Der § 217 StGB und die Folgen für die Gesellschaft — «Euthanasie» durch die Hintertüre?

Gastvortrag bei der Bundesmitgliederversammlung der «Christdemokraten für das Leben» am 22. Oktober 2016 in Königswinter Dr. med. Susanne Ley


§ 217 StGB und die Folgen für die Gesellschaft


Dr. med. Ley ist Gründungsmitglied der «Liga Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben» und vom Arbeitsbündnis „Kein assistierter Suizid in Deutschland!


 

Die sehr weit gefasste Fragestellung unseres heutigen Themas „§ 217 StGB und die Folgen für die Gesellschaft“ ist meines Erachtens sehr bedeutsam. Sie stellt uns alle gemeinsam vor die Aufgabe, abzuschätzen und darüber aufzuklären, welche Gefahren mit dem assistierten Suizid und der Tötung auf Verlangen für unsere menschliche Gemeinschaft verbunden sind. Es ist bitter von Nöten, sich aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft in dieser Frage eng zusammenzuschließen.

 

 

1. Rechtliche Verankerung des Lebensschutzes

 

Die Garantie der Menschenwürde und das daraus abgeleitete Recht auf Leben sind unveräußerliche vorstaatliche Rechte mit universeller Gültigkeit. Die Scholastiker leiteten sie vom göttlichen Recht, die Aufklärung vom Vernunftrecht oder Naturrecht ab. Sie sind in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert.

In einem 2500 Jahre währenden Ringen haben die Menschen in Europa – insbesondere auch aus den Erfahrungen der Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts – den Staat in seiner modernen Form entwickelt. Grundidee und oberster Zweck ist dabei der Schutz des Lebens aller seiner Bürger.

In Deutschland gelten nach wie vor starke Gesetze, die den Schutz des menschlichen Lebens garantieren sollen. Der Lebensschutz ist in unserem Grundgesetz verankert und wird in unserer Rechtsordnung durch geeignete Gesetze normiert. Darüber hinaus ist er in der Mehrzahl der Landesärztekammerbezirke durch das Standesrecht der Ärzte gesichert.

Nach Artikel 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Die vitale Basis der Menschenwürde ist das Leben selbst. Es stellt in der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar und ist die Voraussetzung aller anderen Grundrechte. Daraus leitet sich die Schutzpflicht des Staates für das Leben aller seiner Bürger ab.

Artikel 2 unserer Verfassung soll das Recht auf Leben für jedermann garantieren. Das Recht auf Leben stellt nicht nur ein Abwehrrecht der Bürger gegen staatliche Gewalt dar, sondern verpflichtet die staatliche Gemeinschaft auch zum Schutz des Lebens seiner Bürger. Die Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht für das Leben ist verfassungswidrig. Diese Schutzpflicht bekommt bei Menschen, die zum eigenen Schutz selbst nicht fähig sind, besonderes Gewicht. Die staatliche Schutzpflicht gegenüber Hilflosen überwiegt im Verhältnis zu deren Selbstbestimmungsrecht. So urteilte das Bundesverfassungsgericht am 26.7.2016 und traf damit eine klare Werteentscheidung für den Schutz des Lebens als höchstem Rechtsgut. [2]

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, zur Sicherung der Grundrechte geeignete Gesetze zu erlassen.

Von großer Bedeutung für den Schutz des Lebens, insbesondere auch für suizidale Menschen, sind die Strafrechtsparagraphen 216 und 323 c.

Aufgrund unserer Geschichte gibt es in Deutschland eine starke Opposition gegen Euthanasie. Seit 1945 ist es in Deutschland Konsens, dass es kein lebensunwertes Leben gibt. „Die Humanität gebietet die Achtung vor dem Bild des Menschen auch in seiner beschädigten Erscheinung.“ [3] Folgerichtig ist in Deutschland die Tötung auf Verlangen in § 216 StGB strafbewehrt verboten. Auch dem assistierten Suizid geht immer voraus, dass ein Menschenleben von Dritten als lebensunwert beurteilt wird. Damit ist aber bereits die Grenze zur Euthanasie überschritten. Dies kommt auch in dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15.6.2016 zum Ausdruck: In einem Fall von ärztlich assistiertem Suizid hielt das Gericht den Suizidbeihelfer für hinreichend verdächtig, sich der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassung schuldig   gemacht zu haben. [4]

Der § 323 c verpflichtet jedermann zur Hilfeleistung gegenüber Verunglückten und Menschen in Not. Unterlassene Hilfeleistung wird unter Strafe gestellt. Das Prinzip der Hilfeleistung gilt auch im Falle eines Suizidversuches, der rechtlich als Unglücksfall betrachtet wird.

Durch entsprechende Bestimmungen im Strafgesetzbuch und im Bürgerlichen Gesetzbuch haben Personen, die eine sogenannte Garantenstellung gegenüber einer anderen Person einnehmen (z.B. Eltern – Kind, Ehepartner, Arzt – Patient) zusätzlich eine Pflicht, die über die normale Hilfeleistung gegenüber jedermann deutlich hinausgeht. [5]

Auch das Standesrecht der Ärzte kann einen starken Schutz für das Leben der Menschen bieten. Um einer Relativierung des Tötungsverbotes für Ärzte entgegenzutreten, wurde auf dem Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel beschlossen, einen neuen § 16 in die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer einzufügen: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ [6]

Damit entspricht der § 16 der Musterberufsordnung für Ärzte dem ärztlichen Ethos in der Hippokratischen Tradition, dass ein Arzt sich niemals an der Tötung oder Selbsttötung eines Menschen beteiligen darf. Auch wenn Beihilfe zum Suizid laut Strafgesetzbuch nicht explizit verboten ist, können die Landesärztekammern ein solches Verbot für Ärzte standesrechtlich erlassen und durchsetzen, so das Verwaltungsgericht Berlin. [7]

Aus den Ausführungen wird ersichtlich, dass bisher ein strafrechtliches Verbot des assistierten Suizids nicht notwendig war, weil in der Rechtsordnung auf andere Weise hinreichend zum Ausdruck kommt, dass der assistierte Suizid rechtsphilosophisch nicht erlaubt ist.

 

 

2. § 217 StGB

 

In der über mehrere Monate in der Öffentlichkeit geführten Diskussion über den assistierten Suizid wurde suggeriert, mit dem neuen § 217 StGB werde ein starkes Zeichen für den Lebensschutz gesetzt, da er die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verbiete. Der neue § 217 lehnt jedoch weder den assistierten Suizid, noch die geschäftsmäßige Beihilfe zum assistierten Suizid grundsätzlich ab. Vielmehr regelt das neue Strafgesetz, welchem Personenkreis assistierter Suizid bzw. die Teilnahme an der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe straffrei ermöglicht wird. Dadurch wird eine Handlung explizit straffrei gestellt, zu der es bisher lediglich aus formaljuristischen Gründen keine strafrechtliche Bestimmung gab.

In seinem ersten Teil stellt das neue Gesetz die geschäftsmäßige Beihilfe unter Strafe:

§ 217 StGB, Abs. 1

Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Der zweite Teil des Gesetzes wird meist verschwiegen:

§ 217 StGB, Abs. 2

Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Gerade diejenigen Menschen, die nach unserem geltenden Recht eine Garantenpflicht zum Lebensschutz haben, d.h. Angehörige und Nahestehende, werden nun ausdrücklich straffrei gestellt, wenn sie Beihilfe zum Suizid leisten oder Teilnehmer einer geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe sind. Sie dürfen also ein Delikt fördern, dass in Abs. 1 des § 217 StGB unter Strafe gestellt ist. In der Begründung des Gesetzes heißt es dazu:

Der Ehemann, der seine todkranke Ehefrau ihrem freiverantwortlich gefassten Entschluss entsprechend zu einem geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfer fährt, um sie mit in den Tod zu begleiten, fördert damit zwar als Gehilfe die Haupttat des Suizidhelfers. Er legt damit jedoch kein strafwürdiges, sondern in der Regel ein von tiefem Mitleid und Mitgefühl geprägtes Verhalten an den Tag.“ [8]

Angehörige und Nahestehende dürfen also diese „grenzüberschreitende Dienstleistung“ fördern, ohne sich strafbar zu machen.

Außerdem beabsichtigen die Initiatoren des neuen § 217 StGB, dass „Angehörige von Heilberufen,“ [9] also auch Ärzte, im Einzelfall legal Suizidassistenz leisten können. Dies sei nach dem neuen Gesetz straffrei möglich, weil dieser Personenkreis im Einzelfall eben gerade nicht geschäftsmäßig handeln würde:

Sollte „im Einzelfall aber gleichwohl von diesem Personenkreis Suizidhilfe gewährt“ werden, geschehe dies „typischerweise gerade nicht geschäftsmäßig“, also in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen. Einer besonderen Ausschlussregelung bedürfe es daher nicht. [10]

Der Abgeordnete René Röspel (SPD) sagte hierzu bei der ersten Lesung der Gesetzentwürfe im Bundestag: „Sie (die Ärzte, Anmerk. d. Verf.) müssen über das Ende von Leben entscheiden, sie müssen loslassen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann.“ [11]

Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist es jedoch, dem Patienten nicht zu schaden. Der Arzt ist Beschützer des Lebens, er darf nicht zur Gefahr für das Leben seiner Patienten werden. Es widerspricht zutiefst dem ärztlichen Ethos und der Menschlichkeit eines jeden, einem leidenden Menschen Beihilfe zum Suizid zu leisten.

 

 

3. Mögliche Folgen des Gesetzes

 

Durch die europaweit in der Öffentlichkeit geführte Diskussion um den assistierten Suizid und die Tötung auf Verlangen werden elementare Grundlagen unseres menschlichen Zusammenlebens in Frage gestellt. Soziale Bindungen werden zerstört, die Arzt-Patient-Beziehung zutiefst erschüttert, die menschliche Solidarität wird beschädigt und die Schutzpflicht des Staates für das Leben seiner Bürger wird in Frage gestellt.

Bereits im Jahr 1910 schrieb Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie: „Der Selbstmord ist ein individuelles Problem, das soziale Ursachen und Folgen hat.“ [12] Sein Schüler Erwin Ringel, Psychiater und Neurologe an der Universität Wien, erforschte bereits in den 1950er Jahren das präsuizidale Syndrom, eine seelische Verfassung, die dem Selbstmord vorausgeht. Auch untersuchte er, welche Faktoren in der Gesellschaft den Selbstmord fördern. Gruppen mit erhöhtem Suizidrisiko sind demnach: Alte Menschen, besonders wenn sie chronisch krank, einsam und verarmt sind, Depressive, Süchtige, Verfolgte, Geschiedene, in Partnerschaftsprobleme Verwickelte, Menschen in finanzieller Not, Arbeitslose u.a.m. Gemeinsam sei den Betroffenen, dass sie zu den Außenseitern, Diffamierten, Stigmatisierten gehörten. „So frei und so willig, wie man uns glauben machen möchte, gehen die meisten Selbstmörder nicht in den Tod; sie werden nur allzu oft dazu <eingeladen>, hinauskomplimentiert. Das Selbstmordproblem lehrt uns daher einmal mehr, wie nötig es ist, die Gesellschaft hier und heute – wie das Adler verlangt hat – zu verbessern.“ [13]

Als wichtigste therapeutische Chance bezeichnet Ringel die Psychotherapie. Es gehe vor allem zuerst darum, durch ein gutes tragfähiges, verbindliches Arzt- Patient-Verhältnis die Einengung der zwischenmenschlichen Beziehung zu  durchbrechen. Die entscheidende Wirkung würde immer über diese Beziehung erfolgen. „Wenn für den Selbstmörder alle anderen nur Abwesenheit bedeuten, ergibt sich daraus unsere wichtigste Verpflichtung von selbst: mit allen unseren Kräften anwesend zu sein.“ [14] Bezüglich der Prophylaxe, so Ringel weiter, spiele die Herstellung eines antisuizidalen Klimas in der Gesellschaft eine große Rolle. Dabei sei es wichtig, den Selbstmord nicht zu tabuisieren oder zu verherrlichen, sondern ihn als Symptom menschlicher Not zu erkennen.

Die Forschungsergebnisse Ringels zur Suizidprävention decken sich mit aktuellen Studienergebnissen von Jones und Paton von 2015, die zeigen, dass die Einführung des assistierten Suizids in mehreren US-Bundesstaaten mit einem Anstieg der Gesamt-Suizidrate um 6,3% einhergeht. Anders, als die Befürworter behaupten, führt die Möglichkeit des assistierten Suizids nicht zu einer Abnahme der nicht- assistierten Suizide, sondern sogar zu einem Anstieg. [15] Das zeigen auch die aktuellen Zahlen aus der Schweiz. [16]

Die Niederlande verzeichnen seit Jahren steigende Zahlen bei der „Hilfe zur Selbsttötung“ und der „Tötung auf Verlangen.“ Gleichzeitig gibt es Berichte über eine Vielzahl von Fällen, wo Menschen ohne ihren ausdrücklichen Willen umgebracht wurden. Inzwischen werden in unserem Nachbarland auch demenzkranke und psychisch kranke Menschen getötet.

Ähnlich ist es in Belgien: Neben steigenden Fallzahlen ist hier eine Ausweitung der Indikationen zu konstatieren. Mittlerweile schreckt man auch nicht mehr davor zurück, Kinder zu töten.

Der Arzt Dr. Leo Alexander wies 1949 darauf hin, dass es wichtig sei zu erkennen, dass die Haltung gegenüber unheilbar Kranken – nämlich, dass es Zustände gebe, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind – der winzige Auslöser für das Euthanasieprogramm der Nazis war. [17]

Auf Grund der ausdrücklichen Straffreistellung des § 217 Abs. 2 StGB für Angehörige und Nahestehende ist zu erwarten, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Suizids und der Suizidbeihilfe steigt. Daraus ergibt sich, dass suizidale Menschen leichter einen Suizidbeihelfer finden werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Suizid zum Tod führt, steigt durch das unterstützende Hinzutreten des Suizidbeihelfers. Die aktuelle Gesetzeslage wird vermutlich dazu führen, dass Suizidversuche häufiger gelingen und somit die Zahl der Suizidtoten steigt.

Die Vertrauensbeziehungen in den Familien werden durch die Möglichkeit des assistierten Suizids erschüttert. Sogenannte Mitleidstötungen könnten zunehmen. Alte oder kranke Menschen könnten sich gedrängt fühlen, ihren Angehörigen sog. nicht weiter zur Last zu fallen. Angehörige, die sich überfordert fühlen, könnten den Pflegebedürftigen bewusst oder unbewusst subtil zu dieser „Lösung“ drängen. Auch andere Motive sind denkbar. Was dieses Misstrauen in den Familien anrichtet und wie es sich auf die Solidarität und den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft auswirkt, möchte man sich lieber nicht vorstellen. Wer übernimmt die Verantwortung dafür?

Durch die Diskussion um den ärztlich assistierten Suizid wird auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zutiefst beschädigt. Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist es, dem Patienten nicht zu schaden. Der Arzt ist Beschützer des Lebens, er darf nicht zur Gefahr für das Leben seiner Patienten werden. Es widerspricht zutiefst dem seit 2400 Jahren gültigen ärztlichen Ethos und der Menschlichkeit eines jeden, einem leidenden Menschen Beihilfe zum Suizid zu leisten. Jeder psychisch oder physisch kranke Mensch braucht fachgerechte ärztliche Hilfe und echte mitmenschliche Zuwendung sowie die Gewissheit, dass der Arzt alles tun wird, um seine Krankheit zu heilen oder, wo dies nicht möglich ist, sein Leiden zu lindern.

Der Wunsch nach Beihilfe zum Suizid entsteht nicht in erster Linie aus Angst vor unstillbaren Schmerzen, sondern aus der Sorge, anderen zur Last zu fallen, ausgeliefert zu sein, die Kontrolle zu verlieren oder allein zu sein. Patienten, die einen Suizidwunsch äußern, erwarten in aller Regel nicht, dass ihr Tod herbeigeführt wird. Überwiegend ist der Wunsch nach assistiertem Suizid ein Hilferuf und vorübergehender Natur. Es gibt keine Rechtfertigung für die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung eines Patienten.

Aufgrund des medizinischen Fortschritts und der sozialen Verbundenheit sind wir heute in der Lage, schwer kranke und sterbende Menschen so zu versorgen, dass sie nicht unerträglich leiden müssen, sondern sich aufgehoben fühlen. Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir auch am Lebensende auf unsere Mitmenschen angewiesen sind. Eine Einschränkung unserer Autonomie oder unserer Selbstbestimmung liegt darin nicht begründet.

Betrachten wir die Debatte um den assistierten Suizid unter dem Aspekt des demographischen Wandels, d.h. einer immer älter werdenden Gesellschaft, und kommen dann noch ökonomisch schwierige Zeiten hinzu, besteht die Gefahr, dass der Mensch immer stärker nach seinem Nutzen bewertet wird.

Der moralische Stand einer zivilisierten Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. „Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen.“, so urteilte im Juli dieses Jahres das BVerfG in einem hoffnungsvollen Beschluss und traf damit eine klare Werteentscheidung für den Schutz des Lebens als höchstem Rechtsgut. Auch hebt es damit die Bedeutung der sozialen Verbundenheit und der natürlichen Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander für das menschliche Zusammenleben hervor .

Die Garantie der Menschenwürde und das Recht auf Leben sind universell gültig und können nicht durch Menschenhand, auch nicht durch irgendeinen Gesetzespositivismus abgeschafft werden. Gesitteten Kulturnationen ist die Bindung an diese Grundsätze selbstverständlich. Dahinter sollten wir nicht zurückgehen.

Die Würde des Menschen überall in der Welt zu verwirklichen ist die Aufgabe aller. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Albert Schweitzer:

„Ohne Ehrfurcht vor dem Leben hat die Menschheit keine Zukunft.“

 


Anmerkungen

2 Beschluss des BVerfG vom 26.7.2016
3 U.H. Peters, Nazipsychiatrie, Köln 2011, Seite 188
4 Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15.6.2016
5 § 13 StGB Garantenpflicht; § 630 BGB Garantenstellung Arzt – Patient; § 1353 BGB Garantenstellung Ehegatten; §1618a BGB Garantenstellung Eltern – Kinder
6 Bundesärztekammer, Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen u. Ärzte, Fassung von 2015
7 Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30.3.2012
8 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/5373, Seite 20
9 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/5373, Seite 18
10 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/5373, Seite 18
11 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/115, Stenographischer Bericht, Berlin, den 2. Juli 2015, Seite 11063
12 Alfred Adler, Über den Selbstmord, Wien 1910, zitiert nach: Erwin Ringel, Das präsuizidale Syndrom, 1985
13 Erwin Ringel, Das präsuizidale Syndrom, 1985
14 ebenda
15 Jones DA, Paton D., How does legalization of physician-assisted-suicide affect rates of suicide? Southern Medical Journal, October 10th 2015
16 Bundesamt für Statistik (BFS), Neuchâtel, Oktober 2016
17 Siehe: Robert Spaemann/Thomas Fuchs, Töten oder Sterben lassen. Freiburg 1997

 

 

Autor

Dr. med. Susanne Ley

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