Wozu entmenschlichten 1998 US-Anthropologen den Menschen zum «Krebsgeschwür des Planeten»?

16. Juni 2016

Moritz Nestor

1994 blitzen US-Rassisten unter der Führung von Warren Hern und Lynn Margulis bei der Amerikanischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft ab, als sie am Jahrestreffen der Gesellschaft ein Symposium abhalten wollen, worin sie den Menschen als «Krebsgeschwür auf dem Planeten» entmenschlichen. Sie propagieren, dass «die Zahl der Menschen in vielen Teilen der Welt rasch und unkontrolliert wächst, dass der Mensch in Lebensräume eindringt und sie zerstört und dass er durch das Ausrotten vieler Arten die Vielfalt der Natur mindert. All diese Merkmale sind charakteristisch für maligne Krebsgeschwüre.» «Für Millionen von Jahren ist die Erde ohne Menschen ausgekommen, und sie wird es auch wieder. Die einzige Frage ist, wie der Mensch gegenwärtig untergeht.» Die Amerikanische Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft ist zu recht empört: „Diese Frage darf nicht gestellt werden.» Doch! 1998 lässt die Amerikanische Anthropologische Gesellschaft (AAA) auf ihrem Jahrestreffen in Philadelphia das gleiche rassistische Symposium zu und verleiht ihm wissenschaftliche Würde.

Seit Mitte der 80er Jahre waren derartige rassistische Themen in allen möglichen Zeitschriften der USA erschienen. Neu ist 1998, dass eine hochgeachtete, wissenschaftliche Gesellschaft wie die Amerikanische Anthropologische Gesellschaft dem Rassismus wissenschaftliche Ehre erweist.

Zum Paralleldenken: Als der Vortrag der US-Rassisten 1998 in Philadelphia gehalten wird, liegen die Angriffspläne für die NATO- und US-Kriege längst fertig in den Schubladen der US-Strategen.Im gleichen Jahr 1999 ändert die NATO ihre Verteidigungs- in eine Angriffsdoktrin und bombardiert und verseucht Jugoslawien mit abgereichertem Uran. 2001 fallen die USA in Afghanistan ein und beginnen ihren Ausrottungskrieg. Krieg um Krieg folgt.

Die Rede von Menschen als «malignem» Krebs im Vortrag von Warren Hern bei der AAA bedeutet, dass es eine Frage der Hygiene sei, eine Frage der Säuberung der Erde, wenn man Menschen ausrottet. Die globale Variante des nazistischen «jüdischen Ungeziefers»! Benno Müller-Hill nannte es «Tödliche Wissenschaft». Zu dem Ungeziefervergleich kommt auf dem 1998er Jahrestreffen der AAA die zweite Absage an jede Zwischenmenschlichkeit – von Anthropologen vorgetragen, gebilligt, beklatscht und unwidersprochen: ein Symposium mit dem Titel «Die Armen sollten sich selbst helfen.» Dort empfiehlt man die Theorie von Thomas R. Malthus, jenem britischen Minister, Mathematiker und Ökonomen des 18. Jahrhundert, als «Lösung» für die armen Länder der Erde heute. Malthus hatte den brutalen Ausbeutern der englischen Industrialisierung die «wissenschaftliche» Theorie für ihre Ablehnung einer menschlichen Sozialgesetzgebung geliefert: Wenn es den Menschen wirtschaftlich zu gut gehe, sagte er, vermehrten sich die Armen im Vergleich zu den Reichen rascher. Die Bevölkerung vermehre sich  «von Natur aus» geometrisch, die Menge der Lebensmittel aber nur linear. Also lieber keine Sozialgesetzgebung. Sondern das Werk der Evolution – die «Ausmerze» – selbst in die Hand nehmen, hiess das für die Malthusianer. 1998 als «anthropologische» Lösung für die armen ausgebeuteten Länder der Erde des ausgehenden 20. Jahrhunderts empfohlen, heisst das: Nimm den Armen die Lebensmittel und ihr Bevölkerungswachstum geht von alleine zurück. Das Motto «Die Armen sollten sich selbst helfen» ist die «wissenschaftliche» Rechtfertigung für das Einstellen aller Hilfe an die Notleidenden der Erde. Die US-Anthropologen behängen damit die mit Krieg und Genozid Hand in Hand gehende, global-brutale Ausbeutung mit den Rosen einer angeblichen Wissenschaft. Auf dass man die Ketten nicht mehr sehe und den Genozid als Schicksal hinnehme! Hat man den Deutschen nicht zu Recht den Vorwurf gemacht, sie hätten nicht rechtzeitig etwas gegen Hitler getan, als man noch etwas hätte tun können?

Die Geschichte der Kriege und Genozide ist voll von derartigen Versuchen, Menschen, die der Geld- und Machtgier im Wege standen, zu entmenschlichen, um sie damit der Vernichtung zu überantworten. Der durch den Tiervergleich oder Ähnliches zum Nicht-Menschen erklärte Mitmensch wurde immer schon mitleidlos abgeschlachtet. Und die US-Anthropologen von 1998 reihen sich mit ihrem Kongress nahtlos in diese Geschichte der Genozide ein.

Reichspropagandaminister Goebbels drehte jene berüchtigten Propagandafilme, die Juden mit lichtscheuen Ratten und Ungeziefer verglichen und den Bürgern so die nötige Angst und Abscheu vor Vergiftung und Verseuchung einjagen sollten, so dass der Mord am «Ungeziefer» als «Säuberung» und notwendig für die «Volksgesundheit» erschien. Die «Reinigung» des «Volkskörpers» von «Wucherungen» (gemeint waren Menschen!) gehörte zum aufputschenden Sprachgebrauch der Nazis. Und vergessen wir nicht C. G. Jung, der den Nazis die Theorie frei Haus lieferte, es gebe eine arische und eine jüdische Psychologie, und überhaupt könne Psychologie nur betreiben, wer gleichzeitig Hitlers «Mein Kampf» studiere. Lenin denaturierte die Auszurottenden zu «Wanzen», «Flöhen» und «Ungeziefer», von denen man die «russische Erde reinigen» müsse.

Man könnte noch viele nennen. Es gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte, die Völker für die Durchführung der schrecklichsten Dinge mit suggestiven «Theorien» geblendet zu haben. Theorien, für die renommierte Wissenschaftler im Dienste der Macht ihren Namen gaben, um dem Irrsinn den Mantel der Wissenschaft zu leihen.

Die schlimmste Lüge ist die angeblich «wissenschaftliche». Kein Volk fällt organisiert bewaffnet über ein anderes her, wenn man es nicht durch Lügen in lähmende Angst vor der angeblichen Bedrohung durch «Böse» versetzt. Unter friedlichen Bedingungen aber streiten wir Menschen, es kommt auch zu Tötungen, es gibt Hass und Neid – aber kein Volk zieht von alleine in den Krieg oder will ihn.

 

 

 

 

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