Das geplante nationalsozialistische «Gesetz über die Sterbehilfe bei unheilbar Kranken» von 1940

10. Oktober 2024

«Gesetz über die Sterbehilfe bei unheilbar Kranken» [Oktober 1940, S. 177]

«§ 1   Wer einer unheilbaren, sich oder andere stark belästigenden oder sicher zum Tode führenden Krankheit leidet, kann auf sein ausdrückliches Verlangen mit Genehmigung eines besonders ermächtigten Arztes Sterbehilfe durch einen Arzt erhalten.
§ 2    Das Leben eines Kranken, der infolge unheilbarer Geisteskrankheit sonst lebenslänglicher Verwahrung bedürfen würde, kann durch ärztliche Massnahmen, unmerklich für ihn, beendet werden.
§ 3    [Wortlaut unbekannt. Inhalt: Ernennung eines ‚Reichsbeauftragten’ zur Durchführung des Gesetzes.]
§ 4  [Wortlaut unbekannt. Inhalt der drei Unterabschnitte:
1.     Ernennung von ‚Sachverständigenausschüssen’ durch den ‚Reichsbeauftragten’, die die ‚Sterbehilfe’-Kandidaten begutachten. Modalitäten der Meldung von ‚Sterbehilfe’-Kandidaten entweder selbst oder durch die Amts- bw. Anstaltsärzte. Festlegung der Untersuchungsprozedur. Zusammensetzung der ‚Sachverständigenausschüsse’ – ein ‚besonders ermächtigter’ Amtsarzt, zwei Beisitzer (Psychiater)]
2.     [Wortlaut unbekannt. Inhalt: Der ‚Reichsbeauftragte’ entscheidet über die Gutachten der ‚Sachverständigenausschüsse’. Ernennung von ‚Sterbehilfe’-Ärzten in ausgewählten Anstalten durch den ‚Reichsbeauftragten’.]
3.     Der vom Reichsbeauftragten zur Durchführung seiner Anordnung bestellte Art kann in jedem Fall unter eingehender Begründung seines abweichenden Standpunktes eine nochmalige Begutachtung durch einen anderen Sachverständigenausschuss beantragen.»

Aus: Roth, Karl Heinz (Hg.). Erfassung zur Vernichtung. Berlin 1984

 


 

Weitere Dokumente zum «Gesetz über die Sterbehilfe»:

 

Dokument 1

Notizen des «Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung schwerer erb- und anlagebedingter Leiden»

«Tötung auf Verlangen» sei «ein Sondertatbestand, der aber keineswegs in allen Fällen der Euthanasie zutreffen muss»
Bei den Beratungen der amtlichen Strafrechtskommission (Vorsitz Reichsminister Dr. Gürtner) sind Vorschriften über Euthanasie ausdrücklich abgelehnt worden. Vgl. hierzu Gürtner, Das kommende deutsche Strafrecht, II. Auflage Band I., S. 88:
«Die Sterbehilfe als besonderer Fall der Tötung auf Verlangen erscheint der Ausnahmebehandlung bedürftig, falls man nicht mit der Kommission hier alles auf die Kraft des Gewohnheitsrechts abstellt, das solches Samariterwerk vor dem Zugriff der Strafverfolgung schon jetzt sichert.»
«Nationalsozialistische Leitsätze für ein neues deutsches Strafrecht», herausgegeben vom Reichsleiter Dr. Hans Frank, besonderer Teil, Leitsatz 58, Seite 118: «Nicht in den Bereich des Strafrechts gehört die Sterbehilfe, denn die Volksgemeinschaft ist nicht so erbarmungslos, dem unheilbar Kranken, und dem Sterbenden sein Leben. und seine Qual gegen dessen Willen aufzuzwingen.»

Quelle: Heidelberger Dokumente National Archives Washington (NAW), T 1021, Roll 12, in Roth, S. 121

 

Dokument 2

Hitlers Leibarzt Dr. Theo Morell: Denkschrift zu einem Gesetz über die Vernichtung lebensunwerten Lebens

Ursprünglich sollte es heissen «Gesetz über die Vernichtung lebensunwerten Lebens» [Roth, S. 123]
«Es spielt schliesslich auch der Gedanke der Menschenrechte bei den Einwendungen eine Rolle. Das Menschenrecht, wie es sich aus den geistigen Strömungen der französischen Revolution entwickelt hat, war die Reaktion auf die vorgehende Rechtlosigkeit des Individuums (Untertan, sujet). Am Gedanken ist etwas richtiges, als Prinzip ist er falsch. Ein subjektives Recht dieser Art [gemeint ist das Lebensrecht] mit uneingeschränktem Eigenbereich gibt es genausowenig wie beim Eigentum.» [Roth, S. 125)
«Das Menschenrecht ist ein zu Tode gehetztes Schlagwort der Vergangenheit». [Roth, S. 126]
«Das Leben dieser Wesen ist kein lebensfähiges Werk Gottes. Sie leben nur durch das Eingreifen der Mitmenschen». [Roth, S. 126)

Quelle: NAW, T-253, Roll 44, Morell Akte Nr. 81. Undatierte Entwürfe, in Roth, S. 123-126

 

Dokument 4

Brief von Dr. Eberl, Leiter der Landesanstalt Brandenburg, an Victor Brack, Leiter der Hauptabteilung II in der Kanzlei des Führers, vom 6. Juli 1940

«[…] meines Erachtens wäre der Titel ‚Gesetz über die Tötung Lebensunfähiger‘ der sinngemässeste, der jedoch fallengelassen werden musste. Das Wort ‚Sterbehilfe‘ ist ungewohnt, wird aber zweifellos durch das Gesetz den entsprechenden Inhalt bekommen. Die Abgrenzung der vom Gesetz zu erfassenden Fälle ist in §1 klar.» [Roth, S. 130]
Unter § 2 nennt er als zu Tötende: Schizophrene, Schwachsinnige, Syphiliskranke im Spätstadium, Epileptiker mit gehäuften Anfällen oder Wesensveränderungen, senile Demenz und alle «geistigen Störungen, die zu einer produktiven Tätigkeit nicht geeignet sind.» [Roth, S. 130]
«Ferner halte ich es für notwendig, im Gesetz zu verankern, dass das ausdrückliche Verlangen des Kranken im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ausgesprochen werden muss, um gültig zu sein.» [Roth, S. 131]
«Die Ärzteschaft wird dieses Gesetz, insbesondere den §1, absolut begrüssen, denn der Arzt kommt sehr häufig in die Lage, dass schwerkranke, unheilbare Patienten den Tod herbeisehnen, ohne dass er in der Lage ist, ihnen heute diese Hilfe zu geben, es sei denn er nimmt diese Tötung auf sein eigenes Gewissen. […] Ebenso wird das Volk den §1 absolut verstehen und auch begrüssen, wenn man von dem absolut katholisch eingestellten Teil der Bevölkerung absieht.» [Roth, S. 131f.]
«Zu §1: Jeder Arzt, der einen Menschen, der an einer unheilbaren, sicher zum Tode führenden Krankheit leidet, behandelt und dem gegenüber der Kranke den Wunsch äussert, er möge seine Qualen beenden, ist berechtigt, auf dem schnellsten Wege den zuständigen Amtsarzt von dem Wunsch des Kranken zu verständigen. […] Der Amtsarzt ist verpflichtet, die Genehmigung zur Sterbehilfe zu erteilen, wenn er die Unheilbarkeit  der Erkrankung festgestellt hat und überzeugt ist, dass der Patient die Sterbehilfe ausdrücklich wünscht und zumindest im Augenblick der Äusserung des Wunsches im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war. Der behandelnde Arzt ist auf Grund der schriftlich erteilten Genehmigung des zuständigen Amtsarztes berechtigt, die Sterbehilfe zu gewähren.» [Roth, S. 132]
«Die Zahl der weltanschaulich nicht tragbaren Amtsärzte wird ja auch von Jahr zu Jahr geringer, da der junge Nachwuchs vermutlich doch in weitaus überwiegendem Masse weltanschaulich in Ordnung gehen dürfte.» [Roth, S. 135]
«[…] bitte ich zu bedenken, ob es zweckmässig ist, eine umfangreiche Aufnahmeverhandlung mit Unterschrift und Zeugen über den Wunsch des Kranken aufzunehmen, wenn der Kranke im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte seinem behandelnden Arzt gegenüber erklärt, er wolle von seinen Qualen erlöst werden und er dies vor dem Amtsarzt nochmals wiederholt.» [Roth, S. 136]

 

Dokument 5

Aussage von Dr. Hans Hefelmann, Referent des Amts IIb in der Kanzlei des Führers, am 15.9.1960 vor dem OLG Frankfurt/Main:

Über die Vorarbeiten zu einem «Euthanasiegesetz» im Jahre 1940: «Im Herbst 1940 teilte Brack mit, dass Hitler den Erlass eines solchen Gesetzes abgelehnt habe, weil er die Veröffentlichung eines derartigen Gesetzes im Hinblick auf die Feindpropaganda für unzweckmässig halte. Der Entwurf solle in  der Schublade bleiben und erst nach dem Endsieg erörtert werden.» (Roth, 139)

Quelle: Js 17/59 (GstA) Staatsanwaltschaft Hamburg 147Js58/67, in Roth, S. 139

 

Dokument 6

Konferenz vom Oktober 1940 über das «Euthanasiegesetz»

«Bezeichnung des Gesetzes
Stähle: ‚Gesetz über die Leidensbeendigung bei unheilbar Kranken und Lebensunfähigen‘
Schneider: […] ‚Gesetz über die Gewährung ärztlicher Sterbehilfe‘
Kühn: ‚Gesetz über die Gewährung letzter Hilfe bei …‘ […]
Faltlhauser: ‚Gesetz über die Gewährung besonderer … ärztlicher Hilfe bei …‘
Lenz: möchte „und Lebensunfähigen“ streichen. Alle Lebensunfähigen seien auch krank […] schlägt vor: ‚Gesetz über die Sterbehilfe bei unheilbar Kranken’»

Quelle: Heidelberger Dokumente; Bl. Nr. 126659-126690; NAW, T 1021, Roll 11, in Roth, S. 43

 

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