Moritz Nestor
«Discover the art of publishing» heisst das Motto der «Deutsch Mark Media». Am 13. Januar 2025 feiert sie Margarethe Schreinemakers als
«eine der prägendsten Persönlichkeiten im deutschen Fernsehen der 1990er Jahre. … Besonders bekannt wurde Schreinemakers durch ihre Arbeit bei RTL und später bei SAT.1. Ihre Talkshows wie “Schreinemakers Live” setzten neue Standards in der deutschen TV-Landschaft. Die Kombination aus investigativem Journalismus und emotionalem Storytelling machte ihre Sendungen einzigartig und enorm erfolgreich. … In den späten 1990er Jahren geriet sie wegen angeblicher Steuerhinterziehung in die Schlagzeilen. … Die mediale Aufmerksamkeit rund um ihre Steuerprobleme führte dazu, dass ihre Talkshow eingestellt wurde. … Ihre innovative Herangehensweise an das Talkshow-Format und ihre unerschrockene Art, schwierige Themen anzusprechen, bleiben unvergessen.» [1]
Schauen wir also, woraus Schreinemackers «neue Standards», ihre «innovative Herangehensweise an das Talkshow-Format» und ihre «unerschrockene Art, schwierige Themen anzusprechen» bestand und was ihre «Kombination aus investigativem Journalismus und emotionalem Storytelling» so «unvergesslich» machte. Immerhin gehörte Schreinemakers Live zu den quotenstärksten Sendungen ihrer Zeit und wurde mit mehreren Preisen, unter anderem dem Bambi und der Goldenen Kamera ausgezeichnet.[3]
«Schreinemackers live» vom 10. Februar 1994 ist eine von vielen ähnlichen «Psychosendungen», in denen Lebensprobleme, die eigentlich professionelle Hilfe benötigen, vor laufenden Fernsehkameras der niederen Sensationslust eines feixenden Publikums ausgeliefert werden. Unwillkürlich ist man an die «Völkerschauen» zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts erinnert, die in europäischen Zoos neben den Käfigen wilder Tiere «Lippenneger» und andere «Wilde» den sensationsgeilen Blicken der weissen Herrenmenschen auslieferten.
Die Moderatorin Margarete Schreinemackers studierte wie viele nach Achtundsechzig Publizistik und Sozialwissenschaften. Meist brotlose Abschlüsse, für die sich aber bei den neuen dritten Programmen und Privatfernsehen plötzlich viele Stellen fanden. Ohne therapeutische Kompetenz führt sie an jenem 10. Februar in Schreinemakers Live einen unreifen jungen Mann einem Millionenpublikum vor, der stark in kleinkindliches Verhalten regrediert ist und dessen Mutter sich darum Sorgen um die Zukunft ihres Sohnes macht. Sie präsentiert diese offenkundige seelische Störung dem Publikum als «Leidenschaft». Er heisst Nico, kommt aus Dänemark und geht noch zur Schule. Für die Show sitzt er zwischen Kissen in einem Laufstall, um den Hals einen Schnuller gebunden, und nuckelt Orangensaft aus einer Babyflasche. «Er übt eine Leidenschaft aus», erklärt die Schreinemackers. – Nico: «Ich pinkle in die Windeln. Ja! Das macht Baby.»[2] Hinter Nico kichert und gluckst ein sensationslüsternes Studio-Publikum fortwährend. Vor Nico sitzen Margarete Schreinemackers und zwei Gestalten in Ganzkörperhüllen aus schwarzem Leder und grünem Latex.
Schreinemackers: Warum er glücklich sei?
Nico: «Ich habe einen Liebhaber, einen Partner, der meine Spiele mitmacht. Der lässt sich davor nicht abschrecken, und das sind nur wenige, die das imstande sind zu tun.»
Was denn seine Eltern dazu sagen würden.
«Ja, meine Mutter macht sich etwas Sorgen, was meine Möglichkeiten betrifft, einen Arbeitsplatz zu finden. Aber mein Vater findet es gut, daß ich es mir zutraue und es wage, so an die Öffentlichkeit damit zu gehen.»
Und so nimmt ein widerliches Schauspiel seinen Lauf. Die Moderatorin bohrt vor kicherndem Publikum und laufenden Kameras ohne Mitgefühl im Seelenleben Nicos. Nico steht brav Rede und Antwort. Er erlebt sichtlich Genugtuung, mit seiner Störung Aufmerksamkeit zu finden: «sekundärer Krankheitsgewinn» durch Fernsehauftritt. Dabei stellt die Schreinemacker den armen Nico ständig bloss:
«Kann man sich das so im Sinne der herkömmlichen Kinderpflege vorstellen? So mit Puder und Feuchtigkeitstüchern, um den Popo sauberzumachen?»
Nico: «Ja! Das Ganze gehört dazu: mit nassen Läppchen … Das ist wunderbar!» Nur weinen könne er «nicht so gut wie ein richtiges Baby, leider.»
Schreinemacker: «Ist das Lochgröße drei für Brei und Fruchtsäfte?»
Nico: «Ich benütze den größten Schnuller für Grütze oder Milchbrei.»
Schreinemacker prustet, kann ihr Lachen kaum zurückhalten: «Nun geht das ja bei Schnul…. Hahahahaha! Nun geht das bei Schnullern, einverstanden! Aber bei Windeln, da brauchen Sie ja eine größere Ausführung? Und Gummihosen? Das würde ja auch mit den Pampers–Maxi nicht mehr hinkommen! Wo kriegen Sie denn Windeln her?»
Nico bezieht Extraanfertigungen für kranke Alte, die ihr Wasser nicht mehr halten können. 16 Stück für etwa 25 Mark, Stoffwindeln zum Auswaschen.
Nico hat zu Hause einen Klub mit heute etwa dreißig Mitgliedern gegründet, den «Baby-Gum», «wo Menschen, die auch gerne Babys sind, sich hinwenden können.» Er gibt eine Zeitschrift gleichen Namens heraus, die über diese «Lebensform» informiert. Stolz ist Nico, dass er Gleichgesinnte gefunden hat: «Ich finde, es sind doch überraschend viele. Ich habe bislang mit etwa hundert Dänen gesprochen und weiteren dreißig aus dem Ausland.»
Die Sendung reisst jede Achtung vor dem leidenden Menschen ein. Die Schreinemacker macht sich unverholen lustig über den armen Vorgeführten. Sie muss sich oft zurückhalten, um nicht laut hinauszusprusten, beherrscht sich zwanghaft und mimt die alles ernsthaft entgegennehmende Psychologin – ohne eine sichtbare Emotion. Immer wieder setzt das Publikum zu Lachern an. Immer wieder hört man unterdrückte Gluckser.
Hier gilt nichts mehr, nur ein Gesetz: Keine Norm! Darüber wacht Margarete Schreinemacker. Nico kann sich in diesem «Safe space» unter «Toleranten» fühlen und zufrieden seine «Leidenschaft ausüben». Jene sollen zum Schweigen gebracht werden, die denken, es sei für einen jungen Mann nicht normal, in verpinkelten Windeln zur Schule zu gehen. Vor dem Mikrophon der Schreinemacker werden alle gleich. Das Fernsehen als Zufluchstätte aller von der «repressiven Normalität» Ausgegrenzten. Hier dürfen sie alle gleich sein. Die Moderatorin nimmt sich dieser modernen Aussätzigen an. Man soll nicht lachen! Ein trauriges Schauspiel.
Die Horror–Parade geht weiter. Schreinemacker: «Horst! Was Nico nicht kann, er kann ja seine Pampers am hellichten Tag nicht unter ´ne Jeans stecken. Da würde man komisch gucken. Sie haben ´ne Leidenschaft, die können Sie aber unter der normalen Kleidung verstauen? Was lieben Sie?»
Die beiden stark emanzipierte Damen in Ganzkörper-Latex-Verhüllung flimmern nun mit Horst durch Deutschlands Wohnzimmer. Der befangene Horst erklärt abgehackt: «Also, ich habe direkt Damenwäsche, BH, Slip, Body, Straps, Strumpfhosen, also alles, was in Richtung ‚Seide mit Spitze‘ geht.» Eine eingeblendete Schrifttafel klärt den Nüsschen knabbernden Zuschauer zu Hause auf der Couch: «Horst, Wäsche–Fetischist» Horst öffnet sein Hemd und zeigt der heranzoomenden Kamera den rot–schwarzen BH über seinem mageren Oberkörper.
Links neben der Schreinemacker sitzt eine weitere «Lebensform». Eine von Kopf bis Fuß in Leder, Gummi und Plastik gezwängte Gestalt, die stark an einen Gladiator aus dem Circus Maximus erinnert. Diese Figur betrachtet aus zwei Sehschlitzen die Welt. Neben ihr eine in schwarzes Leder und schwarzen Plastik gehüllte Figur, die einen grünen BH über dem schwarzen Leder trägt. Schwarze Gummihandschuhe gehen ihr bis über die Ellenbogen, eine schwarze Halbmaske verdeckt ihr Gesicht. Auch sie sei kein «kein Monster», erklärt die Schreinemacker. Wo alle keine Unterschiede mehr machen dürfen, da wacht die Moderatorin eisern über Einhaltung dieser Regel: Soll auch der letzte heute lernen, das es das alles gibt.
Und dann hat Moderatorin schließlich auch ihr Coming–Out: Die Sendung «War auch für mich jetzt nicht ganz so einfach». Aber sie hat stolz vorgeführt, was wohl so schnell keiner vor die Kamera bekommt. Wie Jesus die Sünder, so sammelt Margarete Schreinemackers die von der «ausgrenzenden» Normalität geächteten «Lebensformen» um sich. Sie führt uns verblendeten Stinknormalen vor, dass wir doch so antiquiert sind, wenn wir zwischen seelischer Ausgeglichenheit und seelischem Leiden unterscheiden. Vor diesen «Leidenschaften» brauche man gar «keine Angst» zu haben. Man sieht der emotionslosen Schreinemacker an, dass sie vieles an diesen «Lebensformen» lächerlich findet. Dies zu unterdrücken ist eben «nicht ganz so einfach», wie sie zugeben muß, «nicht weil ich jetzt ein Vorurteil oder so etwas habe, aber man hat ja nicht jeden Tag so damit zu tun. Und ich finde das klasse, daß Sie alle hier gesessen haben, darüber geredet haben.»
Nur ´mal darüber reden, das ist neue Toleranz. Der psychologische Small–talk auf Kosten des Betroffenen vor den lüsternen Augen eines Millionenpublikums – das Niveau kann nicht niedrig genug sein. Margarete Schreinemacker fährt fort, «es macht ja auch verständlich, dass, weil jemand eine Leidenschaft ausübt, er deswegen kein Monster sein muß.» Das ist die Moral der publizistischen Antidismkriminierungsfront: Jeder hat seine «Wirklichkeit», wer will schon sagen, was richtig und was falsch ist, wir reden daher über alles, denn alles kommt vor, und weil es vorkommt, muss man darüber reden. Komme nur keiner und finde etwas gut oder schlecht, fort mit jenen, die ein Urteil abzugeben haben, die eine Meinung haben. Die „polarisieren“ nur und stören das Reden und Schwafeln über jeden Dreck.
Nur ein Tabu kennt dieser wahrhaft «herrschaftsfrei Diskurs», der alle Ausgrenzung und Tabus bricht und keine Normen und Werte anerkennt: Habe kein Urteil! Glaube nicht, etwas werten zu dürfen! Alles Urteil ist schon ein Vorurteil. Sich selbst setzt man absolut. Man weiß, wer nicht mitreden darf: Der, der ein Urteil abzugeben hat, der etwas weiß.
Und über all dem Abbauen von angeblichen Vorurteilen, dem Einreißen angeblich schädlicher Tabus, vergißt man den Perversen, dem bitterstes Unrecht geschieht: Wie ein exotisches Tier dem staunenden Europäer des Neunzehnten Jahrhunderts wird er dem Fernsehpublikum des Zwanzigsten vorgeführt: Seht das gibt es auch, aber lacht nicht! Man ist unwillkürlich an die Menschenzoos aus dem Kolonialzeitalter erinnert, als Hagenbeck zum Beispiel «Wilde» und andere «minderwertige Rassen» neben Elefanten, Tiger und Giraffen den staunenden «höhenwertigen» Europäern gegen ein Eintrittsgeld ansehen liess.
Sieht denn hier niemand, denke ich fortwährend, dass hier sekündlich bemitleidenswerte Menschen von einer skrupellosen Moderatorin als Mittel zum Zweck der Quotensteigerung missbraucht werden? Ein Mensch wie Horst, dem man helfen müsste, von seiner Einsamkeit loszukommen, worauf er seine Perversion aufgeben würde, wird stattdessen vorgeführt, als wäre er «von Natur aus» so. Ein Fernsehpreisgekrönter «postmoderner Menschenzoo» im Studio! Horsts Leiden wird von fachfremden Pseudointellektuellen als unheilbar festgeschrieben. Der schüchterne Horst, der unter seinem Hemd einen BH trägt, kennt seine Einsamkeit: «Ich hab da früher schon von meiner Mutter ‚mal so Sachen probiert. Das hat sich dann nach meiner Scheidung weiterentwickelt, und seit ich alleine lebe, ist das für mich eine Befriedigung. Und wenn ich die Sachen tragen kann, ist das tagsüber ein entsprechender (!) Reiz.» Die sensationsgeile Journalistin missbraucht das Leiden dieses Armen und stellt als «Lebensform» unter vielen dar.
Begründungspflichtig ist der Heterosexuelle, er muss sich vor dem Zeitgeisttribunal verantworten, das fordert, er dürfe nicht denken, der Mensch sei heterosexuell. Es geht gegen Normalität. Die Einheit von Leib, Seele, Geist, die in personale Beziehung tretende Person, was den Menschen zum Menschen macht, verschwindet. Und mit ihr die unveräusserliche Würde. Von dem vernunftbegabten Wesen, das in Freiheit Verantwortung für die Natur und den Mitmenschen übernimmt und sich bescheiden nicht besser weiss als der Nachbar, ist am Ende der Sendung nichts mehr übrig. Nur noch Körper, die sich gegen alles wehren, was ihrer Lust gefährlich sein könnte. Das Hohelied auf die spontane, ungehemmte, keine Grenzen kennende Bedürfnisbefriedigung. Der Mensch ist Bedürfnisbefriedigungsmaschine. Glück hat nichts mehr mit Verantwortung, Gemeinwohl und Humanität zu tun. Glück ist reduziert auf die optimale Impulsleitung vom Stamm, Kleinhirn und Rückenmark in alle Körperteile. Pfui dem Vernünftigen, der das «pervers» nennt. Er ist repressiv. Normal ist , was einmal nicht normal war. Der Heterosexuelle ist der neue Aussenseiter und muss sich rechtfertigen, dass er zweigeschlechtlich sein will.
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[1] Team Deutsch Mark Media. Margarethe Schreinemakers Heute: Ein Blick auf ihr Leben und ihre Karriere. Deutsch Mark Media vom 13. Januar 2025. URL: https://deutschmarkmedia.de/margarethe-schreinemakers-heute/ [eingesehen am 11.6.2025]
[2] Alle Zitate aus dem wörtlichen Transkript im Besitz des Verfassers.
[3] Margarethe Schreinemakers. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Margarethe_Schreinemakers#cite_note-4 [eingesehen am 11.6.2025]