Karl Jaspers 1949: «Die Freiheit an der Grenze des Technischen ist der Mensch selbst» – oder wider die totale kybernetische Ideologie des «universalen Machenkönnens»

Zitatauswahl Moritz Nestor

«Die Quelle der Totalplanung im Technischen: Wo in der Technik Störungen auftreten, versucht man durch zweckhafte Pläne sie zu beseitigen. … Den Gefahren zu schneller Umwälzung begegnet man etwa durch Ankauf … von neuen Patenten. Der Unzufriedenheit, Ermüdung und Leere der Menschen sucht man durch planmässige Gestaltung der Freizeit, durch Organisation des Wohnens und privaten Lebens entgegenzuwirken. … Der Führungslosigkeit der Technik im Ganzen will man durch die Technisierung der Führung selbst zuvorkommen: eine Organisation des Ganzen in einem Staatssozialismus soll durch Kontrolle und Errechnungen die richtigen Wege durch zwingende Erkenntnis sozusagen automatisch finden lassen.

Da innerhalb des Technischen durch Planung so Ausserordentliches erreicht wird, geht von hier aus der Weg in gedanklicher Unbesonnenheit vermöge der Faszination durch die Technik auf den Gedanken einer Technokratie – der Führung der Technik durch Technik selbst -, die alles Übel überwinden wird. Es ist der Wissenschaftsaberglaube des universalen Machenkönnens, der auf den Weg der Totalplanung drängt. Das technische Zeitalter sucht die Idee des Neubaus des gesamten menschlichen Daseins technisch zu verwirklichen. … Am Ende wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. … Jederzeit muss der Mensch leben, er kann nicht einen Augenblick aussetzen, um das Ganze von vorn anzufangen. Immer muss er vom Sogewordensein ausgehen. … Die Herrschaft über die Technik ist nicht durch Technik … zu erreichen, die vielmehr gerade die endgültige Nivellierung, Lähmung und Versklavung bedeuten würde. Die Freiheit an der Grenze des Technischen ist der Mensch selbst … Allem Planen und Machen ist dort die Grenze gesetzt, wo der Mensch sich frei geben muss in seinen Chancen.»

Quelle: Karl Jaspers (1949): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. München: Piper 1983. Seite 232f.       

Autor

Moritz Nestor, Psychologe

Weiterempfehlen