Niederlande: Lügen mit «Euthanasie»–Statistik

10. Dezember 2000 Moritz Nestor

Moritz Nestor
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Zürich, 10. Dezember 2000

 

Betr. Artikel «Den Haag verabschiedet das Sterbehilfegesetz» vom 29. November 2000

 

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich bitte Sie hiermit freundlichst um die Veröffentlichung meines folgenden Leserbriefes.

Das niederländische Parlament hat vor kurzem das erste Euthanasie-Gesetz der Weltgeschichte verabschiedet. Die niederländische Gesundheitsministerin rechtfertigte dies mit den Worten, «Ärzte sollen nicht wie Kriminelle behandelt werden.» Das ist zynisch, denn in den Niederlanden werden Patiententötungen mit Duldung und Hilfe der Justiz seit Jahren straffrei zu Tausenden durchgeführt.

Es liegen zwei grosse wissenschaftliche Studien über die Häufigkeit von «Euthanasie» in den Jahren 1990 und 1995 vor. Sie wurden unter Zusicherung von Anonymität und Straffreiheit unter niederländischen Ärzten landesweit durchgeführt:
– van der Maas P. J. et al. Medische Beslissingen Rond Het Levenseinde. Den Haag 1991,
– van der Wal G. et al. Euthanasie en andere medische beslissingen rond het levenseinde. Den Haag 1996.

Danach ereigneten sich 1990 insgesamt 2 319 Fälle von Tötung auf Verlangen («aktive Euthanasie) und 1995 3 256 Fälle (Zunahme: 40%). Beihilfe zum Suizid geschah 1990 in 386 Fällen, 1995 in 407 (Zunahme: 5 %). Das sind für 1990 2 705 und für 1995 3 663 Fälle. Nur diese Fälle werden offiziell Euthanasie genannt, und meist tauchen sie in Berichten über Sterbehilfe in den Niederlanden auf.

Aber: 1990 töteten Ärzte 1 031 Patienten ohne Verlangen, 1995 waren es 950 (Abnahme: 7,8 %). Diese Fälle werden aber nicht unter Euthanasie gezählt, sondern in einem anderen Kapitel «Akt der Menschlichkeit» genannt!

Nichteinleiten oder Verzicht von Behandlungen («passive Euthanasie») geschah 1990 in 23 060 und 1959 in 27 406 Fällen. Aber: Die Berichte nennen sie «medizinische Behandlung». Und 1990 hatte in 11 208 Fällen (= 48,6 % von 23 060), 1995 in 18 045 Fällen (= 65,8 % von 27 406) der Arzt explizit oder implizit den Vorsatz, den Patienten zu töten (Zunahme: 35,4 %).

Intensivierung von Schmerzmitteln mit Todesfolge («indirekte Euthanasie») geschah 1990 in 24 219, 1995 in 26 050 Fällen. Aber: Sie werden «medizinische Behandlung» genannt, und 1990 hatte in 4 859 Fällen (= 20 % von 24 219), 1995 in 3 935 Fällen (= 15 % von 26 050) der Arzt explizit oder implizit den Vorsatz, den Patienten zu töten.

Insgesamt hatten also 1990 in 19 803 Fällen (jährliche Sterberate: 128 824) und 1995 in 26 593 Fällen (jährliche Sterberate: 135 675) ein niederländischer Arzt explizit oder implizit den Vorsatz, seinen Patienten zu töten. Das sind 15,4 % aller Todesfälle des Jahres 1990 bzw. 19,6 % des Jahres 1995 (Zunahme: 27,3 %).

Das allein zeigt, wie die offiziellen Zahlen durch Wegdefinieren und Umdeuten der Begriffe verfälscht sind. Noch deutlicher wird das bei der Frage der Autonomie des Patienten: Unter den 23 060 Fällen von «passiver Euthanasie» des Jahres 1990 sind 19 066 Fälle (= 82,7 %!), die ohne Verlangen des Patienten geschahen. 1995 sind es 22 251 (=81,2 %!) von 27 406. Von den 24 219 Fällen von «indirekter Euthanasie» des Jahres 1990 geschahen 20 097 (= 83 %) ohne Verlangen des Patienten. 1995 sind es 21 573 von 26 050 (= 82,8 %).

Wer die Schweizer «Debatte» über «Sterbehilfe» verfolgt, weiss, wie sehr die Niederlande denen als Vorbild dienen, die auch in der Schweiz eine Legalisierung der Tötung von Patienten aus Mitleid anstreben. In der laufenden politischen Auseinandersetzung um Sterbehilfe darf daher nicht das Mitleid mit dem Leidenden alleinige Richtschnur sein. Mitleid ist ein edles Gefühl. Wenn es aber nicht auf exaktem Wissen und Sachverstand ruht, kann es leicht verführt und zu tödlichem Mitleid werden, wie es der Psychiater Klaus Dörner so treffend nannte. Klugheit, das war eine tiefe Einsicht der antiken griechischen Philosophie, muss die Basis aller sittlichen Entscheidungen sein. Wer die Dinge nicht so wahrnehmen kann oder will, wie sie wirklich sind, dessen edelsten Gefühle können in die Irre gehen. Wie sehr falsche Theorien über die Wirklichkeit aber die Weltgeschichte fehlgeleitet haben, davon zeugt das 20. Jahrhundert zu genüge.

 

Mit freundlichen Grüssen

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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