Ideologen der «Euthanasie» – Anton Leist

1998 Moritz Nestor

Text 1
Anton Leist: Das Dilemma der aktiven Euthanasie (=Berliner Medizinethische Schriften. Hefts 5.) Humanitas Verlag. Dortmund 1996, S. 3.

„In der populären Diskussion werden oft Einwände gebracht wie die, dass Föten von einem bestimmten Zeitpunkt an menschliche Gestalt, Arme, Beine, Gesicht, etc. entwickeln, wobei aber ungeklärt bleibt, warum sie deshalb menschliche Wesen sind.“

„Der beste Tod kann derjenige sein, den uns jemand anderer zufügt. Beispielsweise dann, wenn unsere Lebenserwartung aufgrund einer schweren Krankheit nur noch sehr begrenzt ist, etwa wenige Tage, … Dann könnten wir allen Mut zusammennehmen und uns entschliessen, statt dessen jetzt, in einem bewussten und kontrollierten  – vielleicht auch ´würdigen´ – Zustand zu sterben. Wir könnten uns selbst töten, indem wir ein Gift benutzten, das ein Vertreter der Sterbehilfeorganisation an unser Bett bringt. Aber möglicherweise misstrauen wir dem Vertreter dieser organisation, oder wir wollen vermeiden, unter der einsetzenden Wirkung des Gifts zu leiden. In dieser Situation gibt es nur einen, der uns zu einem Tod verhelfen könnte, ´der uns gefällt´: ein Arzt unseres Vertrauens. Er könnte uns auf unseren überlegten Wunsch hin und in Kenntnis unserer Krankheit auf sichere und schmerzlose Weise töten. Dass Ärzte manchen ihrer Patienten den Dienst erweisen, sie zu töten, scheint deshalb naheliegend; ja vielleicht sogar mehr als das: vielleicht scheint es als ein verantwortungsvoller Auftrag im Rahmen ihres Berufes sogar geboten.“

 


 

Anton Leist: Diskussion um Leben und Tod.[1]

 

Umgang mit der deutschen Geschichte

Schon Leists Umgang mit der deutschen Geschichte spricht für sich. Er behauptet, Euthanasie sei „für Deutsche mehr als für andere ein problematischer Begriff.“ (S. 52) „mehr als für andere“? Seit Jahren müssen wir in den Niederlanden Tausende und Abertausende von durch Ärzte Getöteten beklagen. Im Berichtsraum 1990/91 waren es dort über 8´000 „Gnaden“todopfer – und zwar nur dort! Kein anderes Land der Welt tötet heute derart schamlos Kranke und Alte! Deutschland kennt dieses Problem heute nicht! Die Niederländer nennen es wie die Nazis „Euthanasie“ – eu thanatos: der schöne Tod!

Leist klagt die Deutschen der mangelnden Vergangenheitsbewältigung an: „eine unbezahlte und nicht mehr abzuzahlende Hypothek“ (S. 42) Er, der Ankläger, verharmlost aber gleichzeitig den nationalsozialistischen Massenmord an Anstaltspatienten erschreckend. Die Vernichtung sogenannt „lebensunwerten Lebens“ zwischen 1993 und 1945 war für Leist nämlich „in der Regel ein Töten gegen das Interesse und oft auch den Willen der Betroffenen.“ (S. 42, eigene Hervorhebung) Der Satz enthält zwei entlarvende Ungeheuerlichkeiten: Nicht „in der Regel“, wie Leist behauptet, sondern immer geschahen die Patientenmorde der Nazis absolut gegen das Interesse aller Patienten. Wo geschah auch nur einer der Morde im Interesse eines der schändlich Getöteten? Nicht „oft“, wie Leist behauptet, sondern immer geschah der Massenmord gegen den Willen aller Patienten. Die Täter wurden auf Schweigepflicht und Gehorsam vereidigt. Der Eidbruch mit dem Tode bestraft.[2] Wo war es der Wille auch nur eines Patienten im „Dritten Reich“ gewesen, ermordet zu werden? Leist macht damit – als Deutscher – Opfer zu Tätern! Wer sagt, „in der Regel“ und „oft“ sei das nazistische Morden gegen die Interessen und den Willen der Patienten geschehen, denkt der nicht, es hätte damals Fälle gegeben und es gäbe sie auch heute, wo der Arzt einen Menschen auf dessen Wunsch töten dürfe und auch Fälle, wo es im Interesse des Patienten sei, getötet zu werden?

Leists „lebensqualifizierende–Ethik“: Die Rechtfertigung von „lebensunwertem Leben“ und „Hilfe z u m  Sterben“
Wegen der historischen Verstrickung könne man nach Leist heute in Deutschland kaum vernünftig über diese Problem reden. Daraus ergäben sich zwei Probleme: 1.) „Einerseits werden die NS–Aktionen als Beleg dafür genommen, daß jede Bewertung eines Lebens als >lebenswert< oder >lebensunwert< moralisch verwerflich sei.“ (S. 42) 2.) Um sich klar gegen das durch die NS–Morde belasteten Wort >Euthaansie< abzugrenzen, hat man nach dem Krieg nur noch von >Sterbehilfe< gesprochen. Damit werde aber nach Leist „unterstellt, nur Fälle der Hilfe beim Sterben seien moralisch erwägenswert (nicht der Hilfe zum Sterben), also nur Situationen, in denen ein Mensch bereits im Sterben begriffen ist. (…) Sind, insbesondere, diese beiden Annahmen sinnvoll? Meiner Meinung nach sind sie es nicht …“ (S. 44)

Im Klartext heisst das: 1.) Es gibt – nach Leist – „lebensunwertes Leben“. Das ist für ihn nicht unmoralisch. 2.) „Hilfe zum Sterben“ – und darunter versteht man Tötungen von Patienten und Beihilfe zum Suizid! – wird nach ihm „erwägenswert“, d.h. zur eventuell moralisch gebotenen Aufgabe des Arztes. Leist kennt damit – gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, des Landes, aus dem er stammt – wieder moralische Rechtfertigung der Tötung „lebensunwerten Lebens“! Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass es kein „lebensunwertes Leben“ gibt, dass so eine Wortwahl ein Widerspruch in sich ist und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

 

Umgang mit Anderdenkenden

Wer allerdings (wie das Bundesverfassungsgericht) nicht so denkt wie Leist – Menschen also, für die „jede Bewertung eines Lebens als >lebenswert< oder >lebensunwert< moralisch verwerflich“ ist und die „Hilfe zum Sterben“ nicht „erwägen“, solche Menschen „belegen den traditionellen Themenbereich der Euthanasie mit Verwirrung und einseitigen Interpretationen.“ (44f.) Sie werden von Leist mit merklich negativem Unterton in die Nähe von Karl Bindung und Alfred Hoche gerückt, der Theoretiker des „lebensunwerten Lebens“: „Wer (…) jede Form der Lebensbewertung ausschließt, unterliegt einer Verwirrung, zu der Bindung und Hoche sicher einiges beigetragen haben.“ (S. 45) Das erinnert an jenen Niederländer, der verächtlich meinte, wer nicht über Euthanasie diskutieren wolle, stosse die Tür zu Auschwitz wieder auf. Leist kennt wenig schmeichelhafte Worte für die, die (wie oben gezeigt) wie das bundesdeutsche Verfassungsgericht denken: Es sind „Fundamentalisten“ (S. 46), die die „Konsequenzen dieses Postulates nicht bedenken oder nicht ernst nehmen.“ (S. 46) Es sind Vertreter einer „Heiligkeit–des–Lebens–Ethik“. (S. 47) Ihnen stellt Leist die Vertreter der sogenannten „lebensqualifizierenden–Ethik“ (S. 47) gegenüber. Im Gegensatz zu den Vertretern der „Heiligkeit–des–Lebens–Ethik“ denken sie klar. Wie unlogisch diejenigen seien, die davon ausgehen, dass jede Bewertung des Lebens unmoralisch ist, belegt Leist unter anderem folgendermassen: Wenn jede Lebensbewertung unmoralisch sei, dann müsse „der Autoverkehr ganz aufgegeben oder mindestens durch ein sichereres Verkehrsmittel ersetzt werden. Da kein Verkehrssystem absolut sicher ist und dasselbe für alle Techniksysteme gilt, dürfte der Übergang zu einer agrarischen Zivilisation geboten sein.“ (S. 46) Man muss sich vor Augen halten, was dies bedeutet. Hier wird der Verkehrstote mit dem toten Patienten verglichen, der – aus „Mitleid“! – nach moralischer Abwägung durch den Arzt ums Leben kam. Überhöhte Geschwindigkeit, um nur ein Beispiel herauszugreifen, eine der Ursahen tödlicher Verkehrunfälle, ist aber keine gezielte moralische Entscheidungen. Es steht zudem jedem frei, sich in eine Auto zu setzen. Keinem Patienten steht es jedoch frei, den Arzt zu wählen oder nicht. Er bittet normalerweise um dessen Hilfe.

Es hat Zeiten gegeben, da hatten die Deutschen die Todesstrafe, sie hatten eine Vernichtungsmaschine, die ausmerzte, was nicht lebenswert erschien, die tötete, wer nicht dem Volke nützte. Dass Anton Leist in einem Staate aufwuchs, der ihm und Millionen seiner Landsleute umfassende Sicherheit gewährte, der ihm unter anderem vor allem auch die Sicherheit gab, nicht wegen seiner – wie wir oben feststellten – verfassungswidrigen Meinungsäusserung ins KZ zu wandern: Das aller verdankt Anton Leist dem Grundgesetz der Bundesrepunblik Deutschland und dessen Kerngedanken, dass jeder Mensch eine unveräusserliche Würde hat und ein Recht auf Leben und dass es kein lebensunwertes Leben gibt. Man ziehe nur die richtigen Konsequenzen: In einem Staate, der den absoluten Schutz des Lebens nicht kennt, muss man denken, was von oben gefordert wird, sonst wird man selbst an Leib und Leben bedroht.

 

Ablehnung des Naturrechts

Typisch für Leist ist seine Ablehnung des Naturrechts. Dass jede Bewertung des Lebens unmoralisch sei und dass man keine Hilfe zum Sterben leisten darf, ist für ihn nur durch eine „transzendente Wertquelle, eine Quelle >außerhalb< der Interessen der individuell Betroffenen“ (S. 46) begründbar. Nur die Annahme eines Gottes rechtfertigt also nach Leist den unbedingten Schutz des Lebens.

Wirklich weiter kommt man nach Leist aber nur, wenn man Gott beiseite läßt, denn „die manifesten Interessen lebender Individuen sind … an ihre leibliche Existenz gebunden, und diese kann unerträglich werden.“ (S. 46) Wenn also ein Mensch leidet, ist das eine der „bestimmten Lebenssituationen“, in denen nach Leist „diesen Interessen durch den Tod besser gedient wäre.“ (S. 46) Gott als „tranzendente Wertquelle“ ist „unveränderlich gültig“ (S. 46) und fordert unbedingten Schutz des Lebens. Ohne Gott: „Nur wenn eine >interne Wertquelle< zur Bewertung des Lebens zugestanden wird, eröffnet sich überhaupt das Problemfeld der Euthanasie.“ (S. 46) Die „interne Wertquelle“ ist eben das „Interesse“. Der Mensch kann nach ein Interesse haben, nicht mehr leben zu wollen. Leist hält es daher für „völlig unmöglich, … Euthanasie ohne eine Bezugnahme auf das Wohl des Betroffenen zu umreißen.“ (S. 48) Das zu erkennen und zu respektieren ist aber nur möglich, wenn man von Gott absieht, denn die „transzendente Wertquelle“ fordert ja unbedingten Lebensschutz, das tun ja Fundamentalisten, die nicht konsequent weiterdenken!

„Nun ist aber vor allem unklar, was sich genauer hinter dem Begriff »menschliches Leben« verbirgt. Sumner (1974) hat drei Bedeutungen unterschicden: die Spezies–. Normalitäts– und Entwicklungsvorstellung. »x ist cin Exemplar menschlichen Lebens« kann heißen »x gehört dcr menschlichen Spezies an«, »x hat die für Menschen normalen Eigenschaften« oder »x ist hinreichend entwickelt«. Im Sinn dcr Abtreibungsgegner wäre die Speziesbedeutung vorzuziehcn, denn Spezieszugehörigkeit ist genetisch festgelegt, und der Fötus ist deshalb von Befruchtung ab Angehöriger der Spezies Mensch. Hingegen ist nicht nur offen, wann Normalität oder hinreichende Entwicklung vorliegt; beides wird auch erst irgendwann im Verlauf der Schwangerschaft eintreten oder feststellbar sein. Die zweite und dritte Bedeutung führen also kaum zu einem strengen Abtreibungsverbot. Verschärft wird diese Tendenz, wenn unter »menschlichem Leben« soviel wie »menschliche Person« verstanden wird, eine spezielle Version der zweiten oder dritten Bedeutung (Singer 1979, S. 1o4f., 161). Es dürfte äußerst schwierig sein, bereits in Föten Personen zu sehen.“ (22)

„Daß dieses Kriterium heute unter Philosophen jede Übcrzeugungskraft verloren hat, geht vor allem auf die Kritik von Tooley und Singer zurück, die inzwischen fast allgemein akzepticrt wird. Beide (Tooley, S. 171; 1983, Kap. 4; Singer 1975, Kap. 1; 1979, Kap. 3; ähnlich Glover 1977, S. 121; Sumner 1981, S. 89–106; Kuhse, S. 88f.; Lockwood, S. 251f.; nicht hingegen Warnock, S. 226f.) haben darauf hingewiesen, daß die Spezieszugchörigkeit allein – nämlich unabhängig von den aktuellen Eigenschaftcn und Fähigkeiten eines individuellen Exemplars der Spezies – moralisch nicht relevant sein kann. Singer hat dies insbesondcre im Kontext seiner Arbeiten zur Tierethik gezeigt, denn gerade bei der Rechtfertigung grausamster Praktiken gegenüber Tieren führen wir Menschen nicht selten ins Feld, daß die Praktiken Tieren gelten und nicht Menschen, ungeachtet dessen, daß Tiere teilweise ganz ähnlichc Eigenschaften und Interessen haben. […] Damit wird sichtbar, daß mit der Berufung auf Spezieszugehörigkeit eigentlich die Berufung auf Eigenschaften und Fähigkeiten gemeint ist, die Menschen haben, aber nicht unbedingt nur sie und nicht unbedingt alle Menschen: Eigenschaften wie Intelligenz, Bewußtsein~ Sprache, Gefühle, Interessen, Handlungsfäkeit, etc. Das Speziesargument löst sich damit als einfache und direkte Beantwortung […] auf, denn es kommt jetzt darauf an, bestimmte Eigenschaften anzugeben und die moralische Relevanz für das Tötungsverbot nachzuweisen.“(22f.)

„In der populären Diskussion werden oft Einwände gebracht wie die, daß Föten von einem bestimmten Zeitpunkt an menschliche Gestalt, Arme, Beine, Gesicht, etc. entwickeln, wobei aber ungeklärt bleibt, warum sie deshalb menschliche Wesen sind.“ (23) Wie kann das einem „unklar“ sein? „Warum soll die anatomische Definition für »menschliche Wesen« ausreichend sein, sind Menschen »wesentlich« Körper mit bestimmten Organen? Dürfte man ein bewußtseinsfähiges menschliches Wesen töten, wenn bestimmte seiner Organe unterentwickelt sind oder fehlen?“ (S. 23)

 

Das wahre Gesicht der „inneren Wertquelle“

Wenn also das Grundgesetz für Leist nicht mehr gilt, wenn keine Naturrecht für ihn gilt, wenn auch die transzendente Wertquelle Gott für ihn nichts bringt, wenn es also für ihn „lebensunwertes Leben“ gibt, und wenn er „Hilfe zum Sterben“ moralisch rechtfertigt, dann bleibt eine letzte Frage offen:

Was ist jener „interne“ Masstab, den Leist empfielt und der allein angeblich die „Interessen der Betroffenen“ wirklich respektiert? Anlässlich einer Tagung in Deutschland gab Anton Leist darauf eine erschreckende Antwort. Vor einem zu Recht empörten Publikum sagte er, die einzig denkbare Richtschnur für die Gestaltung der Arzt–Patient–Beziehung sei für ihn das Lust–Unlust–Prinzip! Mit Lust also – wie es einem gerade kommt – behandeln, nicht behandeln, abstellen, unterlassen, töten!

 

Öffentliches Amt?

Der Arzt darf also in bestimmten Fällen im Interesse des Patienten diesen töten. Das genau, ist die Definition von „Euthanasie“, mit der die Niederländer jährlich Tausende von Patienten umbringen. Nach Festlegung der Königlich Niederländischen Medizinischen Gesellschaft ist Euthanasie die Gabe eine Giftes durch den Arztes auf Wunsch des Patienten, und sie bleibt straffrei. Mittlerweile wissen wir von 1000 Patienten pro Jahr mindestens, die ohne Willenserklärung durch niederländische Ärzte getötet werden.

Ist es das, was Anton Leist will?

Man handelt in gewissen Kreisen Anton Leist als Anwärter auf den neuzuschaffenden Lehrstuhl für Medizinische Ethik in Zürich. Wie könnte man einem „Philosophen“ ein offizielles Amt geben, der sich nicht auf den Boden der Schweizer Verfassung – auch diese kennt das Lebensrecht –, der Europäischen Menschenrechtskonvention, ja auf den Boden sämtlicher internationaler Konventionen und Erklärungen zum Schutz der Menschenrechte stellt? Wie könnte man einen „Philosophen“ in ein öffentliches Amt berufen, der derart unverholen die Ideologie des „lebensunwerten Leben“ propagiert? Hier in der Schweiz hütet er sich wohlweislich derartiges offen zu sagen! Er möchte ja noch etwas erreichen. Und es macht sich schlecht, wenn man erfährt, dass ein Anwärter auf den Lehrstuhl für medizinische Ethik nach dem Lust–Unlust–Prinzip Patienten behandelt wissen möchte.

 

Nachbemerkung

Anton Leist wird sich von diesem Text missverstanden fühlen und den Vorwurf machen, man hätte ihn tendentiös oder gar falsch zitiert: Und in der Tat, ein wichtiges Zitat blieb bisher unerwähnt. Leist würde es zu seiner Entlastung sofort anführen und behaupten, es rücke alle seine Worte in ein ganz anderes Licht als es meine Zusammenstellung hier tut. Leist versucht sich folgendermassen aus dem Dilemma, in das er sich hineingeredet hat, herauszureden: „meine Argumentation bezieht sich auf die Wahl des Begriffs. Es soll nicht etwas gesagt werden, Euthanasie sei schon deshalb moralisch geboten, weil wir nicht umhin können, … Menschenleben mit einem konkreten Wert zu versehen. Indem man sich das Problem der Eutthanasie vorgibt, ist nicht ausgeschlossen, daß man moralische Gründe findet, sie abzulehnen. Aber sie anzuführen erübrigt sich nicht durch ein verbales Manöver.“ (S. 48) In Wirklichkeit macht dieses Zitat alles nur noch schlimmer.

Wenn jemand sagt: es gibt keinen unbedingten Lebensschutz für alle Menschen, einige Menschenleben sind unwert, dann lässt dies nur einen einzigen möglichen Schluss zu: Dieses unwerte Leben hat keinen Lebensschutz. Das heisst aber, man darf es töten!

Es geht Leist nicht nur um die „Wahl des Begriffs“, das ist eine Schutzbehauptung. Und zwar gibt es hierfür einen schlagenden Beweis: Wenn jemand gegen Tötung voon Patienten ist, wenn es ihm zuwider ist, Hilflose als unwertes Leben zu verurteilen, dann dann klingt ein Text nicht „sachlich“, als gehe es um die Regelung des Sonntagsfrühstücks. Und gerade diesen Eindruck vermittelt der Leistsche Text. Wer nicht nur vorgibt, gegen Patiententötung zu sein, der schreibt darüber „bebend“, denn er weiss, dass er eines der widerlichsten Kapitel der Weltgeschichte aufgeschlagen hat. Da heisst es dann nicht wie bei Leist, die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Dritten Reich sei „in der Regel ein Töten gegen das Interesse und oft auch den Willen der Betroffenen.“ gewesen. Wer seitenlang von unwertem Leben redet, dann aber zum Schluss schnell einmal sagt: es sei ihm nur um die „Wahl des Begriffs“ gegangen, hat kein Gewissen, denn er verliert nicht schier die Achtung vor sich selbst und erschrickt, wenn er dieses Wort „unwertes Leben“ nur in den Mund nimmt!

[1]     In: Leist, Anton (Hrg.) Um Leben und Tod. Moralische Probleme bei Abtreibung, künstlicher Befruchtung, Euthanasie und Selbstmord. Frankfurt/Main 1990, S. 9 -74.
[2]     Vgl. Mischerlich, A./Mielke, F. Das Diktat der Menschenverachtung. Heidelberg 1947, S. 113f.

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

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