach weg. Das wolltest du nicht. Das kann niemand wollen. Die meisten Soldaten standen dort linkisch herum. Ich hatte den Eindruck, alle waren schockiert. Sie machten blöde Witze oder fotografierten die Toten. Jeder versuchte, das irgendwie wegzustecken. Hart zu sein. […] Erst später stellte sich heraus, wie gross unsere Überlegenheit gewesen war. Unsere M-1-Panzer konnten 4 000 Meter weit schiessen, so breit, wie das Tal war. Die Geschütze der russischen T-72-Panzer aber schafften nur 2 500 Meter, die Iraker hatten im Grunde keine Chance.» [2]

 

«In dieser Zeit erhoben sich die Schiiten in und um Basra gegen das Regime von Saddam Hussein. Wir sahen Rauch aufsteigen, wir hörten das Rattern der Maschinengewehre und die Einschläge der Granaten. Anfangs wussten wir nicht, was da los war, aber dann sicherte es sehr schnell durch. Wir ahnten nicht, dass unsere Regierung diesen Aufruhr unterstützte, doch wir brannten alle darauf, den Aufständischen zu helfen. Wir waren fest davon überzeugt, dass wir bald wieder kämpfen würden. Wir dachten, gut, jetzt haben wir eine Schlacht geschlagen, aber die eigentliche Armee der Iraker, diese Riesenarmee, von der immer die Rede war und vor der wir solche Angst hatten, die steht irgendwo anders. Wir trainierten ja auch weiterhin für Kampfeinsätze. Doch dann kam es zu jenen Ereignissen, die uns fassungslos machten. Vor unseren Augen sammelten sich Saddams Republikanische Garde, die sich hinter die Demarkationslinie gerettet hatte, und begann, den schiitischen Aufstand zu ersticken. Tag und Nacht wurden Raketen abgeschossen, Bomben abgeworfen und die Bevölkerung niedergemetzelt. Das Schiessen hörte gar nicht mehr auf. Die Verwundeten schleppten sich zu unseren Stützpunkten und baten um Hilfe. Es kamen Kinder und alte Frauen. Natürlich wollten wir den Schiiten auch militärisch helfen – aber es kam kein Befehl dazu. Ich leide immer noch unter den Eindrücken, die sich mir damals ins Gehirn brannten. Es kamen leere Busse aus Basra, die unseren Checkpoint passierten und nach einer Weile, voll besetzt mit irakischen Frauen und Kindern zurückkehrten, die wahrscheinlich Schiiten waren. Unser Übersetzer, ein amerikanischer Kuwaiter, erkundigte sich nach dem Woher und Wohin. Die Frauen antworteten, man habe sie aus den naheliegenden Dörfern abgeholt, um sie zu ihren Männern nach Basra zu bringen. Der Übersetzer warnte sie: „Bleibt lieber hier, in Basra werdet ihr von Saddams Soldaten umgebracht!“ Sie aber sagten: „Was für ein Unsinn, du bist ein Kuwaiter, ihr hasst uns sowieso.“ Und kurz darauf bekamen wir die Information, dass man sie alle getötet hatte.[…] Aber wir warteten und warteten, wurden immer nervöser – und durften nicht eingreifen. […] Nach dem Golfkrieg kam dann heraus, dass wir die Schiiten damals verraten hatten. Der damalige Präsident George Bush hatte sie erst zum Aufstand ermuntert und dann wieder fallen gelassen.» [3]

 


 

[1]   Kuhn, Steven E. & Nordhausen, Frank (2003): Soldat im Golfkrieg. Ch. Links Verlag. Berlin, S. 73f.
[2]   Kuhn, Steven E. & Nordhausen, Frank (2003): Soldat im Golfkrieg. Ch. Links Verlag. Berlin, S. 75f.
[3]   Kuhn, Steven E. & Nordhausen, Frank (2003): Soldat im Golfkrieg. Ch. Links Verlag. Berlin, S. 81-84.

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

Weiterempfehlen